Blondinen willkommen

FREMDE Woher kommt nur diese Angst vor „großen Veränderungen“? Einst kamen Millionen Russlanddeutsche. Größer ist die jetzige Flüchtlingswelle auch nicht

Spätaussiedler bei ihrer Ankunft in Unna, 1992 Foto: Eckel/ullstein bild

von Reiner Metzger

Österreich und die Balkanländer machen ihre Grenzen für Flüchtlinge dicht. Haben sie jetzt publikumswirksam auf einem Gipfel beschlossen. Dadurch machen sie Griechenland zu einem großen Flüchtlingslager. Ist das für die betroffenen Menschen so schlimm, wie es sich anhört? Und ist das ein Angriff auf Merkel?

Die deutsche Regierung will ja die Türkei dazu bringen, die Flüchtlinge aus Syrien und anderswo in riesigen Zeltstädten vor und hinter den türkischen Grenzen einzuschließen. Die Griechen sollen dabei Teil der EU bleiben und ihre Grenzen und das Ägäische Meer nach außen abschotten. So gesehen ist die Initiative Österreich-Ungarns und der Balkanstaaten ein Affront. Aber ein für die deutsche Regierung verkraftbarer. Denn letztlich wollen die Südosteuropäer das Gleiche wie die Große Koalition in Berlin, nämlich: die Flüchtlingswelle, die Lawine, die Massen stoppen. Und zwar außerhalb ihrer Landesgrenzen.

Türkische Zäune, griechische Zäune

Manche Flüchtlinge haben die Türkei zum Ziel, um bald wieder in den Irak oder nach Syrien zurückzukehren. Viele aber wollen weiter, nach Mittel- oder Nordeuropa. Und für diese Menschen macht es nur einen geringen Unterschied, ob sie an türkischen, griechischen, österreichischen oder balkanesischen Zäunen hängen bleiben.

Die Zahl der ankommenden Migranten an der Schengen-Außengrenze in Griechenland müsse deutlich reduziert werden, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Donnerstag. Andernfalls müssten „andere Maßnahmen“ auf europäischer Ebene ergriffen werden. „Wir können auch anders!“ Dieses Signal sendet auch Deutschland seit einiger Zeit aus. Es geht ein Riss durch die Bundesregierung, durch die Parteien, die Wähler. Hier wäre es hilfreich, wenn die Debatte etwas ehrlicher wäre, wo eigentlich die Gründe liegen für diesen Riss, für den Kampf der Meinungen.

Angela Merkel in ihrer pragmatisch-humanitären Art nahm erst das Unvermeidliche hin: Niemand kriegt die Konflikte in Afrika und Asien auf die Schnelle in den Griff. Mil­lio­nen Flüchtlinge kommen. Das Beste ist, diese Realität zu akzeptieren, die Menschen aufzunehmen und dann weiter sehen.

Es dauerte ein wenig, aber dann kam bei Merkels Politkollegen wie bei ihren WählerInnen die Angst hoch. Die elementare Angst in fast allen Menschen vor Fremden und vor großen Veränderungen. Wobei: So groß ist die Veränderung gar nicht.

Das Problem offen zu benennen, wäre wichtig. Aber Rassisten durch Annäherung überzeugen zu ­wollen – politisch nutzlos

Seit 1990 haben wir 2 Millionen sogenannte Russlanddeutsche aufgenommen, 4,5 Millionen kamen in insgesamt über die Jahrzehnte aus der Ex-Sowjetunion in die BRD. Größer ist die jetzige Flüchtlingswelle auch nicht, rechnet die Bundesregierung in einer internen Prognose. Bis 2020 kommen insgesamt 3,6 Millionen Flüchtlingen, zitiert die Süddeutsche Zeitung aus dem Papier.

Über Millionen Ex-Sowjets hätten sich die besorgten Bürger von heute auch aufregen können. Taten sie aber nicht. Waren halt viele Blonde und Blondinen dabei. Jetzt kommen dunkelgelockte Araber, Afghanen mit Bärten, schwarze Männer gar. Da spalten sich die Menschen: Manche gehen auf die Fremden zu, um zu sehen, ob sie mit ihnen auskommen. Und andere verfallen in Rassismus.

Prognostiziert und handelbar

Das ist der Grunddiskurs. Da gibt es dann Leute wie den Hetzer und CSU-Chef Horst Seehofer, bei denen ist unklar, sind sie Rassisten oder nutzen sie die Situation zynisch aus für welche Ziele auch immer. Vielleicht ja beides. Jedenfalls werden diese Leute und ihr rassistischer Resonanzboden keine Ruhe geben. Viele Jahre werden sie die Integration von Ankommenden, die ihnen nicht passen, verlangsamen und zu verhindern suchen. Auch wenn die Flüchtlingszahlen im prognostizierten und damit handelbaren Rahmen bleiben. Dieses Problem offen zu benennen, wäre wichtig. Rassisten durch Annäherung überzeugen zu wollen oder aber bei den anstehenden Wahlen versuchen, den Riss in der Wählerschaft mit neuen Zäunen abzudecken, ist politisch nutzlos. Und schlimm für die Flüchtlinge.