Waldschäden im Harz: Die Kraft toter Bäume

Im Nationalpark Harz sind die Folgen des Klimawandels besonders sichtbar. Die Natur einfach sich selbst zu überlassen kann eine Lösung sein.

Blick von oben auf abgestorbene Fichten, die wie Mikadostäbchen ineinandergefallen sind

Klimawandel sorgt für scheintoten Wald: Hier war der Borkenkäfer unterwegs Foto: Jochen Eckel/imago

BRAUNLAGE taz | Wer den Harz von früher kennt, ist bei diesem Anblick fassungslos. An der Bundesstraße 4 im Harz, kurz vor Braunlage, ragen Tausende graue und braune Silhouetten abgestorbener Fichten in den Himmel. Dasselbe Bild ein paar Kilometer weiter, am Rehberger Graben – er wurde im 18. Jahrhundert angelegt, um Wasser der Oker nach St. Andreasberg umzuleiten, wo es in Bergwerken Wasserräder zur Energieversorgung antrieb. So weit das Auge reicht, dominieren auch hier Grau und Braun. Auf dem Hang gegenüber breiten sich riesige Freiflächen aus, in denen die Stürme und Hitze der vergangenen Jahre und mehrere Generationen von Borkenkäfern die Stämme ganz umgeworfen haben.

„Hier sieht man den Wald von morgen“, sagt Friedhart Knolle eher beiläufig. Was? Das soll der zukünftige Wald sein? „Ja, der Wald ist nämlich gar nicht so tot, wie er aussieht.“ Die toten Fichten seien nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu einer neuen Wildnis. Wo Leben vergehe, da entstehe Platz für Neues. Knolle, Sprecher des Nationalparks Harz, stapft voran über abgebrochene Stämme und vermoderndes Holz – Totholz, das tatsächlich gar nicht tot ist: Schon nach ein paar Metern Fußweg ist unübersehbar, dass zwischen den stehenden und liegenden Stämmen bereits eine neue Generation Wald heranwächst.

Überall sprießen junge Ahorne, Ebereschen und Birken aus den morschen Stümpfen. Zwischen den stummen Zeugen des Klimawandels breitet sich ein Teppich aus blühenden Kräutern aus.

Intensives Gezwitscher von allen Seiten ist zu hören. „Die Vogeldichte steigt im wilden Wald“, sagt Knolle. Sperlingskauz und Schwarzspecht sind zurückgekehrt, die Spechte hämmern ihre Höhlen gern in die toten Stämme. Im Unterholz finden Luchse und Wildkatzen Unterschlupf. Die vermodernden Stämme sind zudem Lebensraum und Nahrungsquelle für viele Pilze und Insekten, Käfer und Wildbienen nutzen Totholz für ihre Brut.

In der Kernzone des Nationalparks, die etwa 60 Prozent der Fläche des insgesamt knapp 250 Quadratkilometer großen Schutzgebietes ausmacht, kann sich die Natur seit einigen Jahren frei entwickeln. Ehemalige Wirtschaftswälder dürfen wieder zu wildem Naturwald werden. „Wir greifen hier nur noch zur Sicherheit der Gäste und des Straßenverkehrs ein“, erklärt Knolle. An Straßen, an den Schienen der Harzer Schmalspurbahnen und an besonderen touristischen Zielen würden tote oder absterbende Bäume also umgerissen und an die Seite gezogen. Aber eben auch nur dort.

Friedhart Knolle, Nationalpark

„Ja, der Wald hier ist nämlich gar nicht so tot, wie er aussieht“

Totholzreiche, naturnahe Wälder ermöglichen nicht nur neue Artenvielfalt, sie erfüllen auch eine wichtige Funktion für den Klimaschutz: Langsam verrottende Stämme und die mächtigen Humusböden speichern große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid. Gräser, Kräuter und nachwachsende Bäume nehmen frei werdende Nährstoffe auf und binden sie in neuer Biomasse.

Was vorerst bleibt, ist der hässliche Anblick. Knolle räumt ein, dass es deshalb auch Kritik gibt an der Waldpolitik der Nationalparkverwaltung. Und dass das Motto „Natur Natur sein lassen“ nicht bei allen gut ankommt. Allerdings hätten sich die Widerstände inzwischen „auf ein Minimum reduziert – vor allem seit klar ist, dass sich auch so Geld verdienen lässt“.

Im Tourismus nämlich. Wie viele Politiker haben auch Touristiker*innen im Harz die Klima­krise lange Zeit ignoriert oder ihr Ausmaß kleinzureden versucht. Diese Strategie ist gescheitert, das wurde beim Harzer Tourismustag 2019 in Goslar deutlich. Für eine ausschließliche Prävention sei es bereits zu spät, hieß es dort. In den vergangenen beiden Jahren habe man die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass den Auswirkungen des Klimawandels nur bedingt etwas entgegengesetzt werden könne.

Weil das Problem nun aber erkannt ist, soll es künftig auch offensiv benannt werden, betont die Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes, Carola Schmidt. Sie stellte den rund 100 Teilnehmern der Veranstaltung die neue Kommunikationskampagne des Verbandes mit dem Titel „Der Wald ruft!“ vor.

Statt den Urlaubern den Zustand der Wälder zu verschweigen, sollen Harz-Reisende bereits vor dem Start im Internet, mit Flyern und in Broschüren darauf vorbereitet werden, welcher Anblick sie womöglich erwartet. Und wie der Nationalpark mit den klimawandelbedingten Schäden umgeht.

Auch vor Ort werden Waldsterben und Waldleben inzwischen thematisiert. Zuletzt entstanden eine Multimedia-Station im Nationalparkhaus Schierke und vier Themeninseln entlang der Brockenstraße – der beliebte Wanderweg führt auf den höchsten Berg im Harz.

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An diesen Punkten können sich Wandersleute nun direkt zu den Waldbildern informieren, die ihnen auf ihrem Weg zum Gipfel begegnen. Anhand von Panoramafotos und passenden Sichtachsen lässt sich die stetig voranschreitende Entwicklung hin zur Wildnis an den jeweiligen Standorten gut vergleichen.

Unter dem Motto „Baustelle Natur – Hier baut die Natur die neue Wildnis“ erlauben die Themeninseln Einblicke in den rasanten Waldwandel. Und sie erläutern, warum tote Bäume im Nationalpark nicht das Ende des Waldes, sondern den Beginn der neuen Waldwildnis einläuten.

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