Zivilgesellschaftsakteur über Bautzen: „Da könnte man jeden verhaften“
„Welche Gewalt geht schon von 20 Kindern aus?“, fragt Sven Scheidemantel vom Verein „Willkommen in Bautzen“. Er wünscht sich mehr Deeskalation.
taz: Nach Darstellung des örtlichen Polizeichefs Uwe Kilz ging die Gewalt am Mittwochabend in Bautzen von minderjährigen Asylwerbern aus.
Sven Scheidemantel: Das ist die Frage. An dem Tag ist es vermutlich von den Flüchtlingen ausgegangen. Dabei fällt aber unter den Tisch, was die Wochen davor passiert ist. Die ewigen Reizereien der Nationalisten, die Jagdszenen. Irgendwann wehren sich die Asylbewerber.
War es Zufall, dass am Mittwoch plötzlich 80 Menschen 15 bis 20 Asylwerbern gegenüberstanden?
Das ist natürlich kein Zufall. Wir haben aktuell die „Bautzener Demokratiewochen“, die eine Reaktion auf den Brand im Husarenhof waren (dem Flüchtlingsheim, auf das im September 2015 ein Brandanschlag verübt wurde, Anm. d. Red.). Mehrere Vereine und Initiativen haben das gemeinsam organisiert. Ursprünglich aufgrund einer Forderung der „Wutbürger“, die immer behaupten, dass ihnen niemand zuhört. Deshalb waren sogenannte „eventorientierte“ Männer da. Die kommen nach meiner Kenntnis auch nicht aus dem direkten Umfeld – es scheint sich um die sogenannte „Brigade Halle“ zu handeln. Man will Bautzen zur national befreiten Zone machen. Das wurde am Freitag offiziell skandiert.
Das hat nichts mehr mit Protest zu tun. Es haben sich Nazis aus dem Ruhrpott angemeldet! Warum gestern 300 Nazis auf der Platte (dem Kornmarkt, Anm. d. Red.) stehen mussten, muss man mir mal erklären. Es war kein Ausländer zu sehen. Aber man sieht viele Nazisymbole. Da könnte man jeden verhaften.
Wie beurteilen Sie das Verhalten der Polizei?
ist Vorsitzender des Vereins „Willkommen in Bautzen“ Der Verein ist aus dem Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ heraus entstanden. Im Bündnis engagieren sich ca. 200 Leute. In Bautzen leben ca. 700 Geflüchtete.
Es macht betroffen, dass die Polizei so ratlos ist, dass sie so was einsetzen müssen. Von daher scheint es mir kein geplanter Einsatz zu sein. Welche Gewalt geht schon von 20 Kindern aus? Ich wünschte mir mehr Deeskalationsstrategie. Vielleicht sind sie selbst Sympathisanten des Mobs.
Wer sind die minderjährigen Asylwerber, die am Mittwoch am Kornmarkt waren?
32 Minderjährige sind in der Unterkunft Bautzen. Die nächst größere Unterkunft ist 15 Kilometer entfernt. Für die ist es unmöglich, in die Stadt zu kommen.
Und für diese 32 Jugendliche soll es eine Ausgangssperre geben?
In Bautzen bleibt die Situation nach den Zusammenstößen zwischen Rechtsextremen und Flüchtlingen angespannt. Rassistische Gruppen kündigten im Internet an, ihre Proteste gegen Asylbewerber vorerst zu stoppen. Sollte es aber nicht "zu einer spürbaren Verbesserung der Situation in der Stadt" kommen, werde es neue Kundgebungen geben, hieß es auf der Facebook-Seite "Die Sachsen Demonstrationen". Oberbürgermeister Alexander Ahrens (parteilos) erklärte, er sei zu einem Gespräch mit den rechten Initiatoren der Proteste bereit.
Die Bundesregierung verurteilte die Ausschreitungen vom Mittwoch . Es müsse dafür gesorgt werden, dass die Gesetze sowohl von Asylbewerbern als auch von einheimischen Bürgern eingehalten werden, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer . Aggressive, fremdenfeindliche und gewalttätige Ausschreitungen seien "unseres Landes nicht würdig."
So sieht's aus. Die sind ja bevormundet vom Jugendamt. Der erste Beigeordnete Udo Witschas ist dafür zuständig. Er hat das Alkoholverbot und die Ausgangssperre für unter 18-Jährige ab 19 Uhr ausgegeben.
Denken Sie, dass es Sanktionen geben wird? Ein Platzverbot für die Rechten?
Sanktionen sehe ich im Moment nicht. Für die schlecht besetzte Polizei in Bautzen ist die zentrale Lage des Kornmarkts hilfreich. Wenn sich alles auf die Stadt verteilt, ist die Lage nicht mehr beherrschbar.
Wie könnte man für Deeskalierung sorgen?
Schnell geht das sicherlich nicht. Letzten Endes geht das nur durch massiven Ausbau von Streetworking, juristischen und polizeilichen Mitteln. Ich wage mir nicht auszumalen, wie das realisierbar sein soll. Ich kann mir vorstellen, dass die sich, wenn der Kornmarkt nicht mehr Aktionsraum ist, andere Orte suchen. Ich habe gesehen, dass die Rechten ihre Freundinnen herausgeputzt und an den Ausländerkiddies vorbeigeschickt haben. Pure Provokation. Man schafft Einsatzlagen.
Wie viel Zustimmung finden die Nationalisten unter der Bautzener Bevölkerung?
25 bis 30 Prozent stimmen denen zu. 70 Prozent sind auf der Seite der Multikulturellen. Die sind nur zu leise. Die Grenzen werden immer weiter verschoben durch dauernde Provokationen. Die werden verschoben durch die AfD, aber auch durch evangelische Gruppen die man in Bautzen sieht. Die treffen sich alle auf dem Kornmarkt.
Sind in den nächsten Tagen Aktionen von „Bautzen bleibt bunt“ geplant?
Aktuell wird der Kornmarkt verschönert und mit Kreide bunt gemacht, weil auch heute wieder Demos angemeldet sind. Wir machen weiter Integrationsarbeit. Mit jedem Anschlag verstärken wir unsere Arbeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen