Angstdebatte nach Tötung in Frankfurt: Wessen Sicherheit geht vor?

Nach der Tötung in Frankfurt wächst die Angst. Menschen sorgen sich wegen vermehrter Tötungsdelikte um ihre Sicherheit – auch in Hessen.

Ein ICE fährt am Morgen fahrplanmäßig am Bahnsteig 7 im Frankfurter Hauptbahnhof ein

Normalität nach der Tötung: Ein ICE fährt am Morgen fahrplanmäßig im Frankfurter Hauptbahnhof ein Foto: dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Vorbeieilende Menschen. Der Duft von Kaffee und Gebäck. Am Dienstag herrschte wieder normaler Betrieb am Frankfurter Hauptbahnhof. Der Zugverkehr hatte sich seit dem Abend des Vortags normalisiert.

Doch normal ist in Frankfurt seit dem Tod eines achtjährigen Jungen nichts. Immer wieder kommen Menschen zum Gleis, an dem am Montagmorgen ein 40-jähriger Mann den Jungen und seine Mutter vor einen einfahrenden ICE stieß. Sie legen Blumen nieder. Unbekannte haben im Internet zu einer Mahnwache aufgerufen. Die Menschen sind geschockt, erschüttert. Sie haben Angst. „Ich bin entsetzt, was mittlerweile in Deutschland abgeht“, sagt eine Frau dem Hessischen Rundfunk.

Gedenkbilder mit schwarzen Schleifen auf Instagram. Tausende Gedenktweets und -posts und Beileidsbekundungen. Die Menschen fragen sich, ob sie noch sicher reisen können. Erst am Samstag voriger Woche war im nordrhein-westfälischen Voerde eine junge Mutter vor einen Regionalzug gestoßen worden und ums Leben gekommen. Die Attacken haben erneut eine Debatte über Sicherheit an Bahnhöfen ausgelöst. Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor Nachahmungstätern.

Neue Konzepte für alle Bahnhöfe in Deutschland müssten her. Was genau gemeint ist, kann man sich eigentlich schon denken: mehr Überwachung und strengere Kontrollen. Mehr Racial Profiling? Rechte Politiker*innen instrumentalisieren schon wenige Stunden später die Tat, um gegen Geflüchtete und die Asylpolitik zu hetzen. Sternstunde für Populist*innen.

Jetzt hat Bundesinnenminister Horst Seehofer seinen Urlaub abgebrochen. Er will sich „angesichts mehrerer schwerwiegender Taten in jüngerer Zeit“ in Berlin mit den Sicherheitsbehörden beraten. Soweit nötig stelle er dem Land Hessen jede Unterstützung zur Verfügung. Was genau ihn dazu bewogen hat, gerade jetzt seinen Urlaub abzubrechen, wird nicht weiter ausgeführt.

Beamt*innen und rechtsradikale Netzwerke

Denn Angst haben die Menschen in Hessen schon länger. Immer häufiger sind hier Drohungen und Angriffe aus der rechten Szene bekannt geworden. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist gerade mal acht Wochen her. Der Täter, Stephan E., ein bekannter und gut vernetzter Neonazi. Ein verurteilter Straftäter, der den Sicherheitsbehörden bekannt war. Und auch der versuchte rassistische Mord von Wächtersbach ist noch omnipräsent. Auch hier agierte ein bekannter Rechtsradikaler. Er kündigte seine Tat an und erzählt danach in einer Kneipe davon. Doch keiner von den Gästen reagiert.

Der Kneipenbesitzer teilt selbst regelmäßig rechte Propaganda auf Facebook. Weniger bekannt ist der Fall von Christian K. Dieser hatte 2017 in Frankfurt auf der Zeil, Frankfurts großer Einkaufsstraße, eine Frau mit Kopftuch rassistisch angegriffen und schoss den Helfern dann mit einer Reizgaspistole ins Gesicht. Vor Gericht wird die rassistische Motivation des Angeklagten jedoch ausgeblendet.

Hinzu kommen die Verstrickungen von Beamt*innen des hessischen Polizeiapparats in rechtsradikale Netzwerke. Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız erhält seit genau einem Jahr Morddrohungen, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet werden. Ein Beamter wird festgenommen.

Welche „schwerwiegenden Taten“ sind gemeint?

In ganz Deutschland werden immer wieder neue Fälle über mutmaßlich extrem rechte Tendenzen bei der Polizei oder in Sicherheitsbehörden bekannt. Allein in Hessen laufen deshalb 38 Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen. Organisationen wie die ISD Frankfurt (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) kritisieren seit Monaten das Verhalten der Polizei und verlangen Aufklärung. Vermehrte Kontrollen von BIPoC, Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt gegen junge Frankfurter*innen of Color stehen an der Tagesordnung. Wie am vergangen Wochenende auf der Zeil, als eine Gruppe Jugendlicher von der Polizei brutal angegangen wird.

Gut, dass Seehofer jetzt aus seinem Urlaub zurück ist. Bleibt zu hoffen, dass er auch wirklich alle „schwerwiegenden Taten in jüngerer Zeit“ lückenlos aufklärt. Umfassende Aufklärung wünschen sich die Menschen in Hessen spätestens seit der Verstrickung des „Verfassungschützers“ Andreas Temme mit dem NSU-Komplex und den Mord an Halit Yozgat.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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