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Social-Media-Konsum als Guilty PleasureInstagram, der gruselige Spiegel

Eva Fischer

Essay von

Eva Fischer

Unsere Autorin hat viele gute Beziehungen, doch ihr Algorithmus auf Instagram weiß mehr: Er kennt ihren Alltag und Wünsche – was macht das mit ihr?

Kurz mal schauen, wer man eigentlich ist Foto: Martin Langer/deutsche fotothek/imago

I mmer wieder bin ich leider fasziniert davon, wie gut der Instagram-Algorithmus ist. Als ich letztes Jahr ein paar Monate in Amsterdam wohnte, verstand die App das sofort. Ich bekam lauter Content über die Stadt eingespielt: Gastro- und Ausgehtipps, lustige Memes über das Wetter und das viele Fahrradfahren. Instagram erkannte, dass ich Expat war, und servierte mir Reels für diese Zielgruppe. Zum Teil auf Niederländisch ohne englische Untertitel: Dass meine Sprachkenntnisse ausreichten, wusste die App auch.

Als ich anschließend in Berlin in eine neue Wohnung zog und mir zum ersten Mal in meinem Leben eine Zimmerpflanze kaufte, bekam ich ab sofort Pflanzencontent eingeblendet. Lag es daran, dass mir eine Freundin ein Pflanzen-Reel weiterleitete? Daran, dass ich in meinem Feed nun an einem Beitrag über Pflanzenpflege hängen blieb, den ich vorher nie beachtet hatte? Ich weiß es nicht.

Instagram weiß hingegen, dass ich eine Läuferin bin und Yoga praktiziere, dass ich auch gegenüber zahlreichen anderen Sportarten nicht abgeneigt bin. Dass ich mich für Geopolitik, Kunst und Ballettaufführungen interessiere. Welche Art von Büchern ich lese und dass ich selber schreibe. Dass ich wahnsinnig gerne Kaffee trinke und neue Länderküchen ausprobiere. Dass ich schon viel gereist bin und noch sehr viel sehen will. Dass ich es liebe, viel zu früh am Flughafen zu sein, um mit einem überteuerten Kaffee am Gate zu sitzen und das Rollfeld zu beobachten. Dass ich währenddessen etliche Male überprüfe, ob mein Reisepass noch da ist.

Instagram weiß auch, dass ich keine Kinder habe und nicht verheiratet bin, sodass der Algorithmus mir regelmäßig lustigen Content anzeigt à la: Der einzige Gang, den ich entlanggehe, ist der im Flugzeug – nicht der zum Altar.

In der Vergangenheit wusste der Algorithmus nicht nur, dass ich Single war. Er wusste auch, dass ich es schon ziemlich lange war. Ich bekam ständig selbstironische Witze über Langzeit-Singles eingeblendet.

Er wusste, dass ich verletzt wurde, dass Dinge mit Menschen nicht so gelaufen waren, wie ich mir das gewünscht hatte. Ich bekam Reels angezeigt über Akzeptanz, Loslassen, Selbstliebe. Ihr Tenor: Du bist toll. Menschen haben verschiedene Werte. Manche Menschen sind nur kurz in unserem Leben, um uns etwas über uns zu zeigen. Der richtige Mensch ist da draußen noch irgendwo. Aber eigentlich brauchst du auch niemanden. Mach dir mit dir selbst eine gute Zeit.

Mittlerweile weiß der Algorithmus, dass ich wieder eine Beziehung habe. Es ging los mit Couple-Content über Restaurantbesuche: lieber neben- als gegenüber einander sitzen; Essen teilen; er isst meine Reste auf. Nun bekomme ich permanent Reels über ein verliebtes animiertes Pinguin-Paar eingeblendet, das sich kaputtlacht, weil einer pupst (der Mann natürlich).

Reels schauen um 2 Uhr nachts

Ja, bisweilen eskaliert mein Instagram-Konsum, das gebe ich zu. Vor allem ist das so, wenn ich allein bin. Dabei freue ich mich an solchen Tagen immer auf meine Me-Time und plane, mich spätestens um 22 Uhr schlafen zu legen, um am nächsten Morgen wie neugeboren aufzuwachen.

Stattdessen finde ich mich um zwei Uhr nachts wieder, wie ich mir KI-Videos anschaue, in denen Planeten durchgeschnitten werden und ihr Inneres hervorquillt. Inwiefern man die Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun durchschneiden kann, erschließt sich zwar nicht, spannend ist es dennoch. Ebenso, wie es aussähe, könnte man sich die Miniversion der Planeten aufs Brot schmieren.

Diese Reels leite ich dann alle meinem Freund weiter, inklusive eines passenden Reels, in dem es darum geht, dass man seinem Freund nachts um zwei zahlreiche Reels weiterleitet, nachdem man ihm schon Stunden zuvor „Gute Nacht“ getextet hat. Er fand übrigens, dass der Pluto-Brotaufstrich am leckersten aussah.

Natürlich ist der Instagram-Algorithmus auch gefährlich. Nicht nur, weil er uns zu Dopamin-Junkies macht und dafür sorgt, dass ich nicht genügend Schlaf bekomme. Er ist vor allem gefährlich, weil er Echokammern verstärkt und so zu Radikalisierung beiträgt.

Dennoch ist Instagram mein persönliches Guilty Pleasure. Ich bin ein sehr vielseitiger Mensch mit unzähligen Hobbys und Interessen. Obwohl ich viele, sehr gute Beziehungen in meinem Leben habe, glaube ich dennoch, dass niemand wirklich alle Facetten von mir kennt. Aber der Instagram-Algorithmus weiß und versteht alles.

Und wenn manchmal mein Kopf voller Arbeit ist, mich eine Aufgabe komplett vereinnahmt, ich hektisch mit Terminen jongliere und abends meine Gehirnkapazität nur noch dafür ausreicht, mich durch Reels zu swipen. Dann erinnert mich der Algorithmus wieder daran, wer ich bin. Wie bunt und vielseitig mein Leben ist. Wie viel ich noch sehen, wissen und entdecken will. Ja, das ist gruselig. Aber es ist auch irgendwie schön.

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Eva Fischer
Chefin vom Dienst
Jahrgang 1989; seit Anfang 2025 bei der taz, derzeit als Nachrichtenchefin und Chefin vom Dienst bei taz.de. Vorherige Stationen: u.a. EU-Korrespondentin in Brüssel beim Handelsblatt, Redakteurin für Internationale Politik beim Tagesspiegel, Redakteurin bei der ZDF-Talkshow "Markus Lanz". Wirtschaftspsychologie-Studium mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie und dem Nebenfach Politikwissenschaft, Besuch der Holtzbrinck-Journalistenschule, gelernte Medienkauffrau Digital und Print beim Spiegel-Verlag.
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5 Kommentare

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  • Erst habe ich gedacht, oh watt'n ditte.



    Zweitens habe ich als älterer Mensch mir die Begriffe Guiltry Pleasure, Expat und Reels mir natürlich mit KI erklären lassen.



    Mein zweiter Vorname könnte glatt GP heißen.



    ..er isst meine Reste auf...



    ...Stattdessen finde ich mich um zwei Uhr nachts wieder, wie ich mir KI-Videos anschaue, in denen Planeten durchgeschnitten werden und ihr Inneres hervorquillt....



    ...Dass ich währenddessen etliche Male überprüfe, ob mein Reisepass noch da ist....



    Ich fasse es nicht, ja, ich fasse es nicht...



    So antiquiert bin ich scheint's noch gar nicht!



    In mir breitet sich so eine Art Fatalismus aus(Altersfatalismus)



    Pfeif auf den Algorithmus!



    Jetzt muß ich noch klären swipen und Me-Time.



    Allet wird jut.



    Supi Beitrag

  • "... Dann erinnert mich der Algorithmus wieder daran, wer ich bin. Wie bunt und vielseitig mein Leben ist. Wie viel ich noch sehen, wissen und entdecken will. ..."



    Wenn ich dafür sog. soziale Medien benötige sollte ich vielleicht mal das Smartphone beiseite legen und mal über mich selbst und meinen Medienkonsum nachdenken.



    Scheinbar ist Langeweile eins der größten Probleme der heutigen Zeit, sonst würde man seine Zeit nicht bei Instagram etc. verplempern.

  • "Kurz mal schauen, wer man eigentlich ist." Die junge Frau auf dem Bild wird es auf diesem Weg nie erfahren. Das gelingt nur in realen Dialogen, dem Hin und Her zwischen zwei Menschen. Die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ist und bleibt ein Monolog. Einfach nur deadly boring.

  • Nun, es wird zumindest gesünder sein als das Alkoholproblem, das sich Andere in ähnlicher Form schönreden.

  • Also, ich persönlich finde das nur gruselig. Aber wie sagt der Kölner: "Jede Jeck is anders!"