piwik no script img

Wahlerfolg der LinkenKeine Zeit, jetzt lang zu feiern

Kersten Augustin
Kommentar von Kersten Augustin

Die Linke profitierte von glücklichen Umständen, hat im Wahlkampf aber auch vieles richtig gemacht. Was kommt jetzt auf sie zu?

Gregor Gysi und Ines Schwerdtner bei der Wahlparty der Linken Foto: Carsten Koall/dpa

D ie Linkspartei ist zurück, und wie. Noch vor wenigen Wochen lag die Partei in Umfragen unter fünf Prozent, dann gelang ihr die Überraschung. Berücksichtigt man die hohe Wahlbeteiligung, hat sie sich fast verdoppelt. Dazu kommen ein halbes Dutzend Direktmandate, darunter mit Berlin-Neukölln das erste überhaupt im Westen.

Die Linke hat von günstigen Umständen profitiert, aber in den vergangenen Wochen auch vieles richtig gemacht. Wie ist ihr dieser Erfolg gelungen, und was kommt jetzt auf die Partei zu?

Laut Analysen zur Wählerwanderung gaben viele ehemalige SPD- und Grünen-Wähler der Linken ihre Stimme. Doch den Frust über die Ampel gab es schon, als die Linke in Umfragen noch unter fünf Prozent herumkrebste. Sie profitierte danach von weiteren äußeren Umständen: Viele Wähler wollten nach dem Tabubruch der Union eine Partei wählen, bei der sicher ist, dass sie Friedrich Merz nicht zum Kanzler wählt. Und Grüne und SPD waren im Wahlkampf in der Asyl- und Migrationspolitik oft kaum unterscheidbar von der Union.

Doch die Linke hat nicht nur von externen Faktoren profitiert. Sie hatte auch einen Plan, der aufgegangen ist. Ihr strategischer Coup war die „Mission Silberlocke“. Sie behauptete frech, dass sie auch über drei Direktmandate sicher in den Bundestag einziehen würde. Das war zwar lange ziemlich unrealistisch, aber es führte dazu, dass die Angst schwand, eine Zweitstimme für die Linke sei verloren.

Zudem hat es die Linke geschafft, sich nach der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihren „linkskonservativen“ Freunden ein neues Image zu geben: Als Partei, die sich vor Ort für soziale Belange wie günstigere Mieten und gegen den Rechtsruck einsetzt. Und es traten auch deshalb so viele Menschen ein, weil sie im Haustürwahlkampf selbst etwas tun konnten.

Neue Herausforderungen

Viel Zeit, ihren Wahlerfolg zu feiern, wird die Linke nicht haben. Auch wenn sie nicht an einer Koalition beteiligt sein wird, steht sie vor großen Aufgaben. Die Partei muss klären, wie sie den Schwung des Wahlerfolgs in den Alltag einer repräsentativen Demokratie überträgt.

Fraktionen sind mächtig, hier liegt das Geld für neue Mitarbeiter, hier gibt es die mediale Aufmerksamkeit. Die alte Linkspartei ist auch daran gescheitert, dass sich in der Fraktion ein zweites Machtzentrum bildete, auf das die Parteispitze kaum Einfluss hatte. Es war unklar, wer für die Partei spricht.

Klare Arbeitsteilung

Im Wahlkampf gab es nun eine klare Aufteilung: Jan van Aken war für die Talkshows, Ines Schwerdtner für die Basis, Heidi Reichinnek für Social Media zuständig. Im Moment des Erfolgs wirken Parteispitze und Spitzenkandidaten geeint. Aber bleibt das so?

Noch wichtiger wird sein, ob die Linke es schafft, die zehntausenden neuen Mitglieder zu integrieren. Wie sieht eine zeitgemäße linke Partei aus, welche Formen der Mitbestimmung und der Verankerung in den Stadtteilen gibt es, wenn gerade kein Wahlkampf ist? Das muss die Linke erarbeiten.

Eine weitere Herausforderung liegt in der Außenpolitik. Und da ist einiges zu tun. Das sieht man, wenn man ins Wahlprogramm der Linken schaut. Da wird von Kuba geschwärmt, um ein paar orthodoxe Genossen glücklich zu machen. Für den Existenzkampf der Ukraine hat die Partei dagegen drei Jahre nach Beginn des russischen Großangriffs wenig zu bieten.

Nicht mehr Underdogs

Die Parteispitze und insbesondere Jan van Aken haben es zwar geschafft, den Konflikt intern zu befrieden, und verweisen auf die tatsächlich unzureichenden westlichen Sanktionen, etwa gegen die russische Schattenflotte. Aber nach der Wahl kann sich die Linke nicht mehr um die Frage herummogeln.

Warum sollten sich Demokratien nicht militärisch gegen Diktaturen unterstützen dürfen? Das kann die Linke nicht beantworten. In den letzten Wochen ist der Bündnisfall der Nato nicht unwahrscheinlicher geworden. Und dass der Ami nach Hause geht, dürfte niemanden mehr freuen. Darauf braucht es zeitgemäße linke Antworten.

Andere Länder haben vorgemacht, dass es auch für linke Parteien möglich ist, ihre Außenpolitik zu ändern. Die finnische Linke ist etwa für Waffenlieferungen an die Ukraine und nicht mehr gegen eine gemeinsame Verteidigungspolitik im Rahmen der Nato. Gut möglich, dass die vielen jungen Genossen der deutschen Linkspartei auch in dieser Frage deutlich pragmatischer sind als die Parteigründer.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Ohne Linke Opposition fehlt etwas im Bundestag

Zum Schluss eine weitere Herausforderung: Die Linke wird als starke Opposition im Bundestag gebraucht. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass etwas fehlt, wenn die Regierung fast nur noch von rechts kritisiert wird. Deshalb dürfen sich durchaus auch Menschen über den Wahlerfolg der Linken freuen, die der Partei nicht nahestehen.

Doch wenn es tatsächlich zu einer Koalition von SPD und CDU kommen sollte, bekommt die Linke in der Opposition Konkurrenz von den Grünen. „Alle wollen regieren, wir wollen verändern“, mit diesem Slogan bestritt die Partei ihren Wahlkampf. Als Underdog, der um den Einzug in den Bundestag zitterte, ging das gerade noch als standhaft durch.

Schon bald muss die Linke deutlich machen, was sie unter Veränderung versteht. Denn bei der Reform der Schuldenbremse oder einem möglichen Sondervermögen kommt es auf sie an, ohne die Linke gibt es keine demokratische Zwei-Drittel-Mehrheit im neuen Bundestag. Sperrt sich die Partei, wenn mit dem Geld auch in die europäische Verteidigungspolitik investiert werden soll, oder ist sie zu einem Kompromiss bereit, der auch Investitionen in die marode Infrastruktur ermöglicht?

Gerade junge Wähler mit einer eher geringen Parteibindung haben die Linke gewählt: Bei den Erstwählern ist sie stärkste Kraft, bei jungen Frauen wählte sie sogar jede Dritte. Das ist viel Vertrauen, das nicht enttäuscht werden will. Und viel Verantwortung für eine Partei, die eben noch als tot galt.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Die Linke hat jetzt die Chance, im Bundestag zu zeigen wie konstruktive Opposition gemacht wird. Wenn sie das tut und dann auch noch (wie im Wahlkampf) an die Basis geht und zuhört, wo den Leuten der Schuh drückt, ist sie auf dem richtigen Weg. Den Leuten zuhören und sie ernst nehmen ist ein Erfolgsrezept der AfD. Das darf man denen nicht überlassen.



    In meinem Wahlkreis (Lüchow-Dannenberg Lüneburg) hat die Linke mehr als 10 Prozent der Stimmen geholt. Dass die Linke hier Probleme von Mietern aktiv in Kommunalparlamente eingebracht hat, dürfte da eine Rolle gespielt haben.



    Ein zweites Mal "Aktion Silberlocke" und platte Sprüche auf Wahlplakaten werden bei der nächsten Wahl nicht reichen.

  • Schön für die Linke, aber warum zur Hölle ist Dietmar Bartsch NOCH IMMER für die Linke im Bundestag?! Wenn er sein Direktmandat verteidigt hätte: Alles gut, aber so?! Ständig wird von "so vielen tollen neuen, jungen Leuten in der Linkspartei" gesprochen. Warum wird dann aber einer der (trotz der knapp 9%) wenigen Parlamentssitze jemandem gegeben, der 1. für den zwischenzeitlichen Downfall der Linke maßgeblich mitverantwortlich ist und 2. doch Null Komma Null für "Aufbruch" oder ähnliches steht, sondern maximal für ein "Verwalten" von linken Inhalten...

  • ENDLICH!!! mal eine wirklich linke Stimme im Parlament. Das was da bisher als "links" bezeichnet wurde, das war bestenfalls nicht ganz rechts, mit ein paar Nuancen hier und da.

  • Als könnte die Linke nicht auch regieren.. Gemeint ist hier doch auch wieder, dass sie Kompromisse schließen soll mit verschiedenen menschenfeindlichen und militaristischen Positionen der anderen Parteien. Weil sie dazu wenig bereit sein wird, hoffen wir es zumindest, wurde sie auch gewählt.

  • Dieses Ergebnis ist eine Katastrophe. Vor allem für Menschen mit Migrationsgeschichte. Aber auch für Arbeitslose, Arme, Armutsbetroffene, psychisch Kranke, Alleinerziehende und Rentner. Es wird schlimm werden. Für einige dieser Gruppen dürfte das Leben in Ostdeutschland fortan lebensgefährlich sein. Viele Medien sind fleißig dabei den Rechtsextremismus und Autoritarismus von AfD und CDU zu normalisieren. Merz wird eine neoliberal - autoritäre Agenda thatcherchen Ausmaßes auf das Land loslassen. Wenn der Koalitionspartner nicht mitmacht, wird er sich Mehrheiten ausserhalb der Koalition suchen. Vieles von dem, was im Parteiprogramm der Union steht, ist klar verfassungswidrig. Wie in den USA werden Minderheiten jetzt nur noch die Gerichte dieses Landes vor dem mehrheitlich rechten - autoritären Mob geschützt.

  • Ich freue mich sehr für meine Partei und über das klasse Ergebnis gestern. In meinem eigenem Wahlbezirk war es allerdings das erste Resultat seit 1990 unter dem bundesdeutschen Gesamtergebnis und ein verheerender Sieg mit über 50% für die AfD. Freude kommt da am Tag danach eher nicht auf. Die Linke wird durch das Wahlergebnis jedenfalls deutlich jünger und noch westdeutscher. Wie nachhaltig die neue Ausrichtung ist, wird sich zeigen. Die Rolle der Stimme des Ostens wurde ja sowieso schon vor Jahren von der AfD übernommen.

    • @Šarru-kīnu:

      Gab es jemals die eine Stimme des Ostens? Spätestens mit Aufkommen von AfD und der medialen Karriere von Wagenknecht war klar, dass es verschiedene "ost-typische" Schichten/Milieus gibt.

  • Guten Morgen und vielen Dank für diesen klugen Kommentar. Aber an einem Punkt machen Sie leider den gleichen Fehler wie Frau Baerbock und/oder ihre Strategen: "Alle wollen regieren. Wir wollen verändern" heißt definitiv nicht: "alle wollen regieren. Wir nicht", sondern: Alle wollen (nur) regieren um des Regierens willen, verändern ist nicht so unsere Sache. Warum sonst sollten SPD und vor allem Grüne sonst regelmäßig ihre Seele verkaufen? Wir wollen verändern, und dazu nehmen wir eine Regierung in kauf.



    Dass Frau Barbock mit ihrem Team das nicht verstanden hat, hat mich angesichts der Reaktionen auf diesen Blödsinn nicht weiter gestört. Bei Ihnen finde ich es schade.

  • Was kommt jetzt auf sie zu?

    Kurze Antwort: nichts. Die Linke wird Opposition und wohl kaum einen Bundeskanzler Merz so vor sich hertreiben, wie die AfD es kann.