Geringverdiener und Corona: Die Zweifel der Armen
Politiker bereicherten sich in der Krise, Arme ließ man allein. Kein Wunder, dass besonders Geringverdiener der staatlichen Corona-Politik misstrauen.
S oziale Ungleichheit gefährdet die Demokratie. Seit Jahren weisen Studien darauf hin, dass gerade bei Geringverdienern die Demokratiezufriedenheit gering ist. Wer sich in seinen Existenzängsten im Stich gelassen fühlt, misstraut besonders in schwierigen Zeiten dem Staat.
In der Pandemie verhindert dieses Misstrauen eine effektive Coronabekämpfung. Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass besonders die Erwerbstätigen, die wenig Geld verdienen und wegen der Krise um ihre Existenz fürchten, Zweifel an der Pandemiepolitik der Regierung hegen, Verschwörungstheorien anhängen und Schutzmaßnahmen nicht befolgen.
Überraschend ist dieser Befund nicht. Während gut bezahlte Büroarbeiter die Krise im geräumigen Homeoffice aussaßen, mussten vor allem im Dienstleistungsbereich ohnehin schlecht bezahlte Beschäftigte mit einem geringen Kurzarbeitergeld haushalten. Hunderttausende Minijobber verloren ihren Job, außerplanmäßige Hartz-IV-Erhöhungen und ausreichende Hilfen vom Staat für Arme gab es nicht.
Vertrauen zurückgewinnen
Während Milliardäre ihr Vermögen vermehrten, Unionspolitiker mit Maskendeals ihre Diäten aufbesserten und Gesundheitsminister Spahn private Spendendinner abhielt, wurden Millionen Menschen in der Krise weitgehend alleingelassen.
Wieso also sollte man den Politikern glauben, die sich selbst bereichern und soziale Schieflagen nur unzureichend abfedern? Wieso sollte man den Vertretern eines Staates glauben, der auch außerhalb von Krisenzeiten Arme schikaniert und am Existenzminimum hält – und der zulässt, dass die soziale Schere sich immer weiter öffnet?
Wer die Pandemie effektiv bekämpfen will, muss die sozialen Sorgen der Menschen ernst nehmen, muss sicherstellen, dass niemand um seine wirtschaftliche Existenz und seinen Job fürchten muss. Die Coronakrise sollte ein Weckruf an die künftige Koalition sein, den Sozialstaat so umzubauen, dass die Menschen ihm wieder vertrauen können. Dann klappt es womöglich auch besser mit der Pandemiebekämpfung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“