SPD-Chef über Coronabonds: „ESM-Kredite gelten als Hartz IV“

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans will jetzt schnelles Geld für die EU – und später Coronabonds. Er hofft auf Hilfe der Kanzlerin.

Portrait von Norbert Walter-Borjans

„Pragmatismus statt Prinzipienreiterei“: Norbert Walter-Borjans Foto: Kay Nietfeld/dpa

taz: Herr Walter-Borjans, braucht die EU jetzt schnell Coronabonds?

Norbert Walter-Borjans: Die EU und vor allem die von Corona besonders betroffenen Partner Italien und Spanien brauchen jetzt, genauso wie wir auch, sehr schnell sehr hohe Kredite mit möglichst langer Laufzeit. Kein Staat ist schuldhaft in diese Pandemie geraten. Und keiner kommt allein da heraus.

Mit Coronabonds?

Eine gemeinschaftlich garantierte Anleihe wäre jetzt der beste und solidarischste Weg.

Olaf Scholz setzt auf den ESM – und nicht auf gemeinsame Anleihen. Reicht das?

Der ESM ist momentan das Instrument, das am schnellsten für Hilfe sorgen kann. In der Form, wie Olaf Scholz das jetzt vorantreibt, nämlich ohne die unerfüllbaren Konditionen der Vergangenheit, ist das ein pragmatischer Weg. Den sollten wir gehen.

Aber reicht das?

Wir sollten auch im eigenen Interesse weiterdenken. Wie in Deutschland brauchen wir ein Volumen, das dazu beiträgt, die hohe Verunsicherung zu mindern. Dazu kommt, dass ESM-Kredite anders als Coronabonds die Schuldenquote der Empfänger erhöhen. Das führt früher oder später zu neuen Problemen. Das Instrument ist bei den Menschen in den Empfängerstaaten verpönt. Da gilt es als eine Art Hartz IV für bedürftige Mitgliedstaaten. Es geht also nicht nur ums Materielle, sondern auch um Partnerschaft auf Augenhöhe. Deshalb müssen wir über das jetzt Machbare hinausdenken. Es geht jetzt wirklich um die Zukunft ganz Europas – auch um unsere.

ist SPD-Chef. Der 67-Jährige war von 2010 bis 2017 Finanzminister in Nordrhein-Westfalen.

Wenn ESM-Kredite in Südeuropa als eine Art Hartz IV gelten – dann muss Deutschland doch jetzt in der EU massiv für Coronabonds werben. Warum tut es das nicht?

Weil wir jetzt einfach nicht genügend Zeit haben, das durchzusetzen, obwohl es arbeitgeber- und arbeitnehmernahe Wirtschaftsexperten genauso empfehlen wie Vertreter von Wirtschaft und Gewerkschaften und die Mehrzahl der Mitgliedstaaten. Die Devise muss jetzt sein: Pragmatismus statt Prinzipienreiterei, aber das prinzipiell Richtige nicht aufgeben.

Ziehen Sie und Olaf Scholz, der ja auf ESM setzt, da am gleichen Strang?

Ja, weil sein Plan auf schnelle Wirkung und breite Zustimmung setzt und die Maßregelung für die Empfängerstaaten, wie sie nach der Finanzkrise mit dem ESM verbunden war, ausschließt. Er hat jetzt jede Unterstützung dabei verdient. Die Chancen dafür stehen gut.

Also jetzt ESM-Gelder – und Coronabonds später?

Ja. Spätestens mit dem Abklingen von Corona braucht Europa ein massives Konjunkturprogramm. Dann stoßen die bisherigen Instrumente an ihre Grenzen. Mit mir meinen viele Sozialdemokraten im EU-Parlament und in der Bundestagsfraktion, dass Coronabonds dann eine geeignete Lösung sind. Entscheidend ist aber das Ergebnis: zu begreifen, dass Europa nur in einer Gemeinschaft auf Augenhöhe eine Chance hat. Jeder für sich macht in wenigen Jahren nur noch einen Promilleanteil an der Weltwirtschaft aus. Auch Deutschland.

Die Union ist vehement gegen gemeinsame Anleihen. Sind Coronabonds mit der Union machbar?

Das ist ein Fall, in dem die Hoffnungen Richtung CDU und CSU auf der Kanzlerin ruhen. Wenn die Einheit Europas auf dem Spiel steht, wird der Druck auch aus der Wirtschaft zunehmen, die Potenz Deutschlands nicht zu überschätzen. Dann könnte es durchaus sein, dass Angela Merkel eine Corona­anleihe plötzlich für alternativlos erklärt. Meine Unterstützung hätte sie dann.

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