Aktivist über Klimagerechtigkeit: „Ich werde BDSM-Hure“

Tadzio Müller ist in Deutschland Klimaaktivist der ersten Stunde. Weil Arbeit als Sexworker für ihn politisch relevant ist, will er sein Geld künftig mit Sexarbeit verdienen.

Tadizi Müller bei einem Interview.

„Wir müssen auch Scheu und Scham vor Körperlichkeit ablegen“, sagt Tadizio Müller Foto: Wolfgang Borrs

Herr Müller, Sie stehen seit Jahren recht prominent auf und hinter den Bühnen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Ab März sind Sie nach neun Jahren nicht mehr bezahlter Vollzeitaktivist, sondern werden Sexarbeiter. Kehren Sie der Klimabewegung den Rücken zu?

Tadzio Müller: Ganz sicher nicht, ich war ja auch vor der Rosa-Luxemburg-Stiftung schon in der Klimabewegung. Wo ich mein Geld herkriege, ist dafür nicht relevant. Als Sexarbeiter habe ich nebenher schon immer mal wieder gejobbt. Nur die RLS und ich gehen jetzt getrennte Wege, im beidseitigen Einvernehmen, wie man so sagt.

Oder wie man auch sagt: Sie wurden gekündigt?

Nein, es gibt kein böses Blut. Ich bin einfach kein sehr guter Mitarbeiter. Ich bin renitent und habe zugegebenermaßen kein kleines Ego. Klar, es gibt auch politische Differenzen. Ich sehe den Versuch der Klimabewegung, die Partei Die Linke näher an sich ranzuziehen, vorerst als gescheitert an.

Weil dort der Gewerkschaftsflügel stark ist, der eher auf die Rettung deutscher Arbeitsplätze pocht als auf globale Gerechtigkeit?

Unter anderem. Und ich brauche die komplette Freiheit, solche Dinge zu sagen. Da kann es nicht sein, dass mich danach jemand anruft und sagt: Ey, mach mal diesen Tweet weg. So ist das aber eben in Organisationen, deshalb will ich auch gerade nicht woanders Referent oder Campaigner werden.

Stattdessen gehen Sie in eine Branche, in der Sie zwar nicht unbedingt eine Chefin brauchen, aber wie in der Klimapolitik schwierige politische Rahmenbedingungen vorfinden.

Sexarbeiter:innen gehören zu den marginalisiertesten Berufstätigen, auch weil viele von ihnen schon Diskriminierung erfahren, weil sie People of Color, Trans-Personen und Migrant:innen sind. Und dann gibt es jetzt auch noch den Angriff von SPD-Politiker:innen wie Leni Breymaier und Karl Lauterbach, die das sogenannte nordische Modell wollen, ein Sexkaufverbot – also effektiv ein Prostitutionsverbot. In kriminalisierten Branchen lassen sich gute Arbeitsbedingungen natürlich noch schlechter durchsetzen. Ich will auch mithelfen, die Hurenbewegung zu organisieren. Also: vielleicht zur Hälfte Klimabewegung, zur Hälfte Hurenbewegung. Eigentlich gehört das eh zusammen.

ist Klima- und LGBT-Aktivist; er hat unter anderem die Bewegung „Ende Gelände“ mit aufgebaut und als Referent für Klimagerechtigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung gearbeitet.

Wie meinen Sie das?

Die Arbeit als Sexworker ist für mich wirklich auch politisch relevant. Erstens, weil das für mich ein Bruch mit der Normalität ist, die die Welt zerstört. Ich komme mit vielen Privilegien aus dem gehobenen Bürgertum. Mein Vater war früher Partner bei Baker & McKenzie, also einer zutiefst neoliberalen Wirtschaftsrechtkanzlei. Und ich sitze in einer Eigentumswohnung, die mit seinem Blutgeld gekauft wurde. Ich habe einen Doktorgrad, bin verheiratet und habe einen Job in einer Stiftung. Jetzt werde ich BDSM-Hure für Klimagerechtigkeit. Von den gesellschaftlichen Rändern kann man die härtesten politischen Angriffe starten, weil man von da aus den Normalwahnsinn am besten entlarven kann.

Und zweitens?

Meine These ist: Was uns in den progressiven Bewegungen fehlt, sind positive kulturelle Erzählungen. Wir sind verkopft. Aber eigentlich geht es doch darum: Wie kann das Leben geiler sein, mehr Spaß machen, mehr kicken, mehr rocken?

Mit weniger Stress, mehr Kunst, mehr Fürsorge werben viele, die wie Sie das kapitalistische und planetenaufheizende Wirtschaftswachstum ablehnen. Und Ihre Antwort ist: mehr Sex?

Ich gehe mit allen genannten Punkten mit. Aber wir müssen auch Scheu und Scham vor Körperlichkeit ablegen. Das macht die Klimabewegung teilweise schon, beim zivilen Ungehorsam stellen wir ja auch schon Körper in den Vordergrund. Aber jetzt denke ich mir, mein Körper ist doch nicht nur ein Poller zwischen einem Kohlekraftwerk und der Polizei oder zwischen Nazis und einem Flüchtlingsheim. Mein Körper liebt, lebt, tanzt, fickt, küsst. Auch das muss Platz in der Politik haben.

Auf Fridays-for-Future-Demos sieht man Sie auch ab und zu von Ihrem Mann an der Leine geführt, in der Hand ein Schild mit der Aufschrift „Faggots for Future“...

Wie wir da aufgenommen wurden! Wir wurden dafür mega abgefeiert. Da haben wir gemerkt: Wir können Glitzer, Lebensfreude und Hedonismus in eine Generation mitbringen, die aus extrem guten Gründen viel Angst hat. Und gleichzeitig wollen wir unsere fellow gays davon überzeugen: Wir als schwule Männer müssen Teil von Gerechtigkeitsbewegungen werden.

Das ist ja nicht unbedingt neu, oder?

In den Siebzigern war das schon mal so. Aber diese Männer starben alle in den Achtzigern durch die Aids-Krise. Jetzt haben wir Schwulen uns ein bisschen zurückgenommen. Aber ich finde, wir können nicht nur sagen, hey, wir machen halt hier unser Rosa-Geld-Ding und bleiben in unserer Szene. Aus Solidarität, aber auch im eigenen Interesse. Diese Räume werden wir nicht mehr haben, wenn nicht die Progressiven, sondern die Nazis gewinnen. Die politisieren Körperlichkeit übrigens auch, aber auf eine brutale, vernichtende, tötende Weise. Du bist frustriert, du fühlst dich machtlos? Geh' mal ein paar Migranten klatschen. Die liefern einfache, schnelle Ermächtigungsgefühle. Dem müssen wir eine emanzipatorische Erzählung entgegenstellen.

Wie sieht die aus?

Sex ist Ekstase und Befreiung. Und Sex ist transformativ, besonders queerer Sex. Ich war früher auch schon mit einer Frau zusammen. Before I found out some important stuff about myself. Bei Hetero-Sex wird vieles einfach als normal angenommen. Beim queeren Sex ist das anders. Wer oben ist, muss immer verhandelt werden. Beim BDSM ist das noch mal krasser, weil man dort Machtverhältnisse durchspielen und durch ein Wort – das sogenannte Safe Word – wieder auflösen kann. Man erfährt dabei auf ganz direkte Weise, dass Machtverhältnisse veränderbar sind.

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