Debatte Gelbwesten und Klimaziele: Öko korrekt, sozial ungerecht

Wenn Klimapolitik die soziale Spaltung vertieft, richtet sie sich gegen sich selbst. Das zeigen die Proteste in Paris. Der Klimagipfel könnte daraus lernen.

Wasserstrahlen fallen über einen Mann, der am Boden kniet. Er wird nicht getroffen.

Diese Wasserstrahlen sind nicht gegen Dürre im Einsatz, sondern gegen Gelbwesten in Paris Foto: dpa

Brennende Autos auf den Champs-Elysées, der Arc de Triomphe mit Graffitti bemalt, mehrere Tote und Dutzende Schwerverletzte – im Vergleich mit den französischen Ereignissen wirkt der Hamburger G20-Protest wie ein Kindergeburtstag. Gewiss, in den Aktionen der Gelbwesten entlädt sich eine lang aufgestaute Wut, es werden viele politische Süppchen auf ihren Feuern gekocht, und auch die schlichte Freude an Gewalt ist nicht zu übersehen. Trotzdem sollte man auch den klimapolitischen Anlass der Eskalation näher betrachten.

Während sich ExpertInnen und Regierende aller Länder in Kattowitz (Katowice) zur Weltklimakonferenz versammelt haben, verweist sie der Blick nach Paris auf die Risiken und Nebenwirkungen ihres Tuns. Schließlich sind auch die Gegner jeglicher Klimapolitik längst in der Offensive: ­Donald Trump etwa begründet seine Unterstützung für den mörderischen saudischen Prinzen ungeniert mit dem Interesse an niedrigen Benzinpreisen in den USA. Die Klimafrage ist im Zen­trum der globalen Politik angekommen.

„Benzinwut“. Der 5-Mark-Beschluss der Grünen hat vor nunmehr 20 Jahren die WählerInnen in Rage versetzt, und die meisten deutschen KlimaschützerInnen lassen seither die Finger von den Spritpreisen. Dabei scheint die Sache längst geklärt: Wenn es keine Benzinsteuer gibt, nutzen die Autofahrer die Erdatmosphäre als kostenlose Abgasdeponie. Umweltnutzung und Ressourcen-verbrauch müssen deshalb teurer werden, damit die Menschheit weiterexistieren kann. Und muss im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft nicht jede und jeder auf manche Dinge verzichten?

Die Umweltökonomie will also den Ressourcenverbrauch anstelle der Arbeit besteuern. Umweltbelastung soll in die Preise eingerechnet werden, damit diese dann „die Wahrheit“ sagen. Nur hat diese „Wahrheit“ nicht für alle den gleichen Klang. PendlerInnen in ländlichen Regionen sind auf das Auto angewiesen, während Pariser Büroangestellte mit der U-Bahn kommen. Die Angehörigen der „oberen Mittelschicht“ kostet eine Spritsteuer nicht einmal ein Promille ihres Haushaltsbudgets, während die Pflegekraft mit zwei Kindern im Prozentbereich dabei ist. Die mobile Freiheit der „kleinen Leute“ wird eingeschränkt, während die Besserverdienenden unbesorgt so viel fahren, wie sie wollen. Die Ungerechtigkeit ist inzwischen auch der französische Regierung aufgefallen. Nur gelingt es nicht mehr, die Situation mit sozialen Maßnahmen zu beruhigen – es fehlt inzwischen an sozialer Glaubwürdigkeit.

Steuererhöhung bedient klassisches Narrativ

Zur politischen Wirkung der Gilets ­jaunes in Frankreich trägt bei, dass die Steuererhöhung ein klassisches Narrativ der extremen Rechten (und von Teilen der populistischen Linken, die brav in der zweiten Reihe mitlaufen) bedient: Die Regierung will von „uns“, den einfachen Franzosen (oder Deutschen …), mehr Geld. Also reden die Eliten von der Rettung des Weltklimas und der Zukunft der Menschheit, während sie tatsächlich nur den Staatssäckel füllen und die kleinen Leute abzocken. „Wer ‚Menschheit‘ sagt, will betrügen“, schrieb vor mehr als 80 Jahren ein Lieblingsautor der extremen Rechten, der deutsche Jurist Carl Schmitt. Gewiss, man kann ihm entgegenhalten: Betrügen will, wer aus Machtversessenheit die gemeinsame Verantwortung der Menschheit für die Begrenzung des Klimawandels leugnet. Nur helfen rationale Argumente wenig, wenn der Staat den BürgerInnen ans Portemonnaie will und dabei einmal mehr den Reichen nicht wehtut.

Dabei geht es auch anders – etwa in der Schweiz. Auch dort wurde vor einigen Jahren der Strompreis durch eine Abgabe erhöht. Je mehr Kilowattstunden jemand verbraucht, desto mehr muss er oder sie bezahlen. Allerdings landet das Geld nicht im Staatshaushalt, sondern es wird in einem eigenen Topf gesammelt und am Ende des Jahres an die BürgerInnen zurückverteilt. Dabei bekommt dann jeder Mensch gleich viel. Wer viel verbraucht und viel eingezahlt hat – das sind in aller Regel die Bessergestellten – macht Verlust. Die kinderreiche Familie mit niedrigem Pro-Kopf-Verbrauch hingegen macht Gewinn. Ein Ökobonus für alle zum Jahresende und eine (moderate) Umverteilung von oben nach unten – auch so kann die klimapolitisch erwünschte Verteuerung des Ressourcenverbrauchs aussehen.

Lenkungsabgaben wie der schweizerische „Umweltbonus“ oder Pfandsysteme wie das deutsche Dosenpfand, das eine ähnliche Wirkung entfaltet, gelten in der Mainstreamökonomie als nicht „elegant“. Sie sind neu und aufwendig, bringen dem Staat kein Geld, und die Rückverteilung kann kompliziert sein. Steuern hingegen sind einfach, es gibt sie seit Tausenden von Jahren. Wie es mit derartiger finanzpolitischer Grobmotorik gelingen soll, die unterschiedlichen Ressourcenverbräuche im eigentlich notwendigen Umfang sozial verträglich zu begrenzen, verraten die Anhänger der (umwelt-)ökonomischen Korrektheit allerdings nicht. Eine Debatte wäre überfällig – und es gäbe viele Gründe, die staatliche Finanzverwaltungen für das Zeitalter der digitalen Wirtschaft und des Klimawandels fit zu machen.

Wenn Klimapolitik die soziale Spaltung vertieft, richtet sie sich gegen sich selbst, am Ende also auch gegen den Klimaschutz. Sage niemand, es gebe keine Alternativen: Die CO2-Emissionen des Verkehrs lassen sich auf unterschiedlichste Weise vermindern, von der Förderung der Elektromobilität über Verbrauchsnormen für die Hersteller, eine stärkere Progression gemäß Verbrauch bei der Kfz-Steuer bis hin zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs und einer Infrastrukturpolitik, die den Namen verdient. Benzinsteuern zu erhöhen ist natürlich einfacher. Nur zeigt der Blick nach Paris, dass es für die KlimapolitikerInnen an der Zeit ist, sich von einfachen Ideen zu verabschieden. Klimapolitik ist ein globales Problem, an dem alle beteiligt sind. Deshalb wird man auch alle einbeziehen müssen. Denn am Ende geht es um die politische Macht.

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