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Medien in Zeiten der KrisenRaus aus der Erregungsfalle

Gastkommentar von

Korbinian Frenzel

Nicht nur „die Politik“ muss in angespannten Zeiten liefern, auch Medien sollten das tun. Sechs Ideen für einen konstruktiven Journalismus.

Fotojournalisten nehmen Friedrich Merz (CDU) bei seiner ersten Pressekonferenz als als Regierungschef ins Visier, 18.7.2025 Foto: Christian Ditsch/imago

E s kann nur noch besser werden, oder? Nach einem auch politisch verregneten Sommer scheint die Koalition mit dieser Resthoffnung in den „Herbst der Reformen“ zu gehen. Unter Journalistinnen, Analysten, Intellektuellen, die den Raum der öffentlichen Meinung per se kritisch bespielen, zeigen viele mittlerweile fast schon Beißhemmungen. Was, wenn es dieser Truppe um Bundeskanzler Friedrich Merz nicht gelingt? Gleichzeitig wird man den Verdacht nicht los, dass manch einer eine klammheimliche Freude über das nächste Scheitern verspürt. „Streit in der Koalition“ ist eine Schlagzeile, die immer geht. Aber geht da nicht mehr?

Journalisten müssen diese Frage an alle richten: an eine Regierung, die handwerklich besser werden darf und konzeptionell liefern muss. An Interessengruppen, die überprüfen sollten, wie viel Egoismus in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft noch geboten ist. An die „Menschen im Lande“, denen wahlweise mehr Bereitschaft zu Veränderungen abverlangt oder das Recht auf Unzufriedenheit zugesprochen wird.

Bild: Tobias Koch
Korbinian Frenzel

ist Redaktionsleiter und Moderator bei Deutschlandfunk Kultur. Er ist Autor des Buches „Defekte Debatten. Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“, gemeinsam mit Julia Reuschenbach (Suhrkamp).

Was ist eigentlich mit uns selbst, der Presse? Begleiten wir Journalisten, allen voran jene, die aus der Hauptstadt berichten, die politischen Debatten so, dass daraus Lust auf mehr erwächst? Oder eher aufs Abschalten? Tappen nicht auch wir sehr regelmäßig in die Polarisierungs- und Empörungsfallen, die aus kleinen Problemen scheinbar unlösbare machen und die jene bestens verteilt haben, die nichts Gutes im Schilde führen mit der Demokratie? Es gab Zeiten, da erschien Politik so alternativlos, dass jede mediale Zuspitzung, jede scharfe Schlagzeile wie ein dringend benötigter Debattenbeschleuniger wahrgenommen wurde.

Heute stehen wir vor der umgekehrten Herausforderung: Eine ordentliche Portion Kulturkampf, befeuert durch eine in weiten Teilen dysfunktionale digitale Debatteninfrastruktur, hat die gesellschaftliche Auseinandersetzungen derart angeheizt, dass die „Profis“ in den Redaktionen den kühleren Kopf behalten sollten. Medien sind zwar längst nicht mehr die Gatekeeper über das, was überhaupt in die Öffentlichkeit gelangt. In einer Zeit, in denen vielen immer klarer wird, wie Insta, X und Tiktok den Diskurs vergiften, haben sie aber mehr denn je eine neue Aufgabe: Ton und Fokus von Debatten zu prägen. Kann das gelingen?

Gerade wenn Bots, Fakes und gezielte Kampagnen Themen laut machen, braucht es eine antizyklische Urteilskraft

Zuallererst braucht es ein neues Selbstbewusstsein, sich von Themenkonjunkturen zu emanzipieren. Lemminghaft laufen viele in eine Richtung und leuchten die bestens angestrahlten Probleme weiter aus. Die Migration ist die Mutter aller Beispiele. Gerade wenn Bots, Fakes und gezielte Kampagnen wie im Fall der SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, Themen laut machen, braucht es nicht noch die publizistische Verstärkung, sondern antizyklische Urteilskraft. Journalismus hat mehr denn je die Aufgabe, dahin zu leuchten, wo kein Licht ist. Das gilt einerseits für Themen.

Es gilt aber – zweitens – auch für Positionen und Perspektiven: Warum passiert es uns immer wieder, Minderheitenpositionen so schwer zu ertragen? Diplomatie statt Waffen für die Ukraine? In den ersten Kriegsmonaten hatte diese Position den Status einer Dissidentenmeinung. Ähnlich verhielt es sich bei Corona, als Kritiker der Freiheitseinschränkungen allzu schnell als Querdenker markiert wurden. Wir brauchen mehr Mut, den Meinungsraum auch in den Ecken fair auszuleuchten, die unterbelichtet sind – und die sich anders im Schatten oft ungut weiterentwickeln.

Mehr Sachfragen, weniger Machtfragen

Drittens: Weniger Macht-, mehr Sachfragen wagen! Die Auseinandersetzung über die Sozialreformen lässt sich vielleicht einfacher erzählen, wenn daraus ein archetypischer Kampf zwischen Friedrich „Gürtel enger schnallen“ Merz und Bärbel „Bullshit“ Bas gemacht wird. Wer setzt sich durch, lautet allzu oft die Frage.

Besser wäre: Was ist eigentlich das Ziel? Wenn Bürgergeld, Rente, Gesundheit reformiert werden, sollten wir grundsätzliche Fragen zulassen. Etwa, warum wir so viel Geld für Soziales ausgeben, die Schere in unserem Land dennoch immer weiter auseinandergeht? Wie spannend wäre es, wenn nicht reflexhaft die immer gleichen Argumente reinszeniert würden, sondern wir uns im Zweifel überraschen und überzeugen lassen?

Viertens: Momente der Wahrhaftigkeit erkennen. Nicht alles ist Kalkül in der Politik, oft ist ein wahres Interesse dahinter, Dinge besser zu machen. Dies im Zynismus des Betriebs nicht zu vergessen und dabei gleichzeitig wachsam zu sein gegenüber den Blendkerzen der Symbolpolitik, ist ein Anspruch, dem am besten Fachjournalisten gerecht werden. Jene, die Gesetzentwürfe lesen und die langen Linien nachziehen können – und nicht den Markt der Instant-Kommentierung bedienen.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
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Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Fünftens: Von der Perfektionserwartung verabschieden! Kann es Politik geben, die zugibt, noch nicht die abschließende Antwort zu haben? Eine Ministerin, die nicht den einen alternativlosen Gesetzentwurf vorstellt, sondern unterschiedliche Lösungsansätze? Darf ein Spitzenkandidat eine Debatte anregen über die Beteiligung von Kapitalerträgen an der Gesundheitsfinanzierung, ohne gleich Freibetragsgrenzen nennen zu können? Wer das heute wagt, gilt schnell als planlos.

Dabei könnten wir Debatten- und Möglichkeitsräume öffnen, wenn wir uns aus dem etablierten Katz-und-Maus-Spiel verabschieden, in dem Politik suggeriert, perfekte Lösungen zu präsentieren, und es der Ehrgeiz von Journalisten ist, das Gegenteil zu beweisen.

Schließlich: Weniger Drama! Auf eine Kanzlerwahl, die im ersten Wahlgang scheitert, folgt nicht das Ende der Demokratie, sondern erst einmal der zweite Wahlgang. Nicht jede Umfrage muss die Fieberkurve der Berichterstattung hochgehen lassen. Und nicht jede Krise braucht neue Superlative. Wenn wir den öffentlichen Raum dauerhaft so bespielen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn es das gerne von Populisten geschürte Misstrauen stärkt: „Die“ können es nicht. Manchmal stimmt das. Aber so pauschal? Wir können das besser.

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5 Kommentare

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  • Es gab nach der ersten Wahl Trumps ne ganze Menge Analysen dazu, dass eben diese tagtägliche Empörungsberichtserstattung über jedes kleine Stöckchen und eben dieses mediale "Katz- und Mausspiel" maßgeblich für dessen Aufstieg aus dem erweiterten Kandidatenkreis zum Präsident war.



    Das waren ja jetzt ne ganze Menge Artikel hier in der taz, wo man meinen könnte, so langsam fällt der Groschen, was die Gegner der Populisten selbst besser machen müssten. Vielleicht ist kann man da ja mal was nachhaltig mitnehmen, bevor man zum Beispiel wieder Söders neueste Wurstweisheiten kommentiert.

  • Na, dann mal voran!

    Verstehen wir die Behauptung, Journalist:inen im Allgemeinen und taz-ler:innen im Speziellen könnten „das besser“, doch einfach mal als (Hypo-)These im Sinne der Wissenschaft. Als Behauptung also, die rational überprüfbar ist und bewiesen werden kann. Der Preis wäre verlockend: begründetes, geordnetes und gesichertes Wissen würde womöglich das verspielte Vertrauen zurückbringen. Früher oder später, meine ich. Wenn noch genug Zeit bleibt…

    Aber schon klar: Wissen bedeutet noch lange nicht Macht. Klimawissen etwa wird auch tapfer verdrängt. Von Hieronymus Carl Friedrich Baron von Münchhausen hat man gesagt, er hätte sich am eig’nen Haarschopf aus einem Sumpf gezogen. Die moderne Wissenschaft hat aus der Geschichte eine psychische Störung gemacht. Ihr hat wohl der Glaube gefehlt. Daran z. B., dass so etwas möglich sein könnte. Weil: Es gibt die Physik und gewisse Zusammenhänge.

    Dass Gesellschaften nach physikalischen Gesetzen funktionieren, ist bisher nicht belegt, glaube ich. Die Gedanken sind immer noch frei. An die Gravitation jedenfalls sind sie nicht sehr gebunden. Nur ans Gehirn, aber das verbraucht viel Energie. Und die ist neuerdings privatisiert.

  • Eine fast zu schöne Vorstellung von „Journalismus heilt die Welt“. Da widerspricht vieles der journalistischen Praxis, die schon zu Zeiten, als „die Medien“ noch „die Presse“ genannt wurden, gang und gäbe: ungeprüfte Nachrichten, reißerische Überschriften, Vereinfachungen, Skandalisierung usw. Die beklagten Zustände haben wenig mit den sozialen Medien zu tun, irgendeine Krise war immer und Konfliktlinien lassen sich stets zu Gräben erweitern.

    Was im Artikel leider nicht ausgeführt wird, ist die Frage, wie weit das Spektrum der Meinungen und wie ausdifferenziert fachliche Auseinandersetzungen sein sollen oder dürfen, die in den Medien Widerhall finden? Z. B. finden anderslautende Konzeptionen von Demokratie und Theorien jenseits der marktwirtschaftlichen Orthodoxie heute kaum Beachtung. In den Debatten um aktuelle Themen fehlen sie völlig. Dafür und dafür den Querverbindungen zwischen scheinbar selbstreferenziellen Sachthemen nachzuspüren, fehlt in den Standardformaten der aktuellen Berichterstattung Raum und Zeit.

  • Ein Medium, dass sich dieses Manifest(chen) als Leitfaden gibt, werde ich sofort abonnieren.

  • Vielen Dank für diesen Kommentar, ich hoffe die tazzies lesen ihn auch.