Wie die Bahn besser werden kann: Die Schiene leben!
In Zeiten der Klimakrise ist eine nachhaltige, effiziente und gern genutzte Deutsche Bahn wichtiger denn je. Zehn Vorschläge für eine Reform.
D er Schienenverkehr in Deutschland und die Deutsche Bahn AG (DB) befinden sich in einer tiefen Krise. Die Zuverlässigkeit ist auf einem Tiefpunkt angelangt, die DB wird als kundenunfreundlich wahrgenommen, und sie ist hoch verschuldet. Dabei ist in Zeiten der Klimakrise, in der die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene gefordert wird, eine nachhaltige Bahn notwendiger denn je. Wir schlagen ein 10-Punkte-Programm vor:
1. Der Ursprung der Bahn-Misere ist ein verzerrter Verkehrsmarkt. Die Benachteiligung der Schiene gegenüber Flugzeug, Pkw und Lkw muss beendet werden. Subventionen sind nur sinnvoll für die Verkehrsarten mit optimaler Klimabilanz, die zugleich allen Menschen zur Verfügung stehen. Das sind Fußverkehr, Fahrrad, öffentlicher Nahverkehr und die Bahn. Notwendig sind Tempolimits, Stopp von jeglichem weiteren Straßenbau, Beendigung der Diesel- und Geschäftswagensubventionierung und die Besteuerung von Kerosin.
2. Die Bahn benötigt 25 Jahre nach der Bahnreform von 1994 eine neue Organisationsreform. Die Erfahrungen mit bisher erfolgten Privatisierungen und Aufspaltungen sind negativ; eine profitorientierte Aktiengesellschaft ist offensichtlich keine sinnvolle Struktur. Das Ja zum Deutschlandtakt unterstreicht die Notwendigkeit einer Bahn in einer Hand und in öffentlichem Eigentum. Unternehmensform und Statut der DB müssen den drei Zielen dienen: mehr Schienenverkehr, maximale Sicherheit, optimaler Komfort. Es gilt: Gemeinwohlorientierung statt Gewinnmaximierung.
3. Das Betätigungsfeld der DB muss wieder Deutschland und Bahnverkehr sein. Das starke Engagement in risikoreichen Auslandsgeschäften mit Luft- und Seefracht ist kontraproduktiv. Die DB muss sich vom Auslandsgeschäft und von Unternehmensteilen, die nichts mit der Schiene zu tun haben, trennen.
Aus Großprojekten wie Stuttgart 21 aussteigen
4. Ein Ende der Konzentration auf Großprojekte: Begonnene und geplante Großprojekte, die dem Schienenverkehr schaden und finanziell aus dem Ruder laufen, wie Stuttgart 21, die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München und die Verlagerung des Bahnhofs Hamburg-Altona werden beendet. Allein mit den hier freigesetzten Mitteln kann ein großer Teil des Bahnnetzes instand gesetzt und die Kapazität durch viele Einzelmaßnahmen erweitert werden. Zuvor stillgelegte Strecken müssen reaktiviert werden.
5. Die Infrastruktur-Unternehmen DB Netz, Station & Service und DB Energie müssen in einem Unternehmen und ohne Personalabbau im produktiven Bereich zusammengeführt werden. Alle Nutzungsentgelte für die Infrastruktur (Ticketpreise) werden deutlich gesenkt. Alle hier erzielten Gewinne werden in die Infrastruktur reinvestiert statt wie bisher an die DB AG abgeführt.
6. Ein vereinfachtes und attraktives Preissystem: Nötig ist eine Tarifreform mit deutlicher Senkung der regulären Preise und dem Verzicht auf Schnäppchentickets zu Dumpingpreisen. Stattdessen gibt es eine Halbierung des BahnCard-50-Preises und einen deutlich niedrigeren Preis für die BahnCard 100. Damit können diese Mobilitätskarten eine gut zehn Mal größere Verbreitung als bisher finden (wie dies in der Schweiz der Fall ist). Statt des heutigen Tarifwirrwarrs muss es ein einfaches und nachvollziehbares Preissystem geben, das allen Menschen ein bezahlbares Bahnreisen ermöglicht. Perspektivisch sollte ein einheitliches Tarifsystem für den gesamten öffentlichen Verkehr im Land eingeführt werden.
7. Notwendig ist der Wiederaufbau eines europaweiten Tages- und Nachtzugnetzes in Kooperation zwischen den Bahnunternehmen der Länder. Nachtzüge ermöglichen ein komfortables Reisen auch auf längeren Strecken. Damit kann der größte Teil des europaweiten Luftverkehrs auf die Schiene verlagert werden.
Personalabbau im Managementbereich
8. Es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, dass der Deutschlandtakt nun allgemein als Ziel gesehen wird. Dieser erfordert aber eine deutliche Verbesserung der Zielfahrpläne, die Ertüchtigung von Bahnknoten, den Netzausbau, die Erweiterung vieler eingleisiger Strecken zu Zweigleisigkeit, deutlich mehr Elektrifizierung und die Wiedereinführung einer Zuggattung im Fernverkehr, die die Fläche erschließt (ähnlich dem früheren InterRegio). Ziel ist eine deutliche Verlagerung von Pkw-, Lkw- und Flugverkehr auf die Schiene.
9. Der wichtigste Aktivposten der Bahn sind ihre Beschäftigten – doch viele werden aufgrund der mangelhaften Strukturen demotiviert. Notwendig ist eine deutliche Aufstockung der Zahl von Arbeitskräften im produktiven Bereich. Dabei müssen insbesondere die unteren Lohngruppen besser entlohnt und die Arbeitsbedingungen und Schichtsysteme überarbeitet werden. Ziel muss sein, dass sich die Beschäftigten wieder mit der Bahn identifizieren können. Im Managementbereich ist hingegen in vielen Bereichen Personalabbau sinnvoll. Grundsätzlich muss das Führungspersonal aus Menschen bestehen, die „Schiene leben“.
10. Statt der bisherigen Rückzugsstrategien benötigt die Bahn wieder eine offensive Strategie. Das gilt besonders für den Güterverkehr, der in den letzten Jahren von Abbau, Standortschließungen und Qualitätsproblemen geprägt ist. Die Einflussnahme bahnfremder Lobbygruppen und der Einfluss bahnfremder Unternehmensberater auf die Bahn muss beendet werden. Die Gremien der DB müssen aus Fachleuten bestehen, die demokratisch legitimiert, in Sachen Bahn kenntnisreich, unabhängig und leidenschaftlich engagiert sind für eine nachhaltige und soziale Bahn-Mobilität.
Das Ziel muss eine sichere und zuverlässige Flächenbahn im ganzen Land sein, die allen Menschen ein bezahlbares und komfortables Reisen mit der Bahn ermöglicht – und gleichzeitig auch endlich mehr Güter auf die Schiene verlagert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen