Feuertod in der JVA Kleve: Polizist für unschuldig erklärt

Ein Polizeibeamter soll nicht erkannt haben, dass der in der Zelle verbrannte Amad A. Opfer einer Verwechselung wurde – glaubt die Staatsanwaltschaft.

Ein Gang, eine gelbe Zellentür in einem Gefängnis

In der Justizvollzugsanstalt Kleve Foto: Markus van Offern/dpa/picture alliance

Im Fall des ohne jede Rechtsgrundlage monatelang inhaftierten und in seiner Gefängniszelle verbrannten Kurden Amad Ahmad hat die Staatsanwaltschaft Kleve ihre Ermittlungen auch gegen den letzten im Verdacht der Freiheitsberaubung stehenden Polizisten eingestellt.

Es könne „nicht festgestellt werden“, dass der für die Polizeibehörde Kleve arbeitende Beamte Frank G. „erkannt oder zumindest billigend in Kauf genommen“ habe, dass der in Syrien geborene Amad Ahmad Opfer einer Verwechselung mit einem Mann aus dem afrikanischen Mali wurde, heißt es in einer am Donnerstagnachmittag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der Staatsanwaltschaft Kleve und der Polizei Krefeld. Sie war eingeschaltet worden, um eine unabhängige Untersuchung zu gewährleisten.

Dabei lagen Frank G. offenbar eindeutigste Hinweise auf diese Verwechselung vor: Amad Ahmad sei „nicht identisch“ mit dem Malier Amedy G., notierte die Staatsanwältin Silke Schaper aus Braunschweig schon am 27. Juli 2018 in einem Vermerk, den sie nach einen Telefonat mit dem Klever Polizisten gefertigt hatte. Die Worte „nicht identisch“ sind in dem Schreiben, das der taz vorliegt, unterstrichen.

Amad Ahmad war am 6. Juli 2018 festgenommen worden, weil er an einem Baggersee in Geldern an der niederländischen Grenze vier junge Frauen verbal sexuell belästigt haben soll. Eine der Frauen rief daraufhin ihren Vater, einer Verkehrspolizisten, an. Die Wache in Geldern setzte zwei Streifenwagen in Bewegung, die den 26-Jährigen festnahmen. Amad Ahmad hatte in unmittelbarer Nähe des Baggersee-Strands auf einer Bank auf die Polizei gewartet.

Amad Ahmad offenbar verwechselt

Vorgeworfen wurde ihm „Beleidigung auf sexueller Grundlage“. Für eine mehrmonatige Haft reicht dieser Vorwurf nicht aus. Dennoch saß der Kurde hinter Gittern, bis am 17. September 2018 seine Zelle in der Justizvollzugsanstalt Kleve ausbrannte. Der vor dem syrischen Assad-Regime Geflohene wurde dabei bis zur Unkenntlichkeit entstellt – 38 Prozent seiner Haut verbrannten.

Am 29. September 2018 starb Amad Ahmad nach einer Lungentransplantation im auf schwerste Verbrennungen spezialisierten Bochumer Klinikum Bergmannsheil. Einen Tag zuvor hatte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Kleve, Günter Neifer, den schwersten Fehler einräumen müssen, der Ermittlern unterlaufen kann: Amad Ahmad sei wohl Opfer einer Verwechselung geworden, erklärte der Oberstaatsanwalt.

Am 5. Oktober 2018 entschuldigte sich auch Nordrhein-Westfalens CDU-Innenminister Herbert Reul. Wie es zu dem tödlichen Fehler kommen konnte, klärt seit Dezember 2018 ein Untersuchungsausschuss des Landtags. Dessen Zeugenbefragungen haben bisher ergeben, dass eine sogenannte „Personenzusammenführung“ Grund für die Verwechselung gewesen sein soll.

Eine Regierungsangestellte soll Daten, die in der landeseigenen Datenbank „ViVA“ über Amad Ahmad gespeichert waren, mit Informationen über den Malier Amedy G. aus der „Inpol“-Datenbank des Bundes vermischt haben. In dem damit vorliegenden Datensatz wurde der Gesuchte einmal als „hellhäutig“, einmal als „schwarzhäutig“ beschrieben – doch das soll niemandem der über 20 Po­li­zis­t:in­nen und mindestens acht Justizvollzugsmitarbeiter:innen, die seit der Verhaftung Amad Ahmads mit dem Fall betraut waren, aufgefallen sein.

Staatsanwältin mit Gedächtnislücken

Auch die weiter vorliegenden Fotos des Afrikaners Amedy G. und des Syrers Amad Ahmad will in NRW niemand verglichen haben. Dass die Verwechselung mehr als auffällig war, bewies dagegen eine Bürokraft der niedersächsischen Staatsanwältin Silke Schaper, die Amedy G. von Braunschweig aus wegen Diebstahls suchen ließ.

Ihrer „geografisch interessierten Mitarbeiterin“ sei aufgefallen, dass Amad Ahmads in den Akten angegebener Geburtsort, das syrische Aleppo, nicht im tausende Kilometer entfernten westafrikanischen Mali liege, erklärte Schaper vor dem Landtags-Untersuchungsausschuss. Dort berief sich die Staatsanwältin allerdings auf große Gedächtnislücken. „Ich kann mich nicht erinnern“, sagte Schaper in Düsseldorf immer wieder.

Unklar blieb damit, ob die Staatsanwältin dem Klever Polizisten Frank G. in ihrem Telefonat am 27. Juli 2018 explizit klargemacht hat, dass Amad Ahmad nicht der Gesuchte Amedy G. sein könne – oder ob sie dies als Fazit des Telefonats für ihre Unterlagen notierte.

Auf dieser Unklarheit beruht jetzt die Einstellung der Ermittlungen gegen Frank G.: Es stehe „nicht fest, dass auch dem Polizeibeamten aufgrund des Gesprächs und der ihm im Übrigen vorliegenden Informationen die Personenverwechselung bewusst war“, argumentieren die Staatsanwaltschaft Kleve und die Polizei Krefeld in ihrer gemeinsamen Erklärung.

Untersuchungsausschuss prüft den Fall weiter

Den Obleuten von SPD und Grünen im Untersuchungsausschuss reicht das nicht. Selbst das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt habe „dem Kripobeamten G.in einem Gutachten attestiert, dass er die unrechtmäßige Inhaftierung hätte erkennen und darauf reagieren müssen“, kritisiert SPD-Fraktionsvize Sven Wolf.

Zumindest im noch laufenden Disziplinarverfahren gegen Frank G. müsse CDU-Innenminister Reul „das Fehlverhalten intensiv prüfen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen“, fordert der Sozialdemokrat. Zweifel hat auch der Grüne Obmann Stefan Engstfeld: „Wir werden die Akten der Staatsanwaltschaft anfordern – und ganz genau anschauen“, sagte der Landtagsabgeordnete der taz.

Wie der Sozialdemokrat Wolf kann Engstfeld nicht verstehen, warum einer Sachbearbeiterin im niedersächsischen Braunschweig die Verwechselung auffiel – rund 30 nordrhein-westfälischen Landesbediensteten aber nicht. Auf den Untersuchungsausschuss, der aktuell Grund, Ablauf und Umstände des tödlichen Zellenbrands untersucht, wartet bis zum Abschluss der Legislaturperiode 2022 noch viel Arbeit.

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