Social-Media-Konsum als Guilty Pleasure: Instagram, der gruselige Spiegel
Unsere Autorin hat viele gute Beziehungen, doch ihr Algorithmus auf Instagram weiß mehr: Er kennt ihren Alltag und Wünsche – was macht das mit ihr?
I mmer wieder bin ich leider fasziniert davon, wie gut der Instagram-Algorithmus ist. Als ich letztes Jahr ein paar Monate in Amsterdam wohnte, verstand die App das sofort. Ich bekam lauter Content über die Stadt eingespielt: Gastro- und Ausgehtipps, lustige Memes über das Wetter und das viele Fahrradfahren. Instagram erkannte, dass ich Expat war, und servierte mir Reels für diese Zielgruppe. Zum Teil auf Niederländisch ohne englische Untertitel: Dass meine Sprachkenntnisse ausreichten, wusste die App auch.
Als ich anschließend in Berlin in eine neue Wohnung zog und mir zum ersten Mal in meinem Leben eine Zimmerpflanze kaufte, bekam ich ab sofort Pflanzencontent eingeblendet. Lag es daran, dass mir eine Freundin ein Pflanzen-Reel weiterleitete? Daran, dass ich in meinem Feed nun an einem Beitrag über Pflanzenpflege hängen blieb, den ich vorher nie beachtet hatte? Ich weiß es nicht.
Instagram weiß hingegen, dass ich eine Läuferin bin und Yoga praktiziere, dass ich auch gegenüber zahlreichen anderen Sportarten nicht abgeneigt bin. Dass ich mich für Geopolitik, Kunst und Ballettaufführungen interessiere. Welche Art von Büchern ich lese und dass ich selber schreibe. Dass ich wahnsinnig gerne Kaffee trinke und neue Länderküchen ausprobiere. Dass ich schon viel gereist bin und noch sehr viel sehen will. Dass ich es liebe, viel zu früh am Flughafen zu sein, um mit einem überteuerten Kaffee am Gate zu sitzen und das Rollfeld zu beobachten. Dass ich währenddessen etliche Male überprüfe, ob mein Reisepass noch da ist.
Instagram weiß auch, dass ich keine Kinder habe und nicht verheiratet bin, sodass der Algorithmus mir regelmäßig lustigen Content anzeigt à la: Der einzige Gang, den ich entlanggehe, ist der im Flugzeug – nicht der zum Altar.
In der Vergangenheit wusste der Algorithmus nicht nur, dass ich Single war. Er wusste auch, dass ich es schon ziemlich lange war. Ich bekam ständig selbstironische Witze über Langzeit-Singles eingeblendet.
Er wusste, dass ich verletzt wurde, dass Dinge mit Menschen nicht so gelaufen waren, wie ich mir das gewünscht hatte. Ich bekam Reels angezeigt über Akzeptanz, Loslassen, Selbstliebe. Ihr Tenor: Du bist toll. Menschen haben verschiedene Werte. Manche Menschen sind nur kurz in unserem Leben, um uns etwas über uns zu zeigen. Der richtige Mensch ist da draußen noch irgendwo. Aber eigentlich brauchst du auch niemanden. Mach dir mit dir selbst eine gute Zeit.
Mittlerweile weiß der Algorithmus, dass ich wieder eine Beziehung habe. Es ging los mit Couple-Content über Restaurantbesuche: lieber neben- als gegenüber einander sitzen; Essen teilen; er isst meine Reste auf. Nun bekomme ich permanent Reels über ein verliebtes animiertes Pinguin-Paar eingeblendet, das sich kaputtlacht, weil einer pupst (der Mann natürlich).
Reels schauen um 2 Uhr nachts
Ja, bisweilen eskaliert mein Instagram-Konsum, das gebe ich zu. Vor allem ist das so, wenn ich allein bin. Dabei freue ich mich an solchen Tagen immer auf meine Me-Time und plane, mich spätestens um 22 Uhr schlafen zu legen, um am nächsten Morgen wie neugeboren aufzuwachen.
Stattdessen finde ich mich um zwei Uhr nachts wieder, wie ich mir KI-Videos anschaue, in denen Planeten durchgeschnitten werden und ihr Inneres hervorquillt. Inwiefern man die Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun durchschneiden kann, erschließt sich zwar nicht, spannend ist es dennoch. Ebenso, wie es aussähe, könnte man sich die Miniversion der Planeten aufs Brot schmieren.
Diese Reels leite ich dann alle meinem Freund weiter, inklusive eines passenden Reels, in dem es darum geht, dass man seinem Freund nachts um zwei zahlreiche Reels weiterleitet, nachdem man ihm schon Stunden zuvor „Gute Nacht“ getextet hat. Er fand übrigens, dass der Pluto-Brotaufstrich am leckersten aussah.
Natürlich ist der Instagram-Algorithmus auch gefährlich. Nicht nur, weil er uns zu Dopamin-Junkies macht und dafür sorgt, dass ich nicht genügend Schlaf bekomme. Er ist vor allem gefährlich, weil er Echokammern verstärkt und so zu Radikalisierung beiträgt.
Dennoch ist Instagram mein persönliches Guilty Pleasure. Ich bin ein sehr vielseitiger Mensch mit unzähligen Hobbys und Interessen. Obwohl ich viele, sehr gute Beziehungen in meinem Leben habe, glaube ich dennoch, dass niemand wirklich alle Facetten von mir kennt. Aber der Instagram-Algorithmus weiß und versteht alles.
Und wenn manchmal mein Kopf voller Arbeit ist, mich eine Aufgabe komplett vereinnahmt, ich hektisch mit Terminen jongliere und abends meine Gehirnkapazität nur noch dafür ausreicht, mich durch Reels zu swipen. Dann erinnert mich der Algorithmus wieder daran, wer ich bin. Wie bunt und vielseitig mein Leben ist. Wie viel ich noch sehen, wissen und entdecken will. Ja, das ist gruselig. Aber es ist auch irgendwie schön.
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