Migrationsforscherin über Rassismus: „Eine besorgniserregende Zahl“

Islamfeindliche Einstellungen sind oft mit dem sozialen Aufstieg von MuslimInnen verknüpft, sagt Migrationsforscherin Yasemin Shooman.

Portrait von Yasemin Shooman

Unter anderem Gutachterin im Sarrazin-Parteiausschlussverfahren: Yasemin Shooman Foto: Jule Roehr

taz: Frau Shooman, laut aktuellen Zahlen der Bundesregierung wird im Schnitt jeden zweiten Tag eine Moschee, Religionsstätte, Einrichtung oder ein religiöser Repräsentant islamfeindlich angegriffen. Überrascht Sie diese Zahl?

Yasemin Shooman: 184 im Jahr ist auf jeden Fall eine besorgniserregende Zahl. Ich vermute aber, dass die eigentliche Zahl noch höher liegt, vieles wird ja nicht gemeldet. Bei neuen Erfassungskategorien wie dieser gibt es zudem anfänglich immer eine gewisse Fehleranfälligkeit, was die Einordnung angeht.

Die Gesamtzahl der islamfeindlichen Übergriffe ist von 2017 auf 2018 gesunken, der Anteil der Gewaltdelikte aber gestiegen. Was sagt uns das?

Die Frage ist: Gibt es eine Enthemmung am rechten Rand, gegenüber Minderheiten Gewalt anzuwenden? Hierfür müssen wir die Erkenntnisse einordnen in den größeren Kontext gewaltförmiger Hasskriminalität.

Wieso ist das wichtig?

Menschen, die Muslime hassen, hegen oftmals auch feindliche Einstellungen gegenüber Schwarzen, Juden oder Sinti und Roma. Jedes dieser Phänomene hat seine Spezifika. Sie korrelieren aber auch, deswegen ist es wichtig, sie nicht isoliert zu betrachten.

Die Bundesregierung sagt, antimuslimischer Rassismus sei eine Art „gemeinsamer Nenner“ der ansonsten sehr heterogenen extremen Rechten. Woran liegt das?

Ich würde das auf den Rechtspopulismus ausweiten. Es ist eine Modernisierungsstrategie: Statt „Ausländer raus“ sagt man jetzt: „Islamisierung stoppen“. Die Rechte hat damit die Anschlussfähigkeit an die Mitte der Gesellschaft gesucht und zum Teil auch gefunden. Wir wissen aus Studien, dass breite Teile der Bevölkerung dem Islam und Muslimen gegenüber ablehnende Einstellungen haben. Paradoxerweise äußern diese sich oft im Zusammenhang mit sozialer Mobilität nach oben.

Inwiefern?

Solange Moscheen sich in Hinterhöfen befinden, rufen sie kaum Abwehr hervor. Das ändert sich sofort, wenn repräsentative Gotteshäuser gebaut werden, die Muslime als sichtbare Mitglieder der Stadtgesellschaft ausweisen. Wir haben das gleiche Phänomen bei der teils heftigen Anfeindung gegen muslimische Bürgermeisterkandidaten gesehen. Und in einer aktuellen Studie des DeZIM-Instituts stimmte mehr als ein Drittel der Befragten der Aussage zu, sie hätten ein schlechtes Gefühl, wenn immer mehr Muslime in wichtige Führungspositionen auf dem Arbeitsmarkt kämen. Während man Muslimen vorwirft, sie würden sich nicht integrieren, ruft genau diese sich vollziehende Integration eben auch Abwehr hervor.

39, ist Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM-Institut). Sie war Gutachterin im Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin.

Bei der Antidiskriminierungsstelle gehen die meisten Beschwerden über islamfeindliche Diskriminierung von Frauen ein. Woran liegt das?

Ich kann nicht sagen, inwiefern vielleicht auch die Meldebereitschaft bei Frauen höher ist. Sicher ist: Muslimische Frauen sind eine besonders vulnerable Gruppe, bei der mehrere Diskriminierungsmerkmale ineinander greifen. Und gerade Kopftuch tragende Frauen sind durch dieses sichtbare Merkmal, das wie ein Stigma wirkt, überproportional betroffen. Es gibt Studien, die zeigen, dass eine Frau mit Kopftuch und türkischem Namen bei gleicher Qualifikation viereinhalbmal so viele Bewerbungen schreiben muss wie eine Frau ohne Kopftuch mit deutschem Namen, um zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.

Sind Frauen noch mal ganz spezifisch von antimuslimischem Rassismus betroffen?

Einerseits existiert nach wie vor das Stereotyp der unterdrückten Muslimin, mit dem sich Frauen häufig konfrontiert sehen. Hinzu gesellt sich seit einigen Jahren der rechtsextreme Topos einer demografischen Bedrohung und damit das Bild der gefährlichen, permanent gebärenden Muslimin. Hier wäre zu fragen, wie sich das auf die Gewaltvorfälle auswirkt, wenn zum Beispiel schwangeren Frauen mit Kopftuch in den Bauch geboxt wird, wie zuletzt wiederholt geschehen.

Was kann man tun?

Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion über antimuslimischen Rassismus, das Phänomen muss ernster genommen werden. 2016 hat ein Attentäter in Dresden eine Moschee mit Rohrbomben angegriffen, nur durch Zufall sind der Imam und seine Familie unverletzt geblieben. Das hat keine große Debatte und auch keine große Solidarität ausgelöst – obwohl der Täter ganz klar die Absicht hatte, Menschen zu töten.

Und was fordern Sie konkret?

Analog zu den Expertenkreisen zu Antisemitismus und Antiziganismus sollte es eine Expertenkommission geben, die Handlungsempfehlungen im Bereich Muslimfeindlichkeit und auch eine Arbeitsdefinition formuliert. Diese wäre auch wichtig für ein notwendiges Monitoring muslimfeindlicher Vorfälle. Eine solche Dokumentation könnte helfen, das Phänomen sichtbarer zu machen. Wir sehen nämlich an Debatten wie der um Thilo Sarrazin, dass es noch viel Verständigung darüber bedarf, wo die Abwertung und Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder auch bloß zugeschriebenen muslimischen Religionszugehörigkeit anfängt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.