Wahlerfolg der Linken: Keine Zeit, jetzt lang zu feiern
Die Linke profitierte von glücklichen Umständen, hat im Wahlkampf aber auch vieles richtig gemacht. Was kommt jetzt auf sie zu?
D ie Linkspartei ist zurück, und wie. Noch vor wenigen Wochen lag die Partei in Umfragen unter fünf Prozent, dann gelang ihr die Überraschung. Berücksichtigt man die hohe Wahlbeteiligung, hat sie sich fast verdoppelt. Dazu kommen ein halbes Dutzend Direktmandate, darunter mit Berlin-Neukölln das erste überhaupt im Westen.
Die Linke hat von günstigen Umständen profitiert, aber in den vergangenen Wochen auch vieles richtig gemacht. Wie ist ihr dieser Erfolg gelungen, und was kommt jetzt auf die Partei zu?
Laut Analysen zur Wählerwanderung gaben viele ehemalige SPD- und Grünen-Wähler der Linken ihre Stimme. Doch den Frust über die Ampel gab es schon, als die Linke in Umfragen noch unter fünf Prozent herumkrebste. Sie profitierte danach von weiteren äußeren Umständen: Viele Wähler wollten nach dem Tabubruch der Union eine Partei wählen, bei der sicher ist, dass sie Friedrich Merz nicht zum Kanzler wählt. Und Grüne und SPD waren im Wahlkampf in der Asyl- und Migrationspolitik oft kaum unterscheidbar von der Union.
Doch die Linke hat nicht nur von externen Faktoren profitiert. Sie hatte auch einen Plan, der aufgegangen ist. Ihr strategischer Coup war die „Mission Silberlocke“. Sie behauptete frech, dass sie auch über drei Direktmandate sicher in den Bundestag einziehen würde. Das war zwar lange ziemlich unrealistisch, aber es führte dazu, dass die Angst schwand, eine Zweitstimme für die Linke sei verloren.
Zudem hat es die Linke geschafft, sich nach der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihren „linkskonservativen“ Freunden ein neues Image zu geben: Als Partei, die sich vor Ort für soziale Belange wie günstigere Mieten und gegen den Rechtsruck einsetzt. Und es traten auch deshalb so viele Menschen ein, weil sie im Haustürwahlkampf selbst etwas tun konnten.
Neue Herausforderungen
Viel Zeit, ihren Wahlerfolg zu feiern, wird die Linke nicht haben. Auch wenn sie nicht an einer Koalition beteiligt sein wird, steht sie vor großen Aufgaben. Die Partei muss klären, wie sie den Schwung des Wahlerfolgs in den Alltag einer repräsentativen Demokratie überträgt.
Fraktionen sind mächtig, hier liegt das Geld für neue Mitarbeiter, hier gibt es die mediale Aufmerksamkeit. Die alte Linkspartei ist auch daran gescheitert, dass sich in der Fraktion ein zweites Machtzentrum bildete, auf das die Parteispitze kaum Einfluss hatte. Es war unklar, wer für die Partei spricht.
Klare Arbeitsteilung
Im Wahlkampf gab es nun eine klare Aufteilung: Jan van Aken war für die Talkshows, Ines Schwerdtner für die Basis, Heidi Reichinnek für Social Media zuständig. Im Moment des Erfolgs wirken Parteispitze und Spitzenkandidaten geeint. Aber bleibt das so?
Noch wichtiger wird sein, ob die Linke es schafft, die zehntausenden neuen Mitglieder zu integrieren. Wie sieht eine zeitgemäße linke Partei aus, welche Formen der Mitbestimmung und der Verankerung in den Stadtteilen gibt es, wenn gerade kein Wahlkampf ist? Das muss die Linke erarbeiten.
Eine weitere Herausforderung liegt in der Außenpolitik. Und da ist einiges zu tun. Das sieht man, wenn man ins Wahlprogramm der Linken schaut. Da wird von Kuba geschwärmt, um ein paar orthodoxe Genossen glücklich zu machen. Für den Existenzkampf der Ukraine hat die Partei dagegen drei Jahre nach Beginn des russischen Großangriffs wenig zu bieten.
Nicht mehr Underdogs
Die Parteispitze und insbesondere Jan van Aken haben es zwar geschafft, den Konflikt intern zu befrieden, und verweisen auf die tatsächlich unzureichenden westlichen Sanktionen, etwa gegen die russische Schattenflotte. Aber nach der Wahl kann sich die Linke nicht mehr um die Frage herummogeln.
Warum sollten sich Demokratien nicht militärisch gegen Diktaturen unterstützen dürfen? Das kann die Linke nicht beantworten. In den letzten Wochen ist der Bündnisfall der Nato nicht unwahrscheinlicher geworden. Und dass der Ami nach Hause geht, dürfte niemanden mehr freuen. Darauf braucht es zeitgemäße linke Antworten.
Andere Länder haben vorgemacht, dass es auch für linke Parteien möglich ist, ihre Außenpolitik zu ändern. Die finnische Linke ist etwa für Waffenlieferungen an die Ukraine und nicht mehr gegen eine gemeinsame Verteidigungspolitik im Rahmen der Nato. Gut möglich, dass die vielen jungen Genossen der deutschen Linkspartei auch in dieser Frage deutlich pragmatischer sind als die Parteigründer.
Empfohlener externer Inhalt
Ohne Linke Opposition fehlt etwas im Bundestag
Zum Schluss eine weitere Herausforderung: Die Linke wird als starke Opposition im Bundestag gebraucht. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass etwas fehlt, wenn die Regierung fast nur noch von rechts kritisiert wird. Deshalb dürfen sich durchaus auch Menschen über den Wahlerfolg der Linken freuen, die der Partei nicht nahestehen.
Doch wenn es tatsächlich zu einer Koalition von SPD und CDU kommen sollte, bekommt die Linke in der Opposition Konkurrenz von den Grünen. „Alle wollen regieren, wir wollen verändern“, mit diesem Slogan bestritt die Partei ihren Wahlkampf. Als Underdog, der um den Einzug in den Bundestag zitterte, ging das gerade noch als standhaft durch.
Schon bald muss die Linke deutlich machen, was sie unter Veränderung versteht. Denn bei der Reform der Schuldenbremse oder einem möglichen Sondervermögen kommt es auf sie an, ohne die Linke gibt es keine demokratische Zwei-Drittel-Mehrheit im neuen Bundestag. Sperrt sich die Partei, wenn mit dem Geld auch in die europäische Verteidigungspolitik investiert werden soll, oder ist sie zu einem Kompromiss bereit, der auch Investitionen in die marode Infrastruktur ermöglicht?
Gerade junge Wähler mit einer eher geringen Parteibindung haben die Linke gewählt: Bei den Erstwählern ist sie stärkste Kraft, bei jungen Frauen wählte sie sogar jede Dritte. Das ist viel Vertrauen, das nicht enttäuscht werden will. Und viel Verantwortung für eine Partei, die eben noch als tot galt.
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