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Zukunft des Bremer StahlwerksGrüner Stahl braucht starken Staat

Soll das Bremer Stahlwerk verstaatlicht werden, um den klimaneutralen Umbau doch noch zu realisieren? Diese Idee der Linken ist noch nicht vom Tisch.

Wäre ein großer Schritt Richtung Klimaneutralität: ein CO2-freies Bremer Stahlwerk Foto: Eckhard Stengel/Imago

Bremen taz | Das Bremer Stahlwerk wird nicht klimaneutral – vergangene Woche hatte der Konzern Arcelor Mittal seine Entscheidung veröffentlicht, in Bremen und Eisenhüttenstadt nicht in Direktreduktionsanlagen zu investieren, trotz einer milliardenschweren staatlichen Förderung für die beiden Werke.

Was genau der Ausstieg bedeutet, geht in der Analyse oft noch durcheinander. Vielfach wird gleichzeitig ein Debakel für Bremens Klimaziele und für die regionale Wirtschaft bedauert. Dabei ist streng genommen nur eins davon wahrscheinlich.

Das Bremer Stahlwerk ist zwar allein für 50 Prozent der CO2-Emissionen des Landes verantwortlich; ohne Direktreduktionsanlage und damit die Umstellung auf grünen Wasserstoff lässt sich Stahl nicht klimaneutral produzieren. Allerdings würde ein konventionell betriebenes Stahlwerk in der EU dank steigender Kosten für Emissionsrechte mittel- bis langfristig wohl nicht konkurrenzfähig sein und müsste schließen.

Entscheidung für Arbeitsplätze relevant

Die Entscheidung ist also für Bremer Arbeitsplätze interessanter als für die Landes-Klimaziele. Belanglos ist die Entscheidung aber auch aus Klimaschutzsicht nicht; schließlich wird weiterhin Stahl genutzt werden; wenn der nicht aus Bremen kommt, dann eben aus dem Ausland.

Auch dort gibt es Anstrengungen, die Industrie grüner zu machen: China baut erste Stahlwerke mit Direktreduktionsanlagen auf; aber der jeweils günstigste Stahl ist nach Expertenmeinungen auf absehbare Zeit noch der konventionell produzierte.

In die Frage nach den Strategien, um die Entscheidung noch abzuwenden, ist ein wenig Bewegung gekommen. Langsam wird klar: Die Politik hat noch nicht alles getan, um die Umstellung auf Wasserstoff zu erleichtern. Die erste Reaktion war vor allem eine Schuldzuweisung an den Konzern, der die förderwillige Politik lange hingehalten hatte.

„Enttäuscht“ und „verärgert“ zeigte sich der Bremer Senat. Schließlich hatte man vieles in die Wege geleitet: ein Sondervermögen für den Förderzuschuss, die Infrastrukturanschlüsse für grünen Wasserstoff und die schnellere Planung. Auch die oppositionelle CDU, die in einem Deal mit den Koalitionsfraktionen dem Sondervermögen für die Fördergelder außerhalb der Schuldenbremse zugestimmt hatte, argumentierte ähnlich: Man habe „gemeinsam mit dem Senat alles getan, um den Standort zu unterstützen“, sagt die neue Fraktionsvorsitzende Wiebke Winter.

Linke kämpferisch

Die Linke gab sich kämpferisch. Unter dem Titel „Kapitalismus nervt“ hatten Partei und Fraktion in einer gemeinsamen Presseerklärung kurzerhand die Verstaatlichung des Stahlwerks gefordert. Das öffentliche Interesse sei offenkundig: Schließlich müsse strategisch wichtige Produktion erhalten werden; Klimaschutz ist darüber hinaus Verfassungsauftrag.

Allerdings: Kapitalismus nervt – und ist manchmal kompliziert. Dass der Staat „alles getan“ hat, das scheint mittlerweile auch bei den Linken nicht mehr ganz so klar. So ganz sicher ist man sich nicht mehr, dass ein staatlich geführter Stahlkonzern die Transformation sicher bewältigen könnte.„Ich habe seit Ende vergangener Woche selbst eine steile Lernkurve hinter mir“, sagt Christoph Spehr, Sprecher der Partei.

Ein Parteitagsbeschluss aus dem Juni liest sich daher viel zurückhaltender als die ursprüngliche Pressemitteilung: Von Vergesellschaftung ist noch die Rede, aber sie geht ein bisschen unter zwischen einer Vielzahl anderer geforderter Maßnahmen.

Argumente der Gegenseite aufgenommen

Aufgenommen werden damit von linker Seite ausgerechnet Argumente, die der belgische Konzernchef Geert van Poelvoorde zur Begründung seines Rückzugs ins Spiel gebracht hatte: „Selbst mit der finanziellen Unterstützung ist die Wirtschaftlichkeit dieser Umstellung nicht ausreichend gegeben“, hatte der in einem ersten Statement gesagt. Die europäische Stahlindustrie stehe „unter einem noch nie dagewesenem Druck, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten“ – bereits ohne zusätzliche Kosten für die Dekarbonisierung. „Die höchste Priorität ist derzeit, die Stahlnachfrage in Europa so wiederzubeleben, dass europäische Hersteller auch daran teilhaben können“.

Im Prinzip braucht es jemanden, der einen Planungshorizont für die nächsten zwanzig Jahre aufstellen kann

Rudolf Hickel, Bremer Wirtschaftswissenschaftler

Teuer ist die Stahlproduktion in Europa nicht nur durch die politisch erzeugten Kosten für die CO2-Emissionen, sondern auch durch den hohen Strompreis. Ein Industriestrompreis könnte hier für Abhilfe sorgen. Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) sagt mittlerweile: „Es geht um unsere industrielle Unabhängigkeit. Dafür brauchen wir verlässliche und bezahlbare Strompreise für die Industrie, klare grüne Leitmärkte und einen wirksamen Schutz vor Billigstahlimporten, ganz gleich ob konventionell oder klimafreundlich hergestellt.“

Der linke Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sitzt seit vielen Jahren selbst im Aufsichtsrat bei Flachstahl Salzgitter. „Im Prinzip braucht es jemanden, der einen zuverlässigen Planungshorizont für die nächsten zehn, zwanzig Jahre aufstellen und auch garantieren kann“, sagt Hickel. Das gelte für zuverlässige Abnahmen von grünem Stahl – etwa über staatliche Investitionen – aber auch über ein zuverlässiges Angebot von grünem Wasserstoff.

Quote für grünen Stahl?

Ähnliches hatte die linke Bundeschefin Ines Schwerdtner schon ins Spiel gebracht: Eine Quote für grünen Stahl im Schienenbau etwa könnte den Konzernen eine Nachfrage für ihr teures Produkt garantieren.

Komplett vom Tisch ist die Option Verstaatlichung damit nicht bei der Linken, auf dem Landesparteitag hat sie es als „Vergesellschaftung der Produktionsanlagen“ noch in einen Parteitagsbeschluss gebracht. Ein Hinweis darauf, dass staatliche Anteile einen Unterschied machen, sieht Spehr in den anderen Stahlkonzernen, bei Salzgitter und Saarstahl Bei beiden hält das Land Anteile – und beide stehen weiter hinter der Investition in die neue Technologie.

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7 Kommentare

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  • Einige Politiker scheine noch in vergangen Zeiten festzuhängen. Früher wurden Erze und Koks per Schiff zu den stahlerzeugenden Standorten gebracht. Es kam nicht auf die geographische Lage an, sondern die Effizienz des Standortes.







    Wasserstoff ist zu transportieren und importieren ist verlustreich und teuer. In der einer Wasserstoffbasierten Industrie ist daher nun der Standort entscheidend. Wasserstoffbasierte Produktionen haben dort Chancen, wo Wasserstoff günstig hergestellt werden kann. Bei gleichen Kosten für Elektrolyseure bestimmen deren mögliche Betriebsstunden jetzt die geeigneten Standorte.







    In Europa wären das Skandinavien mit Laufwasser (über 7000 mögliche Betriebsstunden/Jahr) sowie Spanien (Dort liefert Solarenergie im Winter immerhin noch die Hälfte der des Sommers) Frankreich und Belgien haben ihre Kernkraftwerke erhalten und könnten ebenfalls mehrere tausend Betriebsstunden Wasserstoff erzeugen.







    In Deutschland kann Wasserstoff kostengünstig nur mit überschüssigem Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt werden. Es sind nur wenige hundert Betriebsstunden im Jahr möglich. Subventionen können diesen Kostennachteil nicht ausgleichen und wären rausgeworfenes Geld.

  • „Kapitalismus nervt“ - Klar nervt es, wenn man Lösungen finden muss, die auch wirtschaftlich tragfähig und zukunftssicher sind. "Verstaatlichung" bedeutet nur, dass man es sich einfach macht und am Ende die Steurzahlenden den Differenzbetrag tragen dürfen.



    Deshalb ist es auch wichtig, dass die "steile Lernkurve" am Anfang absolviert wird, wenn man mehr als nur ideologische Kampfbegriffe als Lösungen in den Raum werfen möchte.



    Die Realität lässt sich ideologisch nicht aushebeln. Kosten für z. B. den Netzausbau fallen an, diese kann man lediglich anders verteilen. Wenn man den Industriestrompreis senken möchte, müssten die Kosten z. B. auf dem Verbraucherstrompreis umgelegt werden.



    Und "Schutz" vor "Billigstahl" (also Strafzölle, war bei Trump noch bäh) bedeutet teurerer Stahl im Inland. Die Preise steigen also bei Auto, Geräten etc.



    Dabei kann kapitalismusaffines Denken sogar der Umwelt helfen:



    Entscheidend sollte der Produktivitätsgedanke sein: Wie kann ein investierter Euro global max. CO2-Einsparungen bringen? Und da kann es sein, dass die Milliarden z. B. sinnvoller in eine Mega-PV-Anlage in einem sonnereichen Land eingesetzt wären, und der Stahl "ungrün" bleiben würde. Kann..

  • Der Staat sollte hier das Unternehmen in Bremen übernehmen und die Umstellung auf grünen Stahl machen.



    Alleine schon um zu zeigen das es jetzt geht und nucht erst wenn es ganz zu spät ist.



    Das wird kosten und d Verluste generieren über Jahre und trotzdem müssen wir es machen.

    • @pablo:

      Warum sollte der Staat das tun? Warum sollte man viele Milliarden in etwas stecken, was wirtschaftlich nicht überlebensfähig ist? Das macht doch überhaupt keinen Sinn.



      Ich glaube, da kann man Besseres anfangen mit diesem Geld.

    • @pablo:

      Der Staat steigt dann in die Privatschaft ein und bestimmt über Subventionen die Preise. Das ist aber rein rechtlich gar nicht möglich.

      Vielleicht könnte der Staat ja auch Zb. Media Markt/Saturn übernehmen damit Arbeitsplätze gerettet werden. Und dann verkauft man staatlich subventionierte Elektrowaren.

  • Verstaatlichung und (steuerfinanzierte) Annahmegarantien als Plan für die Rettung des Standorts Bremen.. LOL! Dieses DDR 2.0 Konzept der Linken wird so nicht klappen, von der Finanzierungsfrage mal ganz abgesehen (oder sollen wieder "die Reichen" bezahle?).

    • @Peter Wenzel:

      Das ganze würde spätestens am Bundesverfassungsgericht scheitern. Enteignungen sind im Grundgesetz und Bremer Enteignungsgesetz vereinbart. Die Stahlproduktion gehört nicht zur "Erfüllung öffentlicher Aufgaben".