Bauernvertreter über Milchpreis-Krise: „Aldi nutzt Bauern gnadenlos aus“
Der Discounter muss auf eine geringere Milchproduktion drängen, sagt Bauernsprecher Ilchmann. Deshalb seien Blockaden von Aldi-Lagern okay.
taz: Herr Ilchmann, Sie haben diese Woche mit anderen Bauern ein Aldi-Lager in Ostfriesland blockiert. Sind die Discounter schuld, dass die Milchpreise niedriger als die Produktionskosten sind?
Ottmar Ilchmann: Der Einzelhandel ist einer der Verursacher der Krise. Auch Aldi nutzt das Überangebot an Milch und die Not der Bauern gnadenlos aus. Der Discounter hat ja im April die Trinkmilchpreise so weit runterverhandelt, dass die Bauern teilweise nur 20 Cent pro Liter bekommen – wir bräuchten mindestens 40 Cent.
Wenn Aldi die Preise nicht senkt, tut das Lidl, oder?
Ja. Die Ursache der Preiskrise ist, dass die Bauern mehr produzieren als nachgefragt wird. Aber Einzelhändler wie Aldi profitieren davon, weil sie dadurch billige Lockvogelangebote machen können. Aldi hat sich nach unserer Blockade ja zu einer Presseerklärung genötigt gefühlt, wie Leid es ihnen tue, dass die guten deutschen Milchprodukte ihren Preis am Markt nicht finden. Aber das sind Krokodilstränen.
Warum?
Aldi könnte bei den Molkereien darauf drängen, dass die Produktionsmenge reduziert wird. Wenn ihnen wirklich am Überleben der Landwirtschaft in Deutschland gelegen ist, dann könnten sie unmoralische Angebote der Molkereien zurückweisen und sagen: Wir legen 5 Cent pro Liter drauf; mit diesen 5 Cent müsst ihr Molkereien den Bauern, die weniger liefern, einen Ausgleich zahlen. Das wäre auch ein super Imageprojekt für die Händler. So etwas läuft ja in Frankreich. Auch deshalb ist das Preisniveau dort wesentlich höher als bei uns.
Dann wäre die Milch bei Aldi teurer, so dass Kunden zur Konkurrenz gehen.
Nicht, wenn das geschickt und genug beworben wird. Die Kunden sagen ja in Umfragen, sie würden mehr zahlen, wenn es den Bauern zugutekommt. Das könnte man ja mal austesten.
Der 54-Jährige ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Niedersachsen und Bremen. Er hat einen konventionellen Hof mit 60 Milchkühen und 60 Hektar Land.
Auch in Frankreich sind die Preise gesunken. Deshalb blockieren dort Bauern Molkereien. Welche Rolle spielen die deutschen Molkereien?
Verschiedene österreichische Molkereien haben mehrere Prozent Milch vom Markt genommen durch ein Bonus-Malus-System. Auch FrieslandCampina in Holland hat so etwas praktiziert. Auch eine deutsche Molkerei wie das Deutsche Milchkontor (DMK) sollte endlich Anreize für ihre Produzenten schaffen, die Mengen zu reduzieren. Das DMK ist ja Marktführer, hat weit über ein Viertel der deutschen Milchmenge, gleichzeitig ist es die Molkerei mit dem bundesweit schlechtesten Auszahlungspreis.
Werden Sie als nächstes eine Molkerei blockieren?
Das wäre nicht das erste Mal, denn auch Molkereien und namentlich das DMK mit seiner Größe haben durchaus eine sehr hohe Verantwortung für die Situation.
Das Überangebot ist möglich, weil die EU die staatliche Produktionsbegrenzung, die Milchquote, erst aufgeweicht und dann abgeschafft hat – mit tatkräftiger Unterstützung der Bundesregierung. Warum blockieren Sie nicht das Agrarministerium?
Das haben wir alles schon gemacht. Neulich haben wir uns mit Peter Bleser angelegt, dem Parlamentarischen Staatssekretär des Ministeriums. Ich habe ihm vorgeworfen, dass er als Strippenzieher der CDU-Agrarpolitik maßgeblich mitverantwortlich für die Krise ist und dass die Milchquote abgeschafft wurde ohne ein Nachfolgeinstrument. Wir kämpfen an vielen Fronten.
Haben die Landwirte selbst Schuld?
Auch die Bauern sind beteiligt. Ein guter Teil der Bauern liefert ja mehr Milch als früher. Viele haben sich verlocken lassen von den Versprechen, die Milch werde gebraucht und in China oder wo auch immer abgesetzt werden. Auch die kritisieren wir.
EU und Bund wollen nun Bauern Geld geben, wenn sie weniger produzieren. Lässt sich so das Problem lösen?
Wir fordern diesen Bonus für eine Mengenreduzierung eigentlich von den Molkereien, nicht vom Steuerzahler. Da trauen sich EU und Berlin aber nicht ran. Diesen Marktgläubigen fällt es schwer zuzugeben: Wir haben uns geirrt.
Leser*innenkommentare
the real günni
natuerlich strukturelles problem, aber eben auch psychologisches. 40, 50 cent kostet der liter milch im supermarkt. das ist jetzt mal einfach: nichts. absolut: superwenig. wuerde er 60 cent kosten, waere das immer noch: nichts. aber: 50% mehr! dass auch nicht so reiche bis ziemlich arme menschen einfach mal die red bull dose irgendwo stehen lassen und damit auch die 25cent pfand: geschenkt. zu anstrengend, die ganze zeit die leere dose rumtragen, dann klebt das ding noch, und den ganzen weg bis zum leergutautomaten, dann noch mal an der kassse anstellen: ich lass sie einfach stehen. 25cent: scheiss drauf. aber dass der konsument lieber einen weiteren weg in kauf nimmt, weil bei lidl die milch 4 cent weniger kostet, klar, das ist gottgegeben. schwierig nachzuvollziehen, aber so ist es wohl.
Khaled Chaabouté
Teil 1
Es ist äußerst wohlfeil, einer Handelskette oder, wie ebenfalls in diesem Zusammenhang oft geschehen, den Verbrauchern, die Schuld am Desaster zu geben.
Die Leute würden die Milch auch kaufen, wenn sie doppelt so teuer wäre. Im EU-Ausland ist das übrigens größtenteils der Fall, auch bei den Discountern. Es ist somit letztendlich nur eine Frage des Zusammenstehens der Molkereien und Absatzgenossenschaften bei den Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel. Wenn dort nicht gegeneinander gespielt würde, hätten Aldi & Co. kein so leichtes Spiel. Ich habe noch nicht gehört, dass Aldi billige Milch aus China importiert hätte, weil die deutschen Molkereien sich einig gewesen wären, den Milchpreis hoch zu halten. Leider ist es aber sehr wohl umgekehrt, nämlich dass billige deutsche Milchprodukte, die halbe Welt überschwemmen und genau dafür wird ein so niedriger Milchpreis benötigt. Man will schließlich in Ländern mit ohnehin schon deutlich niedrigeren Preisniveaus als in Deutschland die dortigen einheimischen Produzenten verdrängen und hat obendrein noch deutlich erhöhte Kühlkette-Transportkosten.
Khaled Chaabouté
Teil 2
Die Freigabe des Milchpreises haben die deutschen Bauern also selber zu verantworten; es wäre politisch ein Leichtes gewesen, entsprechende Gesetzte zu schaffen, um ihnen wenigstens auf dem heimischen Markt die ruinösen Folgen zu ersparen, aber man setzt ja lieber auf Finanzausgleich in Millionenhöhe, obwohl das Problem dadurch nicht vom Tisch ist. Niemand erwartet von Handelsketten, die selber im harten Wettbewerb stehen, solidarisches Verhalten, das erwarten die Bauern ja auch nicht von ihren eigenen Lieferanten. Was mit den Bauern und Molkereien in all den Ländern geschieht, die jetzt mit billigen deutschen Milchprodukten überschwemmt werden, ist den deutschen Milchbauern auch völlig egal.
Sicherlich wird der Ausweg aus diesem selbstverschuldeten Dilemma für viele deutsche Milchproduzenten, die ja zuvor gigantisch in dieses kranke System investiert haben, schmerzlich werden, aber mit ähnlichen Problemen haben andere Branchen auch zu kämpfen, sogar ohne dass ihnen von Staat und EU regelmäßig mit Milliarden unter die Arme gegriffen wird.
Gabriel Renoir
Wieso organisieren sich und streiken die Bauern nicht? Machen die Gewerkschaften ja auch....
Tom Farmer
Weil die den Streik nicht überleben würden....
Alle Kosten (Strom, Futter, Tierarzt..) laufen weiter und die Bauern müssen von was leben.
Gabriel Renoir
@Tom Farmer Ausserdem verdienen die Bauern ihren Lohn nicht mit der Milch, sondern mit den Betriebspraemien. Die machen das Einkommen aus.
Gabriel Renoir
@Tom Farmer Die koennen ein zwei Tiere verkaufen. Die vermehren sich wieder automatisch.
Ruhig Blut
Ich mag mich täuschen, aber eigentlich glaube ich nicht, dass sich viele Leute (aus Not oder aus Geiz) nur wegen dieser paar Cent für einen bestimmten Supermarkt entscheiden. Unverarbeitete Grundnahrungsmittel sind heute allgemein extrem billig im Vergleich zu allen anderen Konsumgütern, bei denen sich die Preise zudem, je nach Laden und Hersteller, viel stärker unterscheiden.
Daher nehme ich an, dass einem Konzern wie Aldi kaum ein Nachteil entstünde, wenn er den Bauern ein paar Cent mehr zahlen und sich die dann bei den Kunden zurückholen würde.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
"Der Einzelhandel ist einer der Verursacher der Krise. Auch Aldi nutzt das Überangebot an Milch und die Not der Bauern gnadenlos aus."
Ja nun, wenn es ein Überangebot ist, sinkt nunmal der Preis. Das ist so in der freien Marktwirtschaft.
Frei_Denken
Es gibt KEINE FREIE MARKTWIRTSCHAFT!!
Sollten Sie aber als Taz-Leser doch wissen :-)
Ohne durch den Staat garantierte Gewinne, investiert KEIN KONZERN!!
Siehe z.Bsp. Autoindustrie.
Auch Aldi gehört dazu. Zumal er einer der Reichsten des Landes ist und von der Politik schon immer gepampert wird.
Wir haben soften Faschismus. Kein Kapitalismus. Da wären Banken wegen der Martkwirtschaft ja PLEITE gegangen und eben NICHT durch den Steuerzahler in Krisen gerettet!!
Nicht einmal das hat die Mehrheit bis Heute begriffen!
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@Frei_Denken Herr Marx wird Ihnen weiterhelfen.
Traverso
Und immer wieder sollte man auch an Folgendes erinnern: Milch ist von Natur aus für Babies im Säuglingsalter gedacht. Bei Mensch und Tier.
Daß sich erwachsene Menschen an Kuhbabymilch ergötzen und das auch noch ganz natürlich und super gesund halten ist nur damit zu erklären, daß der Mensch mit seiner Phantasie sicherlich leckere Produkte daraus macht und der Körper sich irgendwie daran gewöhnt hat.
Das Kuhbabymilchgetrinke zu absurd niedrigen Preisen funktioniert auch deshalb, daß wohl den Meisten von uns die dahinter stehenden bestialischenTierquälereien ( auch Bio ) bis hin zur verheerenden Umweltbilanz völlig egal sind und ein Nachdenken über den Unsinn von Babymilchtrinken im Erwachsenenealter einfach zu anstrengend ist. Lieber weiter Tiere quälen lassen und gedankenlos Billigdiscounterpreise zahlen. Und ganz bequem obendrein ist es das Handeln dem Staat und der Wirtschaft allein zu überlassen.
Liberal
"Und immer wieder sollte man auch an Folgendes erinnern: Milch ist von Natur aus für Babies im Säuglingsalter gedacht."
Die Natur denkt?
"Daß sich erwachsene Menschen an Kuhbabymilch ergötzen"
Ja, schlimm aber auch, dieses niedere Tun...
"und ein Nachdenken über den Unsinn von Babymilchtrinken im Erwachsenenealter einfach zu anstrengend ist."
Korrekt, es ist mir zu anstrengend. Noch anstrengender sind jedoch Moralapostel, welche antiliberal - halb als Sittenwächter, halb als Einpersonen-Politbüro - am liebsten einen neuen Menschen erschaffen wollen und der Gesellschaft beabsichtigen vorzuschreiben, was sie "Sinnvolles" zu tun und "Unsinniges" zu unterlassen hat.
So, jetzt setze ich mich in meinen SUV und fahre gegenüber einen dicken Burger essen. Nur echt mit Übersee-Rindfleisch von Ex-Regenwald-Farmen inkl. vertriebener Indios. Denn ich stehe auf eigenen Füßen: Einem großen ökologischen Foo(d/t)print.
fhirsch
Ich kann es einfach nicht verstehen, dass jemand bei Milchprodukten so knauserig ist. Selbst wenn jemand am Tag einen Liter Milch trinkt, geht es doch hier nur um vielleicht 5 bis 10 Euro im Monat, wenn man nicht die bescheuerten Discounter-Produkte kauft. Die Leute jammern immer, dass es ihnen so schlecht geht, und dann saufen sie für das gleiche Geld Ruck-Zuck mal eben eine Maß auf dem Oktoberfest.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@fhirsch Es kann nicht jeder 5 Liter Milch am Tag trinken, nur damit die Preise wieder anziehen.
Mark_Sch
Bei Aldi anzusetzen, halte ich für falsch. Wer die Billigmilch beim Discounter kauft, interessiert sich sowieso weder für die Nöte der Bauern noch für Tierschutzfragen. Und dass Aldi die günstigen Einkaufspreise nutzt, kann man dem Unternehmen kaum vorwerfen. Es sind die Produzenten selbst sowie die Molkereien, die den Markt steuern könnten - wenn sie sich denn auf ein gemeinsames Vorgehen einigen wollten.
kalo frida
Wie sagte mal ein kluger Mann:
Milch ist gut. Fürs Kalb.
Frank Stephan
Turbokapitalismus wählen und Planwirtschaft haben wollen? Phänomenal, wie die Bauern an "ihrer" CDU kleben und die Grünen verteufeln obwohl das die einzige Partei ist, die sich für nachhaltige, familiär strukturierte Landwirtschaft einsetzt.
Georg Schmidt
kann mich noch an die Milchseen und Butterberge aus den 1970 erinneren, scheinbar hat niemand was gelernt
Manfred Stein
Maximal 17% der angelieferten Milch geht als Trinkmilch zum Konsumenten. Fast 50% werden zu Käse, 20% zu Butter und Milchpulver und 10% zu Joghurt, Sahne und Desserts verarbeitet. Ein Teil davon geht in den Export. Das reine Anheben des Preises für Trinkmilch bei ALDI bringt deshalb wenig.
Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt, Autor des Artikels
@Manfred Stein Sagt doch niemand, dass es NUR um die Trinkmilch geht. Ist doch klar, dass es um Milchprodukte allgemein geht.
Dubiosos
Dieses Rumgeheuln der Bauernlobbyisten ist schwer zu ertragen. Man tut hier so, als ob arme, arme Milchbauern, die wirklich nur das Beste wollen und Kühe auf Alpwiesen grasen lassen, von bösen Konzernen ausgenutzt werden. Und angeblich kritisiert der gute Mann ja alle: Die Händler, die Molkereien, die Politik und sogar die Bauern. Wer's glaubt...
Fakt ist doch, dass es ein Überangebot gibt. Und das gibt es, weil die Bauern viel zu viel Milch produzieren. Warum sollte man das auch noch belohnen? Nein, es ist völlig richtig diese überflüssige Milch nicht weiter zu produzieren und damit auch Tierleid zu lindern. Hier schreit der Lobbyist nach staatlicher Begrenzung, aber in Wahrheit war es doch die Gier der Bauern, die Absatzmärkte in China beliefern wollten und das hat jetzt halt leider nicht geklappt. Und dann möchte man gerne staatliche Unterstützung - Im Falle aber, es hätte Gewinne gegeben, wäre darauf sicherlich kein Bauern gekommen.
Erst haben die Bauernlobbyisten gegen die Milchquote lobbyiert und jetzt weinen Sie ihr nach. Immer schön Verluste sozialisieren und Gewinne privatisieren.
Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt, Autor des Artikels
Lesen Sie doch mal das Interview komplett, z.B. diese Antwort:
"Auch die Bauern sind beteiligt. Ein guter Teil der Bauern liefert ja mehr Milch als früher. Viele haben sich verlocken lassen von den Versprechen, die Milch werde gebraucht und in China oder wo auch immer abgesetzt werden. Auch die kritisieren wir."
Die AbL hat nie gefordert, Absatzmärkte in China zu erschließen. Das war immer nur der Deutsche Bauernverband.
Dubiosos
Erstmal finde ich es ja erfreulich, wenn der Autor des Texts hier mitduskutiert. Aber mir hier vorzuwerfen, ich hätte das Interview nicht gelesen, obwohl ich mich sogar direkt auf die von Ihnen zitierte Stelle beziehen ("und sogar die Bauern"), finde ich doch zu wenig.
In der Tat wäre aber beispielsweise ien Einordnung der verschiedenen Lobbygruppen der Bauern mal ein interessantes Kapitelthema, weil ich und bestimmt viele andere in der Tat nicht wirklich unterscheiden können zwischen den verschiedenen Lobbygruppen.
Insoifern tut mein Kommentar der AbL vielleicht Unrecht. Aber selbst wenn diese selbst nicht für neue Absatzmräkte lobbyierten, so möchte ich doch mal stark anzweifeln, dass diese Bauern ihre Gewinne gespendet hätten (oder bspws die Molkereien dann solidarisch unterstützt hätten), wenn es mit den Exporten besser geklappt hätte.