Carola Rackete beim Kapitänstag: „Es ist eine Solidaritätskrise“

Carola Rackete forderte am Freitag auf dem Kapitänstag in Bremen ihre Kolleg*innen zum Handeln auf. Sie erntete viel Applaus.

Carola Rackete

Carola Rackete, Kapitänin und Sea-Watch-Aktivistin, während des 55. Bremer Kapitänstages Foto: dpa

BREMEN taz | Er habe das schon öfter gemacht, sagt der Kapitän Klaus Thormähler, ja, er könne das ganz gut: Er ist derjenige, der die Glocke schlägt und damit den 55. Kapitänstag in Bremen einläutet. Zur Europahymne „Ode an die Freude“ ziehen die Gäste vom Vorempfang in die obere Halle des Bremer Rathauses. Der Kapitänstag ist eine jährlich in der Hansestadt stattfindende Veranstaltung der bremischen Hafenvertretung für Kapitäne und leitende Ingenieure in den Bereichen Luft- und Seefahrt.

Mehrere hundert Teilnehmer in dunklen Anzügen, Abendkleidern und Kapitänsjacken sitzen an langen Tischen, plaudern mit ihren Nachbar*innen, lauschen den Reden aus Politik, Wirtschaft und Seefahrt und genießen gutes Essen. Neben dem Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte hält auch sein Amtskollege aus Hamburg, Peter Tschentscher (beide SPD), eine Rede.

Doch das Besondere an diesem Abend sind nicht die alten Männer in Anzügen, sondern eine junge Frau mit Dreadlocks: Die „Sea-Watch 3“-Kapitänin Carola Rackete. Sea-Watch ist ein Verein, der eigene Schiffe unterhält und Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot rettet.

Rackete sorgte erst jüngst für internationales Aufsehen, als sie trotz eines Verbots des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini mit 53 Flüchtlingen an Bord der „Sea-Watch 3“ in den Hafen der Mittelmeerinsel Lampedusa einlief. Die Lebensumstände an Bord seien untragbar gewesen, sie hätte Suizide befürchtet, sagte Rackete damals.

Carola Rackete

„Unsere Schiffe brauchen Fachpersonal und die Menschen auf den Schlauchbooten brauchen unsere Schiffe!“

„Ich werde nicht darüber diskutieren, ob Seenotrettung richtig ist“, ruft Rackete den Gästen zu. Menschen im Mittelmeer zu retten sollte die Aufgabe der europäischen Union sein und nicht die von Nichtregierungsorganisationen. Dementsprechend begrüße sie, dass die Bundeskanzlerin wieder eine staatlich organisierte Seenotrettung fordert und auch dass die Stadt Bremen eine der ersten gewesen sei, die sich zum sicheren Hafen erklärt hat. Es müssten allerdings mehr Taten folgen als Worte.

30.443 Euro an Spenden

Ende 2018 hatten die drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin erklärt, „sichere Häfen“ bleiben zu wollen. Es war eine politische Absichtserklärung, sich weiterhin für die Versorgung und Integration von Flüchtlingen einzusetzen. „Wir haben den Menschen so gut wie möglich geholfen, hier ein zu Hause zu finden“, sagt der Bremer Bürgermeister Bovenschulte auf dem Kapitänstag und erntet damit Applaus.

Doch Rackete stellt das Thema in einen größeren Kontext: Vor allem die Menschen im globalen Süden würden unter den Auswirkungen der Lebensweise der privilegierten Länder leiden. „Es ist keine Flüchtlingskrise, es ist eine Solidaritätskrise“, sagt sie. Eine Person beginnt zu applaudieren, schnell ist es wieder still.

Rackete fragt ihre Zuhörer, wie man sich fühle, wenn man im Mittelmeer auf einem Schlauchboot sitzt und nicht schwimmen kann? Und ob sich die Anwesenden jemals in ein solches Boot setzen würden? Sie beantwortet ihre eigene Frage: vermutlich nicht. Deswegen bittet sie ihre Kolleg*innen, ebenfalls zu handeln: „Unsere Schiffe brauchen Fachpersonal und die Menschen auf den Schlauchbooten brauchen unsere Schiffe!“

Am Ende ihrer Rede erheben sich die Anwesenden und applaudieren. 40 Minuten später haben die Veranstalter 30.443 Euro an Spenden für Sea-Watch und die Bremer Seemannsmission gesammelt.

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