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Kamala Harris und MigrationDiversity allein reicht nicht

Alle feiern den Diversity Day. Aber das Beispiel Kamala Harris zeigt: Es bringt nichts, Viefalt zu bejubeln, wenn damit Unterdrückung kaschiert wird.

Steht sie wirklich für die Vielfalt, die auf sie projiziert wird? US-Vizepräsidentin Kamala Harris Foto: Tom Brenner/ap

M anchmal fühle ich mich wie Oscar aus der Sesamstraße. Oscar wohnt in einer Mülltonne, ich in Deutschland. Oscar hat einen markanten durchgehenden Augenbrauen-Strich und ich… naja… selbst auf dem pixeligen Bild von mir neben dieser Kolumne können Sie sich von unserer family resemblance überzeugen. Aber was Oscar und mich am meisten verbindet, sind die grumpy, schlecht gelaunten Kommentare, wenn alle einfach ein bisschen happy sein wollen.

Neulich war „Diversity-Day“. Die UNESCO feiert jährlich am 21. Mai die Vielfalt der Welt und mittlerweile feiern alle mit. So wurde auch ich dieses Jahr mehrfach gefragt, doch bitte einen Friede-Freude-Eierkuchen-Kommentar abzugeben. Ist es nicht nice, wenn in Politik, in Medien, in Hochschulen, Wirtschaft oder der Kultur endlich mehr Diversität herrscht?

Alle so: Regenbogen!!! Einhörner!!! Liebe!!! Ich so: Nein.

Ein gutes Beispiel, warum es beim Thema Vielfalt angemessen ist, grumpy zu sein, liefert ausgerechnet die erste Schwarze Vizepräsidentin der USA. Sie wurde weltweit als Hoffnungsfigur gefeiert, und natürlich ist es ein inspirierendes Symbol, wenn in einer Gesellschaft, die Schwarze Menschen versklavt hat und bis heute unterdrückt und von der Polizei töten lässt, endlich eine Schwarze Frau mit­entscheiden kann.

Klare Ansage an Geflüchtete

Es kommt aber darauf an, was mit dieser neuen Macht angestellt wird. Harris ist zur Zeit auf diplomatischer Reise in Mittelamerika. Auf einer Pressekonferenz mit dem guatemaltekischen Präsidenten Alejandro Giammattei richtete sie eine klare Ansage an Geflüchtete aus dem Süden des Kontinents: „Kommt nicht!“ Das war die Botschaft einer der wohl mächtigsten Frauen der Welt an eine der verletzbarsten Gruppen Amerikas.

Drogenkriege, Kartelle, korrupte Regierungen und direkte US-Interventionen haben für so viele Menschen eine Bedrohungslage kreiert, dass sie keinen anderen Ausweg als die gefährliche Flucht durch Mexiko gen Norden sehen. Harris könnte auch weise Worte finden, eine regionale Drogenpolitik gestalten, die keine Opfer mehr fordert, legale Fluchtwege öffnen, Geflüchteten mit Respekt und Menschlichkeit begegnen, einen echten Marshall-Plan für Zentralamerika schmieden… doch sie entschied sich für drei Wörter und ein Ausrufezeichen: Do not come!

Eins ist klar: Homogen zusammengesetzte Entscheidungsräume treffen schlechte Entscheidungen, zumindest nicht solche, die allen Menschen zugutekommen. Deswegen ist Repräsentation wichtig. Aber was bringt es verletzbaren Gruppen, wenn eine Frau, ein Kind sogenannter Gast­ar­bei­te­r*in­nen oder eine queere Person Entscheidungen trifft, die historisch gewachsene Strukturen der Ausbeutung und Diskriminierung verfestigen?

Was bringt es, Vielfalt zu feiern, während die grundsätzlichen Systeme der Unterdrückung weiter bestehen und durch genau diese Vielfaltfassade kaschiert werden? Diversity alleine ist Müll, würde Oscar sagen.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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22 Kommentare

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  • "Diversity" bezieht sich doch nur auf Oberflächlichkeiten. Republikaner und Demokraten unterscheiden sich nur in Geschmacksnuancen, die großen Linien der US-amerikanischen Politik, besonders der Außenpolitik, werden auch beim Regierungswechsel beibehalten. Wer es in die amerikanische Spitzenpolitik schafft, muss nach gewissen Regeln spielen und die Interessen von verschiedenen mächtigen Gruppen vertreten. Der Wahlkampf 2020 hat beide Parteien 14 Milliarden Dollar gekostet. Die Spender dieser Gelder haben also Investitionen getätigt, für die sie gewisse Gegenleistungen erwarten.

    Man muss sich nur mal die konstante Linie der US-Außenpolitik der letzten 40 Jahre anschauen. Die Grundlinien wurden zur Reagan-Zeit entworfen und das Programm dann von Bush I bis Obama konsequent durchgezogen. Lest Brzezinski und Friedman.

  • "...in einer Gesellschaft, die Schwarze Menschen... von der Polizei töten lässt..."

    Diese Behauptung des Autors geht mir entschieden zu weit.

  • Überraschung - naja, wohl eher nicht.



    Diversity als Lametta am Weihnachtsbaum der Ausbeutung und Unterdrückung. Ganz normale Politshow. Nix besonderes und nix Neues.

  • "Diversity alleine ist Müll, würde Oscar sagen."

    Und genau den bunten Karneval hat Oscar geliebt. Diversity ist eine Qualität, die schon für sich alleine eine große Party verdient.

  • Sollte nach dem Verhalten der britischen Innenministerin Priti Patel jetzt auch keinen mehr hinterm Ofen vorholen.

  • ...beweist halt dass weder Divers sein, noch nicht weiß sein, automatisch gut sein bedeutet.

  • Diversität ist in mancherlei Hinsicht eine Sache der Perspektive: Kamala Harris ist, was die Hautfarbe und ihre Biographie angeht, divers; so wie es Obama auch war. Aus soziologischer Perspektive ist sie es aber genausowenig wie Obama: Sie ist eine Angehörige der Elite.

    Vielleicht ist Diversität auch nur ein Elitenkonzept? Zumal es durchaus "gute" und "schlechte" "Randgruppen" gibt. Die guten holt man dazu und feiert sich dafür, dass es jetzt endlich divers wird. Die über die schlechten schweigt man.

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    "...und natürlich ist es ein inspirierendes Symbol, wenn in einer Gesellschaft, die Schwarze Menschen versklavt hat und bis heute unterdrückt und von der Polizei töten lässt, endlich eine Schwarze Frau mit­entscheiden kann."

    Und was ist mit der Nationalen Sicherheitsberaterin und Außenministerin Condoleezza Rice? Dem Vier-Sterne-General, Nationalen Sicherheitsberater und Außenminister Colin Powell? Dem General und Verteidigungsminister Lloyd Austin?

    Wieviele schwarze Spitzenpolitiker in Entscheidungspositionen braucht es eigentlich, bis das Narrativ beendet wird, US-Politik sei eine rein weiße Angelegenheit, in der Schwarze nichts zu sagen und nichts zu entscheiden hätten?

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Die zählten nicht, die Gehörten ja zur falschen Partei...also zu der Partei von Lincoln der die Sklaven befreit hat und von Theodore Roosevelt. Nachdem letzterer seinen afroamerikanischen Berater Booker Washington Booker T Washington zum Abendessen ins Weiße Haus eingeladen hatte war die Reaktion eines Demokraten "The Whitehouse was so saturated with the odor of n*gger that the rats had taken refuge in the stable;" und die eines anderen "We shall have to kill a thousand n*ggers to get them back in their places."

      Naja, aber die Dems waren ja immer die Partei der Gleichberechtigung und die Reps schon immer die Partei der Rassisten.

  • Als Obama Präsident geworden war, gab es ähnliche Erwartungen, von denen manche enttäuscht wurden. Die Hautfarbe eines Politikers steht eben doch nicht für Programm und Inhalte auch wenn sich manche das wünschen oder naiv einbilden. Wenn man sich in der weltweiten Politik umschaut und Politiker aller Hautfarben nach ihrer Politik beurteilt, dann wird man eh schnell merken, dass keine Hautfarbe für irgendeine politische Richtung oder eine besondere menschliche Qualität steht.

    Zyniker würden anmerken, dass Diversity weltweit vielmehr als Vielfalt der autoritären Regierungsformen zu verstehen ist. Insofern kann ich den allerletzten Satz nur unterstreichen "Diversity alleine ist Müll."

  • Kamala Harris kann auch nur performen, was die Unterhaltungsindustrie des Großkapitals ihr vorgibt. Eine grundsätzliche Lösung der Probleme muss über einen Marschallplan für Lateinamerika weit hinausgehen.



    Dazu hat Harris allein keine Mittel, egal ob sie schwarz oder weiß ist.

  • Was für eine unfaire verkürzte Darstellung. Harris' Botschaft war so viel mehr als 3 Wörter. Das "Do not come" war in eine wesentlich längere Botschaft eingebettet, die auch viele Elemente enthielt, die der taz-Autor fordert. Das war taz auf BILD-Niveau.

  • Stimme dem Autor zu.

    Menschen die Diversitätsmerkmale erfüllen müssen auch "Nicht-Weiße" Politik machen. Alles andere wäre rassistisch. Leider zeigt sich nun dass auch Kamala Harris einfach eine "weiße cis Frau" ist.

  • Das musste mal gesagt werden.

  • Diversity allein macht keine Gesellschaft und erst recht keine Gemeinschaft. Etwas anderes kann nur behaupten, wer mit Margaret Thatcher der Ansicht ist: „There‘s No Such Thing as Society.“ Der/die/das zeigt damit allerdings nur, dass er/sie/es nicht verstanden hat, was es bedeutet, menschlich (englisch: human) zu sein. Von solchen-welchen aber sollten Menschen sich gar nichts sagen lassen.

  • Aha, Frau Harris darf nicht gegen bestimmte Arten der Migration sein, weil sie schwarz ist? Diese Meinung ist nur Weißen vorbehalten? Ist das nicht ein bisschen rassistisch?

    Diversität, lieber Herr Amjahid, bedeutet Vielfalt, das schließt auch die Vielfalt der Sichtweisen und Meinungen mit ein, und zwar unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung etc. Alles andere ist Diskriminierung.

    • @Ruediger:

      "Aha, Frau Harris darf nicht gegen bestimmte Arten der Migration sein, weil sie schwarz ist?"

      Ganz genau. Zumindest wenn sie ihren Status als BIPoC behalten möchte. Wissen sie wenn BIPoC Machtstrukturen von Weißen oder ihre Narrative übernehmen werden sie dadurch selber "weiß".

      Deshalb sind afrikanische Christen zB auch "Weiße".

      Frau Harris täte gut daran um Reue zu Bitten und wieder die uniforme Meinung der BIPoC zu vertreten. Schließlich Denken und Empfinden ausnahmslos alle BIPoC dasselbe.

      • @UNKE:

        "Schließlich Denken und Empfinden ausnahmslos alle BIPoC dasselbe."



        Sorry, kurze Frage an alle, ist das ernst gemeint?

        • @El Homm:

          Ja. In einer bestimmten, radikalen Denkrichtung. Aber nicht von "Eine Unke". Der/die persifliert das nur.

          • @Ingmar Dette:

            Danke, ich bin da nich so ganz auf dem laufenden und hab auch kein Plan was bipoc sein sollen. Hatte mich aber schon gefreut dat ich auf einmal schwarz bin, wegen Blues hören.



            "Deshalb sind afrikanische Christen zB auch "Weiße""



            Köstlich.

        • @El Homm:

          "Sorry, kurze Frage an alle, ist das ernst gemeint?"

          Wohl eher nicht ;-)

          Falls doch, ist es jedenfalls nicht ernst zu _nehmen_.

  • "Diversity alleine ist Müll, würde Oscar sagen."



    Nicht nur der.



    Die allzu starke Fokussierung darauf ignoriert nämlich andere (womöglich essentielle und wichtigere) Probleme und ist von Übel.