Zum Tod von Tina Turner: Unmittelbar und frei
Sie befreite sich aus einer gewaltvollen Ehe und lernte, ihre Macht als Frau zu nutzen: Tina Turner war auch eine feministische Ikone.
Empfohlener externer Inhalt
Das Schwarzweißfoto zeigt die damals 28-jährige Tina in einem locker geschnittenen Pailletten-Minikleid, sie singt (wahrscheinlich schreit sie eher), die Arme sind in einem wilden Tanzschritt ausgebreitet, die langen Haare fliegen. Die Energie auf dem Foto ist unmittelbar und frei. „Anders als bei den höflichen Handclaps der üblichen Motown-Gruppen“, sagte der Fotograf Baron Wolman, „schrie und heulte sie mit den Ikettes, und legte dabei einen fantastischen Boogaloo hin.“
Man könnte diesen Boogaloo auch als Kampfansage lesen: Turner, die von ihrem gewalttätigen Ehemann sowohl den Vor- als auch den Nachnamen übergestülpt bekommen hatte, nutzte die Kunstfigur „Tina“, um sich langsam, aber sicher ihre Emanzipation zu erarbeiten.
In den 60ern illustrierte sie auf der Bühne die heteronormative Fantasie einer unersättlichen Schwarzen Frau, die doppeldeutig den Mikrofonständer (!) streichelt – aber schaffte es, sich gleichzeitig über dieses Image lustig zu machen. Ihre Lebenslust war immer auch eine Überlebenslust – aus der psychisch und physisch abusiven Beziehung zum drogenabhängigen, erratischen und narzisstischen Ike auszusteigen, musste sie sich als Tochter einer ebenfalls durch Beziehungsgewalt geprägten Mutter erst erkämpfen.
Auftritt als irre, LSD dealende Prostituierte
Sie tat dies durch den Schritt vom Background in den Vordergrund der Bühne, durch die Aneignung von Macker-Rocksongs wie „Whole Lotta Love“, durch die erfolgreiche Arbeit als Texterin – „Nutbush City Limits“ – und durch die Nutzung der Kunstfigur Tina, hinter der sich Anna Mae Bullock verstecken konnte.
1975 zeigte ihr Auftritt als irre, LSD dealende Prostituierte, die über Leichen geht, in einer Videoclipsequenz im Rockoperfilm „Tommy“ zunächst nur fiktiv eine Seite von ihr, die sie später als mächtige Dorfchefin „Aunty“ im dystopischen „Mad Max 3“ noch stärker ausspielte: Diese Frau hat gelernt, ihre Macht zu benutzen.
In den 70ern, als um sie herum die Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen aufblühten, fand sie endlich genug Mut, um auch aus dem realen Albtraum auszubrechen. Sie floh mit 36 Cents in der Tasche vor Ike in ein Motel und reichte die Scheidung ein. Die beiden trafen sich nie wieder. Und Tina Turner, als Anna Mae geprägt von den Repressionen ihrer Vergangenheit, sprach zwar nicht mehr viel über das erlittene Leid. Doch ihre Karriere, die in den 80ern in absolute Spitzen florierte, erzählte eine eigene Geschichte: Hier konnte man eine Überlebende sehen, deren unfassbare Resilienz sie anscheinend vor Bitterkeit oder nachhaltigen psychischen Verletzungen bewahrt hatte.
Konsequent in Minirock und Highheels
Dass sie während der 80er und 90er weiterhin konsequent in Minirock, mit „big hair“ und Highheels hantierte, etwa im verschwommen-feuchten Video zum 1989-Hit „Steamy Windows“, war eine trotzige Demonstration ihrer neugewonnenen Macht: Tina Turner ließ sich die Lust am Sex nicht von Tätern, nicht von der Gesellschaft, erst recht nicht von Ageismus nehmen.
Ihr Song „Show some Respect“ vom Erfolgsalbum „Private Dancer“ aus dem Jahr 1984 hatte wenig mit Aretha Franklins selbstermächtigter Otis Redding-„Respect“-Interpretation von 1967 zu tun – dennoch sagte Tina Turner damit klar aus, was für sie zu einer Beziehung auf Augenhöhe gehört: „Don't take it for granted, I know / That if you want to stay close / We've got to show some respect“. Das ist vielleicht kein Slogan für einen „womens right march“. Aber es ist ein Motto, mit dem Tina Turner fortleben konnte. Und als Buddhistin wird sie ja eh wiedergeboren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“