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Warnung vor der fünften WelleLauterbach impft selbst

In Niedersachsen wurde die 2G-Regelung für Weihnachtsshopper kassiert. Lauterbach fährt zu den Parteikollegen nach Hannover – und warnt.

Hier impft der Minister persönlich: Karl Lauterbach in einem Impfzentrum in Hannover Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Hannover taz | Es ist der erste Auswärtstermin des neuen Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD). Er habe sich bewusst für das „vorbildliche“ Kinderimpfzentrum am Zoo Hannover entschieden, sagt er. Da legt er zur großen Begeisterung der Fotografen und Kameraleute dann auch noch selbst Hand an und impft zwei Kinder.

Draußen protestiert derweil eine kleine, aber laute Gruppe von Coronaleugnern und Impfgegnern. Als „Kindermörder“ beschimpfen sie Lauterbach – sind sich aber gleichzeitig nicht zu schade, verängstigte Kinder im Grundschulalter anzupöbeln, die auf dem Weg ins oder aus dem Impfzentrum sind.

„Vorbildlich“ wird Lauterbach auch die Coronapolitik von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) später nennen, denn natürlich ist dies in erster Linie ein Besuch unter Parteifreunden. Weil kann diese Rückendeckung allerdings gut gebrauchen – nachdem das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die 2G-Regelung für den Einzelhandel gekippt hat. Auf die hatte man sich zwar bundesweit geeinigt, aber umgesetzt werden muss sie eben über die Coronaverordnungen der Länder.

In mehreren Bundesländern laufen Klagen dagegen, betrieben unter anderem von der Handelskette Woolworth. In Schleswig-Holstein hatte das dortige OVG die Regelung gelten lassen, in Niedersachsen wurde sie jetzt mit sofortiger Wirkung kassiert. Nun murren vor allem die Kommunen, die sich große Mühe gemacht haben, Kontrollen und Einlassbändchen zu organisieren, um es ihren Händlern leichter zu machen.

Gleichzeitig greift die Verunsicherung auch in anderen Bundesländern um sich: Welches Oberverwaltungsgericht urteilt als nächstes und wie? Welches Land gibt vorher schon dem Druck des Handels nach, der um sein Weihnachtsgeschäft kämpft?

Unaufhaltsame Welle für Lauterbach

Zumindest bei den Kleinen kommt die Impfaktion des Ministers gut an Foto: Fabian Bimmer/reuters

Weil und Lauterbach betonen zwar beide, keine „Urteilsschelte“ betreiben zu wollen, lassen aber trotzdem keinen Zweifel daran, dass sie die Entscheidung für falsch halten.

Er gehe von einer massiven fünften Welle durch Omikron aus, sagt Lauterbach. „Was ich von meinen Kollegen aus England höre, ist, dass die Ausbreitung alles übertrifft, was in der gesamten Pandemie beobachtet wurde.“ Die fünfte Welle lasse sich auch in Deutschland gar nicht mehr verhindern.

Und ab einem bestimmten Punkt helfen dann auch die überwiegend milden Verläufe nichts mehr, sagt Lauterbach. Die würden die Zahl der Sterbefälle vielleicht für zwei oder drei Wochen gering halten. Dann aber hätte das Wachstum der Fälle diesen Vorteil schon aufgezehrt und die Krankenhäuser würden an ihre Grenzen kommen.

Auch Weil mahnt, man dürfe sich auf den aktuell sinkenden Inzidenzen nicht ausruhen. Das Zusammentreffen der vierten und der fünften Welle produziere möglicherweise die schwierigste Situation der gesamten Pandemie.

Dies hinauszuzögern, um der Booster-Kampagne mehr Zeit zu verschaffen, sei das oberste Ziel, sagt Lauterbach. Deshalb sei er dabei, mehr Impfstoff zu organisieren, deshalb plädiere er für Kontaktreduktionen und freiwillige Tests auch vor den Feiertagsbesuchen.

Was die Richter treibt

Für das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg war dieses Szenario offenbar zu weit weg. In seiner Urteilsbegründung hebt es vor allem darauf ab, dass der Einzelhandel ja gar nicht nachweislich ein Infektionstreiber ist. Mit einer FFP2-Maskenpflicht stünde angesichts der aktuellen Pandemielage ein milderes und angemesseneres Mittel zur Verfügung.

Außerdem leuchtete die Ungleichbehandlung der verschiedenen Branchen den Richtern nicht ein: Niedersachsen hatte nicht nur Supermärkte und Drogerien ausgenommen, sondern beispielsweise auch Gartenmärkte oder Fachmärkte zur Reparatur und Instandhaltung von Elektronikgeräten, nicht aber die Baumärkte.

In Sachen FFP2-Maskenpflicht wird man nun nachbessern, heißt es aus der niedersächsischen Staatskanzlei. Im Übrigen wartet man darauf, wie das OVG Lüneburg in der kommenden Woche über die Weihnachtsruhe urteilen wird, mit der die Schließung von Clubs und Diskotheken zwischen den Jahren verfügt wurde.

Er wäre ja sehr dafür, dass sich das Gericht einmal ein paar Experten zur Anhörung einlade und sich die voraussichtliche Lage im Januar modellieren lasse, sagte Weil.

Möglicherweise, schwingt dabei unausgesprochen mit, wird man das schöne Weihnachtsshopping dann teuer bezahlen. Andrerseits: Wenn es dann wieder zu einem allgemeinen Lockdown kommt, verstößt der wenigstens nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

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7 Kommentare

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  • Lauterbach hat verstanden, dass diese elende Pandemie nun gar nicht zu einem Parteienwettstreit taugt (übrigens genauso die Klimakatastrophe, bei denen sich die grüne Partei profilieren wollte und letztlich daran scheiterte, weil sie Kompromisse ausmauschelt aus Angst vor Verbotsdemagogen) . Diese ganzen Krisen müssen gemeinsam angegangen werden, daher ist der wissenschaftliche Krisenstab das richtige Beratungsgremien gegenüber zumeist ungebildeten 'Polithanseln'.



    Zu viele Debatten um marginale Differenzen verwirren viele Mitmenschen und schüren Zweifel, die rechten Quertreibern das Geschäft erleichtern. Besonders enttäuscht bin ich von dieser Anthrosophen-Blase !!! Sie sind keine Gutmenschen....

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Ein Politiker, der mehr kann, als nur reden.



    Aktuell wächst die Zahl der Gegendemonstranten - Frieden, Freiheit, keine Diktatur rufend, teilweise mit einem lauschigen Grablicht in den Händen geschmückt.



    Lauterbach als Gesundheitsminister schon seit 2 Jahren hätte diesen, zugrundeliegenden Vertrauensverlust wohl zumindest etwas verringert. Ob er jetzt die angemessene Klarheit auch noch für die Schwurbler herstellen kann, bleibt für uns alle nur zu hoffen.

  • Da legt ein Minister einen Showauftritt hin und die taz goutiert das.



    taz, was ist in 40 Jahren nur aus dir geworden?

    • @Nichtmitmir:

      Ich frage mich vor allem, was aus den taz-Lesern geworden ist. Haben Sie vor 40 Jahren auch nur die Bilder angeschaut, ohne den Text zu lesen?

  • Dieses Bild vom impfenden Karl Lauterbach und das Mädchen( o. Bild) ist gut.



    Durch die Maske kommt der Ausdruck der Augen, gerade bei Kindern, immer voll zur Geltung.



    Auf jeden Fall finde ich diese Aktion besser als die Rede von Olaf Scholz im BT. Hat mich doch sehr an die Volkskammerreden erinnert. Lang anhaltender Beifall. Starker Beifall.



    Hat nur noch gefehlt, das sich die Ampel von ihren Plätzen erhebt und Hochrufe ausstößt.

  • Das finde ich megaklasse !



    OK - werbewirksam ist das auch !

    Aber hier tut mal ein Politiker wirklich was !



    Und er tut nicht nur "als ob" wie all seine anderne Berufskolleg:innen !

    Sehr sympathisch - das hat noch deutlich mehr Symbolkraft als eine Merkel die im Überschwemmungsgebiet mit einem Scheckbuch rumgeht !

  • "Und ab einem bestimmten Punkt helfen dann auch die überwiegend milden Verläufe nichts mehr, sagt Lauterbach."

    So ist es. Man kann gegen Lauterbach sagen, was man will: solche elementaren Tatsachen hat er verstanden. Und das ist bei seinem neuen Job immens wichtig.