Neues Infektionsschutzgesetz: Notbremse zieht schon am Wochenende

Die Länder kritisieren im Bundesrat das Gesetz zum Infektions­schutz, erheben aber keinen Einspruch. Der Modellversuch in Tübingen muss abbrechen.

Notbremse in einem Bahnhof.

Die Notbremse ist gezogen, bremst jetzt der Virenzug? Foto: Christoph Hardt/imago

FREIBURG taz | Die „Bundesnotbremse“ wird an diesem Freitag in Kraft treten und am Samstag wirksam werden. Der Bundesrat erhob am Donnerstag keinen Einspruch gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnete das Gesetz bereits kurz danach. Am Nachmittag erfolgte die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt.

Was nach einem glatten Ablauf klingt, hörte sich im Bundesrat aber ganz anders an. Die Ministerpräsidenten übten teils heftige Kritik. Viel Einfluss hatten die Länder in diesem Verfahren aber nicht. Das Gesetz war so gestaltet worden, dass die Länder nicht zustimmen mussten.

Am Mittwoch hatte bereits der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD das Gesetz beschlossen. Nun gelten automatisch massive Einschränkungen, wenn der Inzidenzwert in einem Landkreis drei Tage lang über 100 liegt: Ausgangssperren ab 22 Uhr und weitgehende Verbote für Sport, Kulturveranstaltungen und Einzelhandel. Schulen und Kitas sollen erst ab einem Inzidenzwert von 165 schließen.

Diese Anforderungen gelten nun bundeseinheitlich. Doch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) wies darauf hin, dass es weiterhin einen „Flickenteppich“ geben werde. „Die Notbremse gilt ja nur in den Landkreisen mit einer Inzidenz über 100. Das kann in Frankfurt so sein und in Offenbach wieder anders.“ Bouffier kritisierte auch, dass die Bundesnotbremse massiv in Grundrechte eingreife, weil das Gesetz bereits alles vorgebe. Dieses „Abwägungsverbot“ für die Exekutive sei „verfassungsrechtlich problematisch“.

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Ministerpräsident Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt, CDU) wies ergänzend auf den reduzierten Rechtsschutz hin. „Gegen die Verordnungen der Landesregierung konnte das Oberverwaltungsgericht eingeschaltet werden. Gegen das Gesetz gibt es nur noch das Bundesverfassungsgericht.“

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) rechnete genüsslich vor, dass die Kanzlerin das Gesetz bereits Ende März in der Talkshow bei Anne Will angekündigt hatte. „Es ist eben doch nicht so einfach, einen tragfähigen Kompromiss zu finden“, so Müller. Die Bund-Länder-Runden seien flexibler und schneller gewesen, betonten mehrere Redner.

Reiner Haseloff kritisierte das Gesetz am schärfsten: „Der heutige Tag ist für mich ein Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik“. Tatsächlich beantragte dann aber kein einziges der 16 Bundesländer einen Einspruch, weil dieser ohnehin nur verzögernde Wirkung gehabt hätte. Die zweistündige Debatte endete damit ohne Abstimmung.

Es gab nur zwei Entschließungsanträge, die aber auch beide abgelehnt wurden. Schleswig-Holstein (CDU/FDP/Grüne) hatte eine Kritik der Inzidenzwerte gefordert, die als Auslöser für Grundrechtseingriffe nicht geeignet seien. Bremen (SPD/Grüne/Linke) wollte, dass sich die Länder für eine Testpflicht in Betrieben einsetzen.

Auch Tübingen macht wieder dicht

Mit Inkrafttreten der Bundesnotbremse sind die Länder in der Pandemiebekämpfung aber nicht völlig entmachtet. Für Landkreise mit einem Inzidenzwert unter 100 gelten weiter die Länderverordnungen. Hier können auch Lockerungsprojekte fortgeführt werden. In den allermeisten Landkreisen liegt der Inzidenzwert derzeit allerdings über 100.

Deshalb muss auch das Modellprojekt der Stadt Tübingen abgebrochen werden. Dort konnten die Bewohner, wenn sie negativ getestet wurden, schon seit Wochen wieder halbwegs normal einkaufen und die Außengastronomie nutzen. In Tübingen selbst liegt die Inzidenz zwar noch unter 100, maßgeblich ist nun aber der Landkreis Tübingen, dessen 7-Tage-Inzidenz bei 184 liegt.

Doch auch über einer Inzidenz von 100 können die Länder noch handeln. Laut Gesetz sind strengere Eingriffe möglich. So wird in Baden-Württemberg die Ausgangssperre bereits ab 21 Uhr, also eine Stunde früher gelten.

Die Augen richten sich jetzt auf das Bundesverfassungs­gericht. Ab Inkrafttreten des Gesetzes können Verfassungsbeschwerden und Eilanträge eingereicht werden. Diese sind auch bereits zahlreich ange­kündigt, etwa von FDP-­Politikern, den Freien Wählern, dem SPD-Mann Florian Post und der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

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