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Neue Altkleider-Verordnung der EUGut fürs Gewissen, mehr nicht

Europa darf sich nicht das Image als Profi-Müllsortierer auf die Fahne schreiben. Denn der Müll wird am Ende doch nur anderswo hin verschoben.

Ab jetzt sollen auch kaputte Stoffstücke in die Tonne Foto: imago

N icht mehr nur die guten Kleidungsstücke sollen in die Altkleidercontainer, sondern von jetzt an bitte alle. Die EU will einen nachhaltigeren Umgang mit alten Klamotten und Textilabfällen, ein erster Schritt ist eine Verordnung, die ab dem 1. Januar in Kraft getreten ist. Seither sollen alle Textilstücke, Kleidung, Bettwäsche oder Handtücher, nun auch egal, ob zerfleddert, zerlöchert oder in Fetzen hängend, in die Altkleidercontainer gegeben werden. Nur bei starker Verschmutzung gelte das nicht. Mit der Verordnung sollen Gemeinden und Entsorger in die Pflicht genommen werden, Angebote für eine getrennte Versorgung zu schaffen. Die Hoffnung: Wenn die Textilien nur besser getrennt würden, könnte dies eine bessere Kreislaufwirtschaft ermöglichen.

Erst mal ein guter Gedanke, mehr Stoffe und Materialien in einen Zyklus zu bringen. Denn der Sieg der Fast-Fashion-Industrie hat dazu geführt, dass Textilien en masse in die Welt geblasen werden, sie ist eine echte Klima- und Umweltschleuder: Laut EU produziert die Textilindustrie mehr Treibhausgasemissionen als internationale Flüge und Schifffahrt zusammen.

Zudem benötigen die vielen Mengen an Kleidung viele Liter Wasser, Landflächen und weitere Rohstoffe. 2024 kommen auf die Kleidung ei­nes*r EU-Bürgers*in durchschnittlich neun Kubikmeter Wasser (75 volle Badewannen) sowie 400 Quadratmeter Land und 391 Kilo Rohstoffe. Mehr Nachhaltigkeit wäre dringend angesagt.

Aber bisher fehlt es eben gar nicht an Alttextilien im Umlauf, die recycelt werden könnten. Es gibt schon jetzt viel Zeug, das in Altkleider-Containern landet oder bei Rückgabe-Kampagnen großer Modehäuser. Der Großteil kommt aber nicht etwa bei Bedürftigen hierzulande an oder auf Second-Hand-Märkten, sondern in afrikanischen und asiatischen Ländern. Und nur ein Teil der alten Kleidung wird direkt in Europa entsorgt oder tatsächlich recycelt, zum Beispiel zu Füllmaterial von Autositzen oder Malervlies.

Deutschland ist Altkleider-Export-Vizemeister

Deutschland war 2021 –neuere Zahlen gibt es noch nicht – der zweitgrößte Exporteur von Altkleidern weltweit, und auch Europa exportiert laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur von 2023 mittlerweile dreimal so viel gebrauchte Kleidung wie noch vor 20 Jahren. 2019 gelangten fast 1,7 Millionen Tonnen aus der EU in andere Länder. Sie landen dann etwa in Kantamanto, dem weltgrößten Altkleidermarkt, gelegen in der ghanaischen Hauptstadt Accra.

Dort soll Kleidung verkauft und weitergetragen werden, damit verdienen viele Händ­le­r*in­nen ihr Geld. Doch The Or Foundation, eine lokale gemeinnützige Organisation, kommt zu dem Ergebnis, dass mit der neuen Verordnung 40 Prozent der Kleidungsstücke, die in Kantamanto ankommen, für die Tonne sind.

Im besten Fall nehmen dann Müllsammler jene heruntergekommenen Kleider direkt mit, teilweise werden sie aber auch vor Ort verbrannt. Im noch schlechteren Fall werden sie in inoffiziellen Deponien abgeladen und vermüllen die Strände, gelangen in Meer und Flüsse und gefährden die Gewässersicherheit.

Überproduktion ist das Problem

Dieses Müllproblem müssen Deutschland und die EU in Angriff nehmen! Denn man muss das Problem doch von dort betrachten, wo es virulent ist – niemandem hilft es, wenn wir in der EU und Deutschland mehr Textilien sammeln, sie aber am Ende mehr Schaden anrichten als Nutzen haben. Die Menschen in den Ländern, die sich bisher schon um die Endlagerstätten von Alttextilien kümmern und bereits Projekte zur Wiederverwertung anstoßen, müssen einbezogen werden.

Wir trennen Müll fürs gute Gewissen, aber fast nur dafür. Selbst die EU weiß laut Europäischer Umweltagentur nur wenig über den Verbleib der aus der EU exportierten, gebrauchten Textilien. Deutschland und Europa dürfen sich nicht ständig das Image als Profi-Müllsortierer auf die Fahne schreiben, wenn der Müll am Ende doch nur anderswo hin verschoben wird. Einen wirklichen Unterschied würde die EU-Politik dann machen, wenn sie ernsthaft dem Problem der Überproduktion begegnet und diese begrenzt.

Anmerkung der Redaktion: Am späten Mittwochabend gab es einen Großbrand am Kantamanto-Markt in Accra, dieser ereignete sich aber erst nach Verfassen dieses Textes.

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Adefunmi Olanigan
Volontärin
Seit April 2023 taz Panter Volontärin. Vorher Biochemie studiert. Schreibt gerne über Wissenschaft, Gesundheit und soziale Ungleichheit. Aktuell im Berlin Ressort.
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19 Kommentare

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  • Vielleicht sollte Europa erst mal sein Image als Profi-Müllproduzierer in Angriff nehmen.



    Aber Konsumverwahrlosung wächst rasant an, und die wahren Einflussnehmer auf das Weltgeschehen werden sich hüten, etwas dagegen zu haben. Denen sind bei ihrer Gier sogar die eigenen Nachkommen sch...egal.

  • Das ist leider so nicht korrekt.



    Die Betreiber der Sortieranlagen können die Lumpen der neuen Verordnung nicht weitergeben.



    Die landen bestenfalls im Putz.



    Das geht nur mit "reinen" Material wie Baumwolle.



    Das kommt aber nicht aus Asien...



    Also landet es in deren Müll



    120 Euro die Tonne.



    Der größte Betreiber Soex ist schon Pleite.



    Ich bange als Vintage Händler um meine Zukunft.



    Lösung wäre einfach.



    Material das recyclebar ist kein Zoll.



    Andere hoher Zoll.



    Die schicken per Flugzeug



    Bekleidung aus den Fabriken in die EU direkt an den Verbraucher.



    Der bezahlt aufgrund des niedrigen Preises keine Einfuhrumsatzsteuer und keinen Zoll.



    Wenn ich in Deutschland etwas Nachhaltiges verkaufe, führe ich Mwst ab. Ich bin als Händler gegenüber Temu im Nachteil. Der Staat hat keine Einnahmen und die Welt geht zu Grunde.



    Die Läden die Miete und Steuern bezahlen reiben sich ebenfalls die Augen.



    Die EU reagiert nicht.



    Da muss man anknüpfen.

  • Ja, die Überproduktion ist unnötig, ja, fast Fashion ist eine Fehlentwicklung.



    Aber warum ist das so?



    Weil der/die VerbraucherIn den Mist kauft.



    Verantwortlich ist hier der Konsument!



    Wir brauchen keine Bürokratie, die das Problem löst, sondern nur gesunden Menschenverstand.



    Hinzu kommt das Material.



    War in den 80ern die Kleidung überwiegend aus Naturrohstoffen, ist sie heute zum Großteil aus Kunststoffen.



    Da kann man/frau beim Einkauf eine klare Entscheidung treffen. Denn viele der Kunstfasern sind nicht recyclebar.



    Die Grundhaltung:" die Anderen sollen doch bitte die Probleme lösen", die Mensch durch Faulheit, Dummheit oder Ignoranz verursacht haben , nervt!



    Es ist an der Zeit erwachsen zu werden und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen!



    Langlebige Kleidung kaufen, wenn sie aus Europa kommt stützt sie unsere Demokratien,



    aus Naturfasern, damit sie Recyclingfähig ist.



    Und am Ende trennt nur eine Schere das



    T- Shirt von einem zweiten Leben als Putzlappen.



    Um diese Zusammenhänge zu erkennen ist kein Schulabschluss vonnöten.



    Ein guter Vorsatz fürs neue Jahr wäre:" was kann ICH tun"?, nicht schon wieder: " Wem kann ich die Schuld für ein Problem unterschieben?"!

    • @Philippo1000:

      "Wir brauchen keine Bürokratie, die das Problem löst, sondern nur gesunden Menschenverstand."

      Ausgerechnet die knappste Ressource soll uns retten?

    • @Philippo1000:

      Na ja, man sieht ja wohin das führt.



      Da muss ich leider komplett widersprechen.



      Wo Regelungen massive Vorteile für alle bringen sind sie angebracht.



      Den Menschen ohne Gewissen für ihre Umwelt können wir es nicht so einfach machen.

  • Ich bin ja drauf und dran, komplett auf Lederklamotten umzusteigen - halten ewig, müssen und können auch gar nicht gewaschen werden und Leder fällt bei halbwegs vernünftiger Öko-Landwirtschaft sowieso an!

  • "Einen wirklichen Unterschied würde die EU-Politik dann machen, wenn sie ernsthaft dem Problem der Überproduktion begegnet und diese begrenzt."

    So ist es. Fast fashion ist einer der schlimmsten Auswüchse unserer Konsumgesellschaft.

  • Es geht wohl bei der EU Verordnung gar nicht so sehr um D. Hier wird über die Sammlungen schon einiges recycelt - entweder so gut, dass es noch getragen werden kann oder als Reststoff für andere Zwecke. (Abgesehen davon, dass sich eine Reihe von Mitbürgern nicht an die Regeln der Sammlungen halten und Müll entsorgen).



    Allerdings kann es aufgrund der EU Bürokratie sein, dass die Sammlungen irgendwann nicht mehr durchgeführt werden dürfen, sondern dass es in die Hände zertifizierter (seufz) kommunaler Betriebe gegeben wird.



    Davon ab, Fast Fashion sollte verpönt sein (verbieten dürfte schwierig werden, da die Abgrenzung nicht so leicht ist).

    PS ist eigentlich die fastfashion Gruppe unter den jungen Leuten größer als die, die sich um das Klima Sorgen machen?

    • @fly:

      Kommunale Betriebe wären ja noch gut, bei uns in der Nähe stehen nur Container von der Ausbeutern von Humana rum.

  • Na guck!

    Wenigstens ist D noch immer Exportweltmeister !



    Wenigstens bei Müll und Altkleidern.



    Immerhin.

    But anyway: Früher wurden die Klamotten bei den Sammelstellen vorsortiert und und nicht mehr Tragbares in in die Faser- bzw Putzlappenproduktion gegeben.

    Und wir differenzieren noch heute die Sammelcontainer in "Gewerblich" und "Caritativ".



    Hoffentlich zu Recht.

    • @Bolzkopf:

      Das ist nicht richtig.



      Der Müll landet aus Deutschland nicht in Afrika.



      Der landet in der Tonne der Altkleider Sortierer.



      Es ist im ersten Schritt falsch.



      Der der den Schrott produziert muss dafür aufkommen.



      Das Recycling in Deutschland stirbt gerade aus 2 große Betriebe pleite.



      Deren Forderungen sind eindeutig.



      Keine Fast Fashion



      Die sind nicht das Problem.



      Der Schrottplatz ist nicht schuld an der Autoproduktion

  • "Erst mal ein guter Gedanke, mehr Stoffe und Materialien in einen Zyklus zu bringen. Denn der Sieg der Fast-Fashion-Industrie hat dazu geführt, dass Textilien en masse in die Welt geblasen werden (...) Mehr Nachhaltigkeit wäre dringend angesagt."



    Kleiner Fehler an dem 'guten Gedanken', die Fast Fashion ist derart leidig in Qualität das da wenig von geeignet ist ein 'zweites Leben' nach einem Wiederverkauf zu führen - und ob es wirklich für die Umwelt besser ist, wenn das Zeug wieder von Europa per Schiff nach Asien geschippert wird um dann dort offiziell wiederverwertet aber viel wahrscheinlicher inoffiziell auf irgendeiner Müllkippe in Malaysia verbrannt wird (Beispiele aus der Realität gibt es ja genügend für diese Praxis) ist mehr als fraglich.



    Aus meiner Sicht ist das nur ne Alibiverordnung - das Problem wird ausgelagert, aus den Augen aus dem Sinn

  • Fahrräder, Luftmatratzen, Druckerpatronen und Kondome werden bei uns entsorgt. Warum nicht auch Textilien? So blöd es klingt: Altkleider gehören in den Müll und nicht nach Ghana.

  • Europa darf sich nicht das Image als Profi-Müllsortierer auf die Fahne schreiben. Denn der Müll wird am Ende doch nur anderswo hin verschoben.



    Ist es aber nicht ein grundsätzliches politisches Konzept das auch in der Migration- und Asypolitik zu finden ist?

  • Vielleicht sollte man einmal umgekehrt und globaler denken. Wenn wir es nicht schaffen zu sortieren, weil Manpower hier einfach unbezahlbar ist, sollte man vielleicht die Technik und das Geld dafür den Leuten in Kantamanto zur Verfügung stellen, die es seit Jahren hinbekommen. Ich habe auf TikTok KI-gesteuerte Sortiersystem in Indien gesehen (allerdings für Stahlschrott), die wunderbar funktionieren, weil die Mengen dort so gigantisch sind, dass sich die Investition lohnt und die Lernkurve der KI steil ist. Was dort nun vollautomatisch sortiert wird, hat allerdings zuvor eine Heerschar von Billigarbeitern per Hand gemacht. Aber nur, weil deren Expertise schon da war, konnte die KI richtig programmiert werden.

  • Textilien sind im wesentlichen Erdöl, stark gereinigtes Erdöl allerdings, das erheblich sauberer verbrennt als z.B. Diesel und Heizöl. Die Energie deutscher Müllverbrennungsanlagen wird fast ausnahmslos genutzt und stellt unter anderem einen Teil des "erneuerbaren" Stroms und der Fernwärme. Textilien (und andere Kunststoffe) bilden zudem nur einen Bruchteil des importierten Erdöls, von dem der Großteil ohne Zwischennutzung direkt verbrannt wird. Betrachtet man den Gesamtaufwand für die getrennte Erfassung, den Transport, das Sortieren und die weitere Behandlung, wird das neue Gesetz die Schadstoff- und Kohlendioxidemission ziemlich sicher vergrößern. Ein Schildbürgerstreich par excellence. Die Weiternutzung verwendbarer Gebrauchtkleidung ist eine Sache, aber kaputtes und Abfall bleibt Müll.

    • @Axel Berger:

      @Axel Berger



      "Textilien sind im wesentlichen Erdöl"

      Das gilt aber nur für solche, die ausschließlich oder überwiegen aus Synthetikfasern bestehen!

    • @Axel Berger:

      "Textilien sind im wesentlichen Erdöl..."

      Kann man so pauschal nicht sagen. Ich habe gerade mal durchgesehen, was ich in den letzten Jahren so genäht habe. Überwiegend Stoffe mit hohem Baumwollanteil. Viele 100% Baumwolle.

  • Ja, der bundesdeutsche Stolz ist noch mehrheitlich die Müllselektion, nicht die Selbstbescheidung.

    Auch Kleidung sollte seinen Preis bezahlen (Wasser, CO2, Arbeitskraft), das sollte etwas helfen. Was wir hingegen gerade bezahlen, sind Marketing-Influencer, Verkäufer hierzulande und Dividendenempfänger.