Menschen protestieren mit Plakaten und laufen durch den Wald

Foto: Nicole Craine/NYT/Redux/laif

Polizeiausbildungszentrum in den USA:Die Stadt der Polizisten

Bei Atlanta soll trotz massiver Proteste das größte Polizeiausbildungszentrum der USA entstehen. Der Konflikt zeigt tiefe Uneinigkeit im Land im Umgang mit Polizeigewalt.

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9.5.2023, 16:32  Uhr

Tortuguita“ – kleine Schildkröte – nannte sich Manuel Paez Terán. Seine letzten Monate verbrachte der 26-Jährige zusammen mit mehreren Dutzend jungen Leuten in Zelten und Baumhäusern in einem Waldstück im Südosten von Atlanta. Die Stadt will dort das größte Polizeiausbildungszentrum der USA bauen – mit Hubschrauberlandeplatz, mit Schießanlage und mit einer Modellstadt, in deren Häusern, Straßen und Bars die Polizei den urbanen Nahkampf üben kann. Die Waldverteidiger nennen das 90-Millionen-Dollar-Projekt „Cop City“ – Bullen-Stadt. Sie wollen es verhindern.

Für Tortuguita endete das Unterfangen in einem Kugelhagel der Polizei. Kaum war er tot, beschuldigten die Ermittler ihn, einen Polizisten angeschossen zu haben. Wenig später veröffentlichten sie auf Twitter das Foto einer auf dem Waldboden liegenden Pistole, die Tortuguita benutzt haben soll. Bis die Ermittler Mitte April die offizielle Autopsie vorstellten, ließen sie drei volle Monate verstreichen.

Belkis Terán, Mutter eines erschossenen Aktivisten

„Mein Kind war ein Pazifist, er glaubte nicht an Schusswaffen. Er liebte Bäume“

Die lang erwartete Autopsie zeigt, dass Tortu­gui­tas Körper von mindestens 57 Kugeln durchsiebt war. Schmauchspuren an seinen Händen oder andere Hinweise darauf, dass er selbst geschossen hat, konnten die Gerichtsmediziner nicht finden.

„Mein Kind war ein Pazifist“, sagt Belkis Terán, Tortuguitas Mutter, „er glaubte nicht an Schusswaffen. Er liebte Bäume.“ Die gebürtige Venezolanerin beschreibt das Aufwachsen ihrer drei Söhne als privilegiert. Die Familie verbrachte Jahre in Großbritannien, Russland, Ägypten, den USA und anderen Ländern, in denen ihr Mann stationiert war, der für einen Ölkonzern arbeitete.

Der 18. Januar veränderte das Leben von Belkis Terán schlagartig. Seither pendelt die Mutter zwischen ihrem gegenwärtigen Wohnort in Panamá und Atlanta. Sie nimmt an Demonstrationen teil. Sie gibt Interviews. Und sie verlangt von den Ermittlern Erklärungen für den Tod ihres mittleren Sohnes: „Ich habe das Recht, es zu erfahren.“ Aber das Georgia Bureau of Information (GBI) mauert. Bislang hat es nicht einmal den Namen des Polizisten genannt, den Tortuguita angeschossen haben soll.

Die Polizisten, die Tortuguita bei einer der Razzien in dem Waldstück töteten, sollen keine Körperkameras gehabt haben. Aber Kollegen einer anderen Einheit, die gleichzeitig den Wald durchkämmten, waren damit ausgestattet. Auf ihren Aufzeichnungen vom Morgen des 18. Januar ist zu hören, dass der Kugelhagel, in dem Tortugui­ta umkam, 11 Sekunden dauerte. „Ist dies ein Zielschießen?“, fragt ein Polizist in der Aufnahme. Ein anderer vermutet laut, dass der angeschossene Polizist von einer Polizeikugel getroffen wurde. O-Ton: „Ihr habt euren eigenen Kollegen fertiggemacht.“

An einem Samstagmorgen sitzt Tortuguitas Mutter in einem T-Shirt mit Schildkrötenaufdruck in einer Gruppe von Anarchos, Klerikern, Umweltschützern und jungen Queer- und Transgender-Aktivisten im Schneidersitz auf dem von der Sonne erhitzten Asphalt vor dem Kapitol von Atlanta. Zwischen den Sitzenden gehen schwarz gekleidete, von Kopf bis Fuß vermummte junge Männer in kugelsicheren Westen und mit geschulterten halbautomatischen Waffen auf und ab. Sie sind die Ordner der Demonstration. Einer von ihnen begründet das militärisch anmutende Auftreten mit einer Drohung der rechtsradikalen Proud Boys, die Demonstration zu stören. Eine ältere Demonstrantin macht die Republikaner in Georgia für die Schusswaffen verantwortlich.

Gloria Tatum weist mit dem Finger auf das Gebäude unter der vergoldeten Kuppel des Kapitols: „Die da drinnen sind es, die das offene Tragen von Schusswaffen erlaubt haben.“ Belkis Terán ist in der Demonstration umgeben von mehreren Schwarzen Frauen aus Georgia, deren Söhne und Geliebte von der Polizei in Atlanta getötet worden sind. Ein Sohn wurde bei einer Verkehrskontrolle getötet. Ein anderer, nachdem er verdächtigt wurde, ein Mobiltelefon gestohlen zu haben. Einen jungen Mann traf es beim Kiffen auf der Sitzbank einer Bahnstation des Nahverkehrsbetriebs Marta in Atlanta.

Allein im letzten Jahr haben Polizisten in Georgia 62 Menschen getötet. Mehr als 90 Prozent der verantwortlichen Polizisten sind weder angeklagt noch disziplinarisch belangt worden – sie machen ihren Job weiter. Die Zunahme von tödlicher Polizeigewalt in den letzten Jahren ist ein landesweites Phänomen. 2022 Jahr haben Polizisten in den USA fast 1.200 Menschen getötet – so viele wie seit 2013 nicht mehr. Afroamerikaner, die etwa 13 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, trifft diese Gewalt überproportional häufig. Im vergangenen Jahr waren 26 Prozent der Polizeiopfer Schwarz.

„Tortuguita lebt“ und „Stop Cop City“, skandieren die Demonstranten. Wie die anderen hält auch Tortuguitas Mutter ihre Hände schützend vor den Kopf. Die meisten haben rote Kreuze auf ihre Handrücken gemalt. Eine private Autopsie, die im Auftrag der Familie entstanden ist, hat ergeben, dass Tortuguita im Schneidersitz mit erhobenen Händen saß, als er erschossen wurde. Die roten Kreuze symbolisieren Einschüsse.

Der Tod des Umweltschützers – der erste, den die Polizei in den USA bei einer Aktion erschossen hat – gibt der Auseinandersetzung über das „Public Safety Training Center“, wie Cop City offiziell heißt, eine zusätzliche Dramatik. Aber neu ist die Kontroverse nicht. Sie spaltet die große Stadt des Südens seit Jahren.

Als der Stadtrat von Atlanta im September 2021 eine öffentliche Anhörung über das Projekt organisierte, beteiligten sich mehr als 1.100 Bürger daran – darunter viele, die in den mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten Stadtteilen rund um das Waldstück leben. Von den insgesamt 17 Stunden langen Wortmeldungen richteten sich 70 Prozent gegen das Projekt. Anwohner kritisierten, dass die Schüsse und Sprengungen von dem Übungsgelände bis in die Klassenzimmer ihrer Schulen und Kinderzimmer hinein hallen und dass die Reste von Sprengstoffen, Schießübungen und simulierten Großbränden und ihrer Löschung das Feuchtgebiet um den South River und den benachbarten Jackson-See belasten würden. Viele verlangten einen Naherholungspark statt eines Polizeiausbildungszentrums. „Im wohlhabenden, weißen Stadtteil Buckhead im Norden von Atlanta würde niemand auf die Idee kommen, eine Cop City zu bauen“, lautete ein Einwand.

Der militärische Charakter des Projekts stieß auf harte Kritik. Cop City wird der Gewalt und dem Rassismus in den Reihen der Polizei zusätzlichen Aufschwung geben, befürchten viele.

Nach der öffentlichen Kritik an Cop City stimmte der Stadtrat mit zehn zu vier Stimmen für das Projekt. Die Mitglieder des politischen Establishments an der Spitze von Atlanta – inklusive Bürgermeister Andre Dickens und seiner Amtsvorgängerin Keisha Lance Bottoms, die das Polizeiausbildungszentrum auf die Tagesordnung gesetzt hat – sind Demokraten. Viele stammen aus Dynastien von Bürgerrechtsaktivisten. Mit den erzkonservativen und mehrheitlich weißen Republikanern, die die ländlichen Gebiete von Georgia sowie die Regierung des Bundesstaates kontrollieren, haben sie wenig gemeinsam. Aber wenn es um das Polizeiausbildungszentrum geht, ziehen beide Parteien am selben Strang. Beide argumentieren, dass ein neues Ausbildungszentrum die Stadt sicherer mache. Seit Dutzende von Anti-Cop-City-Demonstranten verhaftet wurden, sind sich Sprecher beider Parteien auch darin einig, dass „Agitatoren von außerhalb“ verantwortlich für die Unruhe seien.

Vier Menschen schauen traurig und halten dabei ein Portärt eines Mannes hoch

Die Familie von Manuel Paez Terán trauert um den Aktivisten, der von Polizei­kugeln getötet wurde Foto: Alyssa Pointer/reuters

Priscilla Grim ist eine dieser „outside agitators“. Am ersten Märzwochenende ist die 49-jährige New Yorkerin zu einer Aktionswoche nach Atlanta gereist. „Ich glaube nicht, dass wir Cop City brauchen“, sagt sie, „wir brauchen Gesundheitsversorgung, wir brauchen Bildung, Wohnungen und öffentlichen Nahverkehr.“ Als sich während eines Konzertes während der Aktionswoche eine Gruppe von Vermummten absetzte und anderswo im Wald Steine und Brandsätze gegen Polizisten und Baufahrzeuge schleuderte, reagierte die Polizei mit Wucht. Sie trieb Dutzende Konzertbesucher, darunter Priscilla Grim, auf einen Parkplatz. Dort trennte sie Ortsansässige und Auswärtige voneinander. Wer eine Adresse in Atlanta hatte, durfte gehen, die anderen kamen in Haft.

Am selben Tag erschienen Priscilla Grims Name und ihr Foto auf einer von der Polizei veröffentlichten Liste von 23 „gewalttätigen Agitatoren“, gegen die wegen „heimischem Terrorismus“ ermittelt wird. Nur einer von ihnen lebt in Georgia.

In den folgenden 31 Tagen bekam Priscilla Grim nur alle 12 bis 14 Stunden etwas zu essen und musste 24 Stunden am Tag Licht in ihrer Zelle ertragen. Als sie am 6. April gegen eine Kaution von 20.000 Dollar freikam, hatte die Computerspezialistin ihren Arbeitsplatz an der Fordham-Universität verloren. Bei ihrer Jobsuche spürt sie bereits den Makel: „Wer stellt schon eine heimische Terroristin ein?“

Bislang ist weder Priscilla Grim noch ein anderer Cop-City-Gegner angeklagt und keiner verurteilt worden. Aber trotz der Unschuldsvermutung hat ihre Bestrafung begonnen. Eine Cop-City-Gegnerin ist nach ihrer Freilassung von der Jurafakultät an der University of North Carolina Chapel Hill verwiesen worden. Einer anderen kündigte eine Bank das Konto.

In Georgia wegen heimischem Terrorismus Verurteilten drohen bis zu 35 Jahre Gefängnis. Schon als das entsprechende Gesetz 2017 im Kapitol debattiert wurde, warnten Bürgerrechtler, es würde die freie Meinungsäußerung einschränken. Der Gesetzestext ist vage gefasst. Danach ist ein heimischer Terrorist, wer „die kritische Infrastruktur mit dem Ziel beschädigt, die Regierungspolitik zu verändern“.

Jetzt, wo das Gesetz zum ersten Mal angewandt wird, sieht Marlon Kautz vom „Atlanta Solidarity Fund“ die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Selbst wenn am Ende kein Cop-City-Gegner wegen heimischem Terrorismus verurteilt werden sollte, sorgen bereits die Ermittlungen nach Marlon Kautz’ Einschätzung für „politische Einschüchterung“. Zusätzlich entsteht eine „enorme Belastung“ für Organisationen wie seine. Der Atlanta Solidarity Fund hat die harten Haftbedingungen der Cop-City-Gegner öffentlich gemacht, den Inhaftierten Rechtsbeistand geleistet und die Kautionszahlungen übernommen. Von manchen Cop-City-Gegnern haben die Gerichte mehr als 300.000 Dollar Kaution verlangt.

„Natürlich haben wir Proteste erwartet“, sagt der demokratische Stadtrat Michael Bond, „nach den aufsehenerregenden Todesfällen von Afroamerikanern durch die Hand der Polizei ist dies der schlechteste mögliche Zeitpunkt, um ein neues Polizeiausbildungszentrum zu bauen.“ Aber er hält das Projekt für überfällig: weil die Polizei jahrzehntelang „unterfinanziert“ gewesen und weil das bisherige Ausbildungszentrum baufällig sei.

Michael Bond ist überzeugt, dass die Mehrheit der Wähler hinter ihm steht. Er schließt das daraus, dass er haushoch wiedergewählt worden ist, nachdem er für das Projekt gestimmt hat. Er betrachtet die Cop-City-Gegner als eine „interneterfahrene Minderheit“, die weiß, wie sie sich Gehör verschaffen kann. Über jene, die Molotowcocktails werfen und Fallen im Wald aufgestellt haben, sagt der Stadtrat, „das ist nicht der Stil von Atlanta“. Damit meint er die Philosophie der Gewaltfreiheit des ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King, dessen Geburtshaus, Kirche und Denkmal heute Touristenattraktionen im Zentrum von Atlanta sind.

Einer der führenden Republikaner im Senat von Georgia teilt die Einschätzung über die Mehrheitsmeinung. „Die Bürger haben drei Prioritäten“, sagt Randy Robertson, „sie wollen Sicherheit, Sauberkeit und Zugang zu Transportmitteln haben.“ Der Republikaner, der früher selbst Polizist war und der weiterhin an Polizeischulen unterrichtet, nennt das Ausbildungszentrum „eine Notwendigkeit, um die Polizei auf den neuesten Stand zu bringen. Genau wie der Stadtrat betont er, dass das Zentrum nicht nur für die Ausbildung der Polizei, sondern auch der Feuerwehr gedacht ist. Für die Waldschützer benutzt der Republikaner den Ausdruck „Ökoterroristen“.

Eine Umfrage der Emory-Universität in Atlanta weist in eine andere Richtung als die beiden Politiker. Danach sind nur 48 Prozent der Atlantans für Cop City. Unter den Afroamerikanern in der Stadt befürworten lediglich 43,5 Prozent das Projekt.

Eine Frau lächelt in die Kamera

Cop-City-Kritikerin Reverend Keyanna Jones Foto: Dorothea Hahn

Anders als der weiße Senator kennt Stadtrat Michael Bond den „Stress“ von Polizeibegegnungen aus eigener Erfahrung. Als er in den 80er Jahren studierte, hieß es, nur wenige afroamerikanische Männer würden das Alter von 25 Jahren erreichen. Heute, als Stadtrat, lobt er einerseits die Qualität der Polizeiarbeit in Atlanta – wo die Ausbildung knapp zehn Monate dauert und damit ein Vielfaches länger ist als an den meisten Orten der USA – und will sie zugleich mithilfe des Polizeiausbildungszentrums verbessern.

In Cop City ist die Stadt Atlanta nur Juniorpartner. Sie will ein Drittel der Kosten übernehmen. Für das Gros der Kosten – 60 Millionen Dollar oder zwei Drittel – kommt die private Polizeistiftung Atlanta Police Foundation (APF) auf. Stadtrat Michael Bond sieht darin kein Problem. Er nennt die APF eine „Unterstützungsorganisation“ und bestreitet, dass sie die Polizeiausbildung beeinflussen kann. Das Curriculum, sagt er kategorisch, „machen wir“.

Die Polizeistiftung APF ist eine gemeinnützige Organisation, deren ausschließliches Anliegen die Polizeiarbeit ist. Ausgestattet mit den Spenden von Dutzenden von großen Konzernen, die ihren Hauptsitz in Atlanta haben (von Coca-Cola über die Bank of America bis hin zu der Fluggesellschaft Delta), ist die APF die treibende Kraft hinter Cop City. Sie ist eine der finanziell stärksten und eine der ältesten Polizeistiftungen in den USA. Ihr Geschäftsführer, Dave Wilkinson, verdient besser als der Bürgermeister und als der Polizeichef der Stadt.

Die APF sorgte dafür, dass Atlanta die engmaschigste Kameraüberwachung der USA bekam. Im Juni 2020, als in Atlanta der von Polizisten mit Rückenschüssen getötete Rayshard Brooks beerdigt wurde und als quer durch die USA Demonstrationen gegen Polizeigewalt stattfanden, zahlte die Stiftung jedem der 2.000 Polizisten der Stadt eine Prämie von 500 Dollar. Das Geld sollte ihre „Moral heben“.

Der Präsident von Atlantas Zweig der ältesten US-Bürgerrechtsbewegung, die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), ist im Prinzip für ein neues Polizeiausbildungszentrum. Richard Rose stört sich auch nicht an dem Standort. „Wir haben genug Waldgebiete in Atlanta.“ Aber Richard Rose wehrt sich gegen das Geld und den Einfluss der Polizeistiftung. „Die APF hat nie die Gewalt der Polizei kritisiert“, sagt er: „Wer persönlich nicht von der gegenwärtigen Polizeipraxis betroffen ist, wird sie auch nicht ändern.“ In der fortgesetzten Gewalt der Polizei sieht der Bürgerrechtler die alte „Sklavenfängermentalität“ aus den Anfängen der Landesgeschichte. Die Milizen, die damals nach entflohenen Sklaven suchten, waren eine Vorform der heutigen Polizei.

Reverend Keyanna Jones

„Wir brauchen kein Ausbildungszentrum. Jeder Polizist in Georgia, der einen unbewaffneten schwarzen Mann erschießt, hat schon eine Ausbildung“

Weil die USA „von allen demokratischen Ländern die schlechteste Polizeiarbeit macht“, wünscht sich der 74-jährige Bürgerrechtler eine grundsätzlich andere Polizei. Möglicherweise mit neuen Leuten an der Spitze, die aus einer anderen Tradition kommen: „Vielleicht Sozialarbeiter, oder Psychologen.“

Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste gegen das Ausbildungszentrum hat Bürgermeister Andre Dickens Ende März eine Task Force einberufen. Die Mitglieder hat der Bürgermeister selbst ausgewählt. Anfang Juli sollen sie ihm Empfehlungen geben. Ob der Bürgermeister ihren Wünschen folgen wird, ist offen. Schon beim ersten Treffen der Task Force Mitte April kommt es zum Eklat. Der Vertreter der Bürgerrechtsgruppe ACLU wirft den Organisatoren mangelnde Transparenz vor, weil sowohl die Diskussionen als auch der Versammlungsort wie eine Geheimsache behandelt werden. Er verlässt die Task Force. NAACP-Präsident Richard Rose will vorerst in der Task Force bleiben. Er hofft, dass er es in der Task Force schafft, neue Kriterien für die Ausbildung von Polizisten zu entwickeln.

Zu solchen Kompromissen mit Stadt, Polizei und Polizeistiftung sind die Gegner von Cop City nicht bereit. Viele von ihnen sind in den zurückliegenden Jahren für die Abschaffung der Polizei auf die Straße gegangen, weil sie sie für nicht reformierbar halten. Andere haben verlangt, dass zumindest die finanziellen Mittel für die Polizei gekürzt und dass einige ihrer Aufgaben – darunter Einsätze bei psychisch Kranken und bei häuslichen Konflikten – in andere Behörden verlagert werden.

Die Gegner von Cop City haben die breiteste oppositionelle Allianz in der Geschichte von Atlanta auf die Beine gestellt. Zu ihnen gehören Bürgerrechts-, Umweltschutz- und Antirassismus­gruppen, Klerikale und Angehörige vom linken Flügel der Demokratischen Partei. Die jungen Waldverteidiger sind in der Allianz nur eine Minderheit.

„Jeder Polizist in Georgia, der einen unbewaffneten schwarzen Mann erschießt, hat eine Ausbildung“, sagt Reverend Keyanna Jones, „wir brauchen kein neues Polizeiausbildungszentrum.“ Die 43-jährige Geistliche war eine wortgewaltige Cop-City-Kritikerin bei den Anhörungen im Stadtrat. Und sie hat ihre Opposition auch in Kirchen, in Bürgerinitiativen und in die Reihen der Demokratischen Partei in Atlanta getragen. Keyanna Jones wohnt in der Nähe der geplanten Cop City. Sie hat „fünf Schwarze Kinder“, um deren Sicherheit sie fürchtet. Und sie betrachtet das Projekt als eine Verkörperung all dessen, was in der Polizeikultur der USA nicht stimmt.

Mary Hooks, afroamerikanische Aktivistin und Gegnerin des geplanten Ausbildungszentrums

„Es geht nicht um unsere Sicherheit, es geht darum, uns zu kontrollieren“

Handgemalte Bilder von kleinen Schildkröten weisen den Weg ins Innere der Baptistenkirche an der Park Avenue, wenige Häuserblocks vom Kapitol von Atlanta entfernt. Auf den Holzbänken im Inneren der Kirche sitzen an diesem frühen Abend Hunderte von Atlantans, die keine Cop City wollen – viele Frauen, viele Afroamerikaner, viele Kinder, alle Altersgruppen. Es ist eine Bürgerversammlung. Aber kein Stadtrat oder anderer gewählter Politiker lässt sich blicken. Die afroamerikanische Aktivistin Mary Hooks vergleicht die Polizeistiftung APF mit dem rassistischen Geheimbund KKK. „Es geht nicht um unsere Sicherheit“, sagt sie, „es geht darum, uns zu kontrollieren.“ Kamau Franklin von den Community Movement Builders, einer Schwarzen Grassroot-Organisation in Atlanta, bezeichnet Cop City als „Ort, an dem Terroristen ausgebildet werden sollen“.

Die Cop-City-Gegner haben dem „Intrenchment Creek Park“ im Südosten von Atlanta den Namen zurückgegeben, den er vor der Vertreibung der indigenen Muscogee hatte: Weelaunee. Tortuguitas Mutter hat im Weelaunee-Wald die Asche ihres Kindes verteilt. Wenig später hat die Polizei bei einer Razzia die Waldverteidiger vertrieben und ihre Baumhäuser und Zelte zerstört. Seither fallen in dem Wald die Bäume und Bulldozer ebnen das Land ein. Am Rand des Waldes stehen Schilder: „Zutritt verboten“.

Die Versammelten in der Baptistenkirche sind überzeugt, dass sie Cop City dennoch verhindern können. „Die Opposition dagegen wird ständig breiter“, sagt Reverend Keyanna Jones. Auf den Kirchenbänken liegt während der Bürgerversammlung ein buntes Flugblatt aus. Es beschreibt die Eröffnung eines „Tortuguita-Gemeinschaftszentrums“ im Weelaunee-Wald. An der Stelle, wo einst die Polizei Schießen und Nahkampf plante, spielen Kinder im Sand. Und Erwachsene blicken auf eine Zeit zurück, in der die Bürger von Atlanta den Machtkampf gegen eine Polizeistiftung gewonnen haben, die von multinationalen Konzernen finanziert wurde.

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