Weiße Hochschulen: Black Studies Matter

Die deutschen Unis schmücken sich gerne mit Diversität. Das Fach „Black Studies“ kann man jedoch nirgends studieren.

"Decolonize Berlin" steht auf dem Bismarck-Nationaldenkmal am Tiergarten geschrieben

„Decolonize Berlin“: das Bismarck-Nationaldenkmal am Tiergarten mit politischer Forderung Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Seit dem Mord an dem US-Amerikaner George Floyd wird auch in Deutschland vermehrt über Alltagsrassismus und Polizeigewalt gesprochen. Über Denkmäler, die Kolonialverbrecher würdigen, und Denker, deren Theorien auf rassifizierende Praktiken aufbauen. Black Lives Matter streift damit eine Schnittstelle zwischen der Gesellschaft und den Wissenschaften. Doch was bedeutet das für die Universitäten in Deutschland? Erhalten die Forderungen nach mehr Sichtbarkeit von postkolonialen Theorien und Black Studies neue Kraft?

Seit Jahrzehnten ist die Auseinandersetzung mit der Sichtbarkeit von Schwarzen Wissenschaftler*innen, Wissenschaftler*innen of Color und deren theoretischen Perspektiven ein Anliegen von Autorinnen wie bell hooks oder Angela Davis, im deutschsprachigen Raum von Grada Kilomba, Aretha Schwarzbach-Apithy oder Reyhan Şahin. Diese Autorinnen kritisieren: Universitäten sind weiße Räume.

Obwohl postkoloniale Theorien in den letzten Jahrzehnten sichtbarer wurden, fristen vor allem Black Studies in akademischen Diskursen eine Randposition. „Black Studies existiert in Deutschland immer noch nicht“, sagt Maisha-Maureen Auma, Professorin für Kindheit und Differenz von der Hochschule Magdeburg. Es gebe sie weder als eigenständigen Studiengang, noch als Wissenschaftsansatz, um Ressourcen an einem anderen Lehrstuhl zu bündeln und gezielt Schwarzes Leben in den Fokus zu stellen.

Dadurch, so die Erziehungswissenschaftlerin und Geschlechterforscherin, fehle die Perspektive von rassistisch Marginalisierten. Einer hyperdiversen, postmigrantischen Gesellschaft werde das nicht gerecht. „Universitäten müssen unbedingt diverser werden.“

Diversität als Schmuck

Seit einiger Zeit betonen Universitäten im deutschsprachigen Raum, Forderungen nach Diversität umzusetzen. Blickt man auf ihre Websites, trifft man auf blumige Texte zu Diversity-Prädikaten, Diversity-Konzepten und Mission Statements. Die Universität Leipzig berichtet auf ihrer Website von einem neuen Diversity-Konzept, die Bochumer Ruhr-Universität brüstet sich, „2011/2012 in Strategiesitzungen mit dem Thema Diversity und Inklusion beschäftigt“ zu haben.

Andere Universitäten sind ausführlicher: Die Berliner Humboldt-Universität (HU) thematisiert etwa auf ihrer Website in Reaktion auf Black Lives Matter in mehreren, langen Beiträgen auch den Rassismus an der Hochschule. Auf Anfrage erklärt die Freie Universität Berlin (FU), dass sie „den Gedanken der Diversität“ unterstütze. Auf die Frage, wie es um die Sichtbarkeit von Lehrpersonen und Studierenden of Color und Diversität von Curricula steht, erhält man eine ausführliche Antwort, die aber vor allem bei der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern konkreter wird. Kritiker*innen sehen in solchen Darstellungen den Versuch vieler Hochschulen, ihr Bild nach außen hin zu verbessern, ohne strukturelle Veränderungen anzugehen.

Maisha-Maureen Auma hat in Kiel promoviert, ist Professorin in Magdeburg und lehrt seit 2014 als Gastprofessorin an der Humboldt-Universität Berlin. Sie kennt akademische Räume in Deutschland, und sie sagt: „Generell gilt, dass die Weltauslegungen rassistisch marginalisierter Menschen, vor allem Schwarzer Wissenschaftler*innen, in deutschen akademischen Institutionen am Rande vorkommen oder fehlen. Das liegt daran, dass Schwarze Wissenschaftler*innen vorwiegend in prekären, temporären Positionen partizipieren und erhebliche Barrieren überwinden müssen, um dauerhaft in akademischen Institutionen Platz zu bekommen.“

Rassistische Strukturen

Auch deswegen hat die Studentin Naledi Mmoledi vor zwei Jahren mit einer Gruppe von Studierenden an der Freien Universität Berlin ein BIPoC-Kollektiv mitgegründet, das erste Kollektiv dieser Art in der Geschichte der Universität. „Wir versuchen, uns gegenseitig zu stärken und unsere kollektive Stärke in den Aufbau von Strukturen zu lenken, die uns helfen können, wenn wir Rassismus von Dozierenden, Studierenden und Universitätsmitarbeitenden begegnen. Diese Strukturen existieren ansonsten nicht.“

Die Gruppe kritisiert nicht nur gängige Diversitätskonzepte, sondern hinterfragt auch das Konzept der Diversität selbst. Diversität sei ein Ablenkungsmanöver, erklärt Mmoledi, das strukturelle Ungleichheiten nicht verändert. Sie nennt Ansätze, um Universitäten als weiße Räume zu dekonstruieren und zu öffnen: die Beschäftigung von Schwarzen Dozierenden, ein Überdenken von Lehrplänen unter Berücksichtigung dekolonialer Theorien, Gelder, um Schwarze Berater*innen einzustellen.

Struktureller Rassismus wird an Universitäten auf mehreren heterogenen Ebenen sichtbar: Da wären die Studierenden wie Naledi Mmoledi. Da wären aber auch die Beschäftigten der Universität, die Universitätsleitung und die Lehrenden, die wiederum unterschiedliche Statusgruppen bilden. Und da wären die Curricula. Diese Ebenen sind eng verflochten, und doch müssen sie getrennt betrachtet werden. Zum Beispiel, erklärt Jennifer Chan de Avila, weil gesetzliche Rahmen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf sie unterschiedlich zutreffen – Angestellte der Uni können sich darauf berufen, Studierende nicht.

Chan de Avila forscht und lehrt zu kritischer Diversität, außerdem begleitet sie die Entwicklung des Diversity-Konzeptes der FU Berlin. Dozierende beschreibt Chan de Avila als Multiplikator*innen: Weil sie oft das lehren, was sie selbst einmal gelernt haben oder was ohnehin viel besprochen wird. Aber auch, weil ihnen durch den unmittelbaren Kontakt mit Studierenden große Verantwortung zukommt. Eine Kernfrage ist für sie deswegen: Wer lehrt an Universitäten?

Uni-Zahlen zur Hautfarbe? Gibt es nicht

Womit eine der größten Schwierigkeiten sichtbar wird, sagt Chan de Avila: die Zahlen. „Bei Angestellten kennen wir Nationalität, Alter, Geschlecht. Bei Studierenden kennen wir das Geschlecht, wir wissen mit welchem Abschluss sie an die Universität gekommen sind, wo sie wohnen. Damit ließe sich annähernd sogar die soziale Klasse erschließen“, erklärt sie. Aber Universitäten nutzten diese Zahlen aus Datenschutzgründen kaum, und wenn, dann nicht mit einem intersektionalen Ansatz. „Wonach gar nicht erst gefragt wird, ist alles, was mit Ethnizität oder Hautfarbe zusammenhängt.“

Wer also wissen will, wer an Universitäten lehrt, muss mutmaßen: Die häufigsten Vornamen unter Dozierenden in Deutschland sind laut einer Auswertung von „ZEIT Campus“ Hans (2.109-mal), Klaus (1.566-mal) und Peter (1.509-mal). Der erste Frauenname ist Susanne auf Platz 62 (212-mal). Welche Dozierenden aber weiß sind oder nicht, lässt sich daraus nicht ableiten. „Wer sich an einer Universität umschaut, wird sofort sehen: Es gibt einen totalen Mangel an Repräsentation“, sagt Chan de Avila. „Selbst bei Universitäten, die unter den wissenschaftlichen Mitarbeitenden einen hohen Frauenanteil haben, werden diese Frauen in der Regel weiße, deutsche Frauen mit akademischem Hintergrund sein.“

Eine Auseinandersetzung mit strukturellen Rassismus sei allerdings erst dann wirklich möglich, wenn Ungleichheiten erfasst würden, so Chan de Avila. Sie beschreibt einen Teufelskreis: Wegen der Geschichte sprächen Deutsche ungern über Rassismus. Die fehlende Sichtbarkeit trage letztlich auch dazu bei, weshalb gar nicht genügend Daten gesammelt würden. Am Ende fehle die Diskussionsbasis.

Und sie sieht noch eine Hürde: „Es gibt vor allem in Deutschland noch immer diese Idee, Wissenschaft sei objektiv und neutral. Solange nicht darüber nachgedacht wird, dass Wissenschaft von Machtfragen durchzogen ist, ist es kaum möglich, Vielfalt durchzusetzen, da sie immer als etwas Subjektives angesehen wird.“

Ein Gesprächsanfang?

Wie Sichtbarkeit und Gleichberechtigung an Universitäten verhandelt werden, hängt also mit gesellschaftlichen Diskursen zusammen. Sie übersetzen sich auf Universitäten, bedingen sich gegenseitig – auch Black Lives Matter. „Das Thema Rassismus, insbesondere struktureller Rassismus ist noch nie von einem solchen großen Anteil der Bevölkerung so stark in der Öffentlichkeit problematisiert worden“, sagt die Professorin Maisha-Maureen Auma.

Was auch dazu führe, dass Anliegen der Bewegung samt ihrer Schwarzen, queer-feministischen Wissensbezüge innerhalb von Universitäten mehr diskutiert und vermittelt würden. Zuletzt habe sie mit Schwarzen Lehrenden ganz konkret über ein Curriculum zu Black Lives Matter aus dem nordamerikanischen Raum diskutiert. Auch Jennifer Chan de Avila beobachtet einen Wandel: „Die wichtigste Veränderung, die ich sehe, ist wie Studierende Druck machen. Sie fordern von den Dozierenden, mehr Perspektiven einzubinden, auch intersektional zu denken.“

Aber die Wissenschaftlerinnen sind sich noch in einem anderen Punkt einig: Universitäten seien träge Institutionen, die sich nur langsam bewegen. Die Studentin Naledi Mmoledi bezweifelt, inwiefern die Bewegung überhaupt einen wirklichen Wandel bei Universitäten bewirken wird. Sie erkennt aber an, dass unter Studierenden – insbesondere solchen of Color – vermehrt über antischwarzen Rassismus gesprochen wird. Vielleicht kann Black Lives Matter für universitäre Räume auch das sein: ein Gesprächsanfang.

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