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Wahl zum SPD-FraktionsvorsitzendenEin „ehrliches Ergebnis“ für Lars Klingbeil

Die SPD-Abgeordneten wählen den Parteichef auch zum Fraktionsvorsitzenden. An der Art, wie er sich nach der Wahlniederlage in Stellung brachte, gibt es Kritik.

Jetzt auch noch Fraktionschef: SPD-Abgeordnete mit ihrem neuen Vorsitzenden Lars Klingbeil Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Die neue Demut in der SPD-Fraktion zeigt sich beim Gruppenfoto. Vor gut drei Jahren stellte man sich noch im Erdgeschoss des Marie-Elisabeth-Lüders-Haus auf, im Hintergrund das Kanzleramt. Das erste Gruppenfoto der neuen, um 87 Mitglieder geschrumpften Fraktion entsteht am Mittwoch in den Katakomben des Bundestags. Das Lächeln auf vielen Gesichtern wirkt gezwungen, allein die Landesgruppe Ost ist von 42 auf 17 Abgeordnete geschrumpft.

Zuvor hatte die nun 120 Abgeordnete umfassende Fraktion allerdings denjenigen zum Chef gewählt, der einen Gutteil der Verantwortung für dieses schlechteste Wahlergebnis in der Parteigeschichte trägt: Co-Parteichef Lars Klingbeil. Mit seinen 47 Jahren ist er wohl gerade noch jung genug, um den von ihm am Wahlabend angekündigten Generationswechsel zu verkörpern. Außerdem ist der Niedersachse in Partei und Fraktion bestens vernetzt und wird breit respektiert.

Der Sonntag steckt noch ein bisschen in den Knochen

Lars Klingbeil, SPD-Partei- und Fraktionschef

Doch es gibt Kritik an der Art und Weise, wie er sich am Sonntagabend selbst zum neuen starken Mann kürte, als er ankündigte, auch als Nachfolger von Rolf Mützenich an der Spitze der Fraktion zu kandidieren. An der Basis rumort es seitdem, auch in der Fraktionssitzung gab es nach Angabe von Teilnehmenden mehrere kritische Wortbeiträge.

Selbst Steinmeier bekam ein besseres Ergebnis

Diese Kritik spiegelt auch das Wahlergebnis wider. Mit 85,6 Prozent wählte die Fraktion Klingbeil am Mittwoch zum Vorsitzenden, 13 Abgeordnete stimmten gegen ihn, 3 enthielten sich, 2 Stimmen waren ungültig. Auf den ersten Blick ein solides Ergebnis, auf den zweiten eines der schlechtesten in der Geschichte der Fraktion. Selbst Frank-Walter Steinmeier, der sich 2009 in einem ähnlichen Coup vom Wahlverlierer zum Fraktionsvorsitzenden beförderte, erhielt 88,7 Prozent.

Klingbeil bezeichnete es als „ehrliches Ergebnis“. Man habe schon gemerkt, „dass der Sonntag noch ein bisschen in den Knochen steckt und das wird uns lange als Partei, als Fraktion, beschäftigen“, sagte er nach der Sitzung. Die SPD hatte die Bundestagswahl am Sonntag mit 16,5 Prozent hinter Union und AfD verloren. Der alte und neue starke Mann an der Spitze kündigte an, das Wahlergebnis aufzuarbeiten. „Es wird eine Fehleranalyse geben und daraus werden Konsequenzen abgeleitet“, so Klingbeil. Natürlich müsse es Veränderungen geben. „Dafür stehe ich auch als Person.“ Offen ließ Klingbeil, ob er das Amt des Fraktionschefs nur übergangsweise ausüben will oder für die gesamte Dauer von zwei Jahren.

Und ob er erneut für den Parteivorsitz kandidiert. Sowohl er als auch Co-Chefin Saskia Esken wollen erst mal im Amt bleiben. Ihre Amtszeit endet offiziell im Dezember, parteiintern wird diskutiert, ob der für das Jahresende angesetzte Parteitag vorgezogen wird. Dass beide als Parteivorsitzende wiedergewählt werden, gilt als ausgeschlossen.

Immerhin hat Klingbeil nun ein starkes Mandat und größtmögliche Beinfreiheit für die anstehenden Sondierungen mit der Union. Klingbeil forderte den Wahlsieger zu ernsthaften Gesprächen auf. Aus seiner Sicht sollten Wachstum, wirtschaftliche Stärke, die Sicherung von Arbeitsplätzen und Sicherheit im Mittelpunkt stehen. Außerdem müsse die demokratische Mitte gestärkt werden. Es sei der Wille der SPD, dass Deutschland eine „handlungsfähige Regierung“ bekomme. Nun liege es an CDU-Chef Friedrich Merz, ob das gelingen könne. Mit ihm sei er im Gespräch und man werde sich zügig auf einen Zeitplan einigen.

Doch schon im Vorfeld krieselt es zwischen den Koalitionären in spe. So gab Klingbeil der Union gleich mal einen mit für ihre öffentlich ventilierten Vorschläge über ein neues Sondervermögen. „Vorschläge, die ich aus der Zeitung erfahre, sind automatisch vom Tisch“, haute Klingbeil virtuell mit der Hand auf diesen. Man sei offen für Gespräche, aber diese müssten vertraulich sein.

Die Co-Parteivorsitzende Esken machte indes klar, dass auch sie mit am Verhandlungstisch sitzen werde. Der taz sagte sie: „Klar ist, Sondierungen und Koalitionen werden von Parteien verhandelt. Insofern versteht es sich, dass die Parteivorsitzenden die Delegation anführen.“

Einer, der definitiv keine tragende Rolle mehr spielen wird, ist der Abgeordnete Olaf Scholz. Gefragt, wie es ihm gehe, sagte Scholz nach der Sitzung knapp: „Sehr gut.“ Angesichts der Lage der SPD und der Größe der Aufgaben, die vor dem Spitzenpersonal liegt, sicher eine ehrliche Antwort.

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22 Kommentare

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  • Die SPD hat sich also für ein "Weiter so" entschieden. Die Mitglieder haben also aus der Wahlniederlage nicht das Geringste für die Zukunft gelernt.

  • Mal wieder typisch Sozis, der weichste und unter den Unkantigsten, der Schlüpfrigste unter den Glischigen wird es mal wieder. Klingbeil steht für das was bei der SPD seit Jahren falsch läuft, als Generalsekretär fiel er nur durch den Einsatz für ein Sabbatjahr für Akademiker auf, während unter (Mit-)SPD-Regierungen die soziale Schere sich immer weiter öffnete, die wütende Arbeiter- und Unterschicht sich den Blaudämonischen zuwandte Als Vorsitzender (Willy Brandt würde sich im Grabe rumdrehen) lief ihm erst kürzlich die Kanzlerkandidatendiskussion aus dem Ruder, die noch heute laufen würde, hätte Pistorius nicht verzichtet.



    Da fällt einer kompetenzlos die Leiter rauf, eben weil er dran bleibt und hartnäckig einsammelt, was andere verdaddeln. Er wird als Fraktionsvorsitzender eine ähnliche Fehlbesetzung wie Steinmeier, zum Glück für ihn sind die Sozis nicht in der Opposition, so wird es kaum auffallen. In die Regierung kommt der weiche Lars wohlweislich nicht. Freuen kann sich die Union, mit größerem Widerstand und Diskussionen braucht sie vorerst nicht zu rechnen.

  • "größtmögliche Beinfreiheit für die anstehenden Sondierungen mit der Union"



    Selten etwas so Bedrohliches gelesen. D.h., unter Klingbeil wird die SPD dann umfallen in allen Themen, die unsere Demokratie und die Menschenrechte betreffen. Der AfD "5-Punkte Plan"; die Drohungen gegen NGOs, die die Meinungsfreiheit bedrohen; Bürgergeld adé, Integration adé, Wirtschaftsinkompetenz der CDU wird mit getragen (bei Nachfragemangel weitere Kaufkraft aus der Bevölkerung entfernen, indem man von unten nach oben verteilt)?

    Ist es das, wozu er "größtmögliche Beinfreiheit" braucht? Und wenn er nicht spurt, wird Merz damit drohen, dass er das ja mit der AfD durchbekommt - das ist ja der Grund, warum er diese unglaubliche Aktion am Holocaustgedenktag gemacht hat.

    Wer hat uns verraten? Sozialde....

  • Es ist üblich, dass nach einer Wahl die neuen Fraktionen zusammenkommen und einen Fraktionsvorsitzenden wählen.



    Dass Klingbeil in der neuen Doppelfunktion gestärkt für Verhandlungen mit der CDU ist, dürfte klar sein.



    Nach einer verlorenen Wahl kann man/frau den Kopf in den Sand stecken oder mit einem "jetzt erst recht", die Position weiter vertreten.



    Das scheint Klingbeil zu tun, von Ehrerbietung dd5m neuen Kanzlerkandidaten gegenüber, der mit dem zweitschlechteten Ergebnis der cdU Geschichte gewählt wurde, keine Rede!

  • Habeck hat klasse gezeigt. Wer eine Wahl verliert tritt zurück wenn er Charakter hat. Man kann ja wiederkommen. Wer es aber nicht tut und am Sessel klebt der wird immer scheitern.

    • @Timelot:

      Habeck war Kanzlerkandidat, Klingbeil ist Parteivorsitzender. Wenn der Vergleich irgendwie ziehen soll, dann hätte jemand aus Brantner/Banaszak "Klasse zeigen" müssen.

  • Ich halte ihn nicht für eine gute Besetzung, weil nicht gewinnen kann. Und er stellt sich seiner eigenen Verantwortung nicht, wer soll denn für die Wahlniederlage verantwortlich sein. Und ist er ein Neuanfang? Wirklich?

  • Aus dem Wahlergebnis kann man alles herauslesen, nur keine Mehrheit für eine linke Politik.



    Die Union hat die Wahl zwar gewonnen, aber ein Sieg sieht anders aus.



    Ich wünsche mir von allen beteiligten, dass sie öffentlich Kreide fressen und hinter verschlossenen Türen ein tragfähiges Konzept für die nächsten vier Jahre erarbeiten und dem Partner auch Erfolge gönnen.



    Falls die SPD sich einer Regierungsbeteiligung verweigert, wird es finster. Die Union wird nicht so dumm sein, mit der AfD zu koalieren. Eine schwarze Minderheitsregierung mit nicht einmal einem Drittel der Mandate ist auch nur eine theoretische Möglichkeit. Die AfD würde das vielleicht mitmachen, aber die Union kann das nicht zulassen. Wenn die SPD eine Minderheitsregierung tolerieren sollte kann sie genauso git gleich mitregieren. Sonst müsste sie jederzeit damit rechnen, dass kritische Abstimmungen mit der Vertrauensfrage verknüpft werden und Neuwahlen drohen. Ich glaube nicht, dass Verweigerung bei den Wählern gut ankommt.

    Ein gutes und verdienstvolles gemeinsames Projekt wäre, Europa bzw. die EU zu stärken. Mit Polen, Frankreich, Skandinavien, dem Baltikum und Benelux könnte man sicher eine Menge bewegen.

  • Liebe AutorIn der taz,



    wo genau hat er sich unbeliebt gemacht? Sie schreiben nur, es gab Kritik...wenn es nicht möglich gewesen wäre, hätten sie es nicht zugelassen.



    Und daß er glaubt, wenn er beide Posten innehat ist einen Neustrukturierung möglich...mein Vertrauen hat er

    • @SchMERZlassnach:

      Ein Organisator. So Einen brauchts. Altersstarrsinn fällt wg. zu jung an Jahren aus.

  • ""Einer, der definitiv keine tragende Rolle mehr spielen wird, ist der Abgeordnete Olaf Scholz.""



    ==



    Der Abgeordnete mit dem Namen Olaf Scholz ist der Bundeskanzler der Bundesrepublik -- gestützt und legitimiert nach der Verfassung so lange bis eine neue Regierung



    das Licht der Welt erblickt hat. -- Und das kann/könnte dauern.

    Dieser nun auch neu bestätigte Abgeordnete mit Bundeskanzlerstatus hat auch bereits mit dem Oppositionsführer



    im Bundeskanzleramt gesprochen - und zwar gestern.

    Das sich der Merz, der noch lange keinen Frühling mit einer „handlungsfähigen Regierung“ ankündigen können wird -- und sich nach einer selbigen sehnt erscheint als richtig erkannt.

    Es freut mich Frau Lehmann wenigstens ein wenig die Angst genommen zu haben bundeskanzlerlos durch die kommenden Wochen und Monate mutterseelenallein schwimmen zu müssen.

    • @zartbitter:

      ... solange sich alle an die Regeln halten.

  • Ich glaube, Merz kann nicht anders. Er kennt nur Unternehmen. Und da sagt der Chef, wo es lang geht. Und er glaubt, er sei nun der Big Boss und alle müssen tun, was er will. Siehe z.B. seine Ansage, es gebe keine linken Mehrheiten mehr und Links wäre Geschichte oder heute die Ansage, der Zivilgesellschaft das Geld zu streichen.



    Wenn die SPD schlau ist, lässt sie Merz hart auflaufen und macht aus ihm einen Bettvorleger (mit seinen 28%). Ansonsten hat die SPD bei der nächsten Wahl weniger als 10%.

    • @Dirk Sandhost:

      Zur Zeit gibt es auch in Deutschland keine linke Mehrheit. Und wenn die SPD schlau ist und nicht bei 10% landen möchte soll sie in die Pötte kommen bei Koalitionsverhandlungen.

    • @Dirk Sandhost:

      Wenn die SPD hart bleibt, dann gibt es keine Wahl mehr um die man sich sorgen müsste, dann gewinnt die AfD.

      Wir sind momentan in einer Situation, da geht es nicht mehr politische Richtungen oder Ziele, hier geht es um das Retten der Demokratie um die Grundlagen die Grundlagen dessen und nicht mehr.

    • @Dirk Sandhost:

      Eine Partei, die nach dreijähriger weitgehend erfolgloser Regierung gerade vom Wähler zurecht brutal abgestraft wurde, sollte in Koalitionsverhandlungen (zu denen sie ausschließlich wegen Alternativlosigkeit eingeladen wird) ganz kleine Brötchen backen. Wenn man selbst gerade als "Bettvorleger" ausgerollt wurde, kann man nicht einfach so einen auf Tiger machen.



      Auch wenn es anscheinend nicht Ihrer persönlichen Wahrnehmung entspricht: Hr. Merz bzw. die CDU sind Wahlsieger.

    • @Dirk Sandhost:

      Wenn die SPD eine Regierung verhindert oder verzögert, welche die großen Probleme nicht schnell anpacken kann, dann hat die SPD das nächste mal nur 10%.

      • @Hans Dampf:

        Wenn die CDU keine Vermögenssteuer will und keine Änderung der Schuldenbremse, dann ist wohl eher die CDU schuld.



        Denn eins haben alle (zumindest alle außer Merz) hoffentlich aus der letzten Ampel gelernt: Wenn man Probleme lösen will, braucht man oft Geld dafür. Und die 6 Mrd., Die die CDU glaubt, beim Bürgergeld streichen zu können, werden nicht reichen. Und auch nicht das Geld, dass man anscheinend den Omas gegen rechts streichen möchte.

  • « Le roi est mort, vive le roi »



    Das ging mir etwas unheimlich zu schnell.

  • Bei dieser Gefahrenlage, bei diesen Wahlergebnissen den einzig möglichen Koalititionspartner öffentlich anzurempelen ist nicht die Methode der Wahl.

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Ist aber, nach dem Vorbild Trump, gern gespielt. Weg da, jetzt komm ich! Was erwarten Sie sonst? Sie haben wohl noch Hoffnung auf Demut und Anstand? Mein Rat; Vergessen Sie es.

      • @Sonnenhaus:

        Nein, keine Hoffnung auf Demut und Anstand. Aber Trump hat über 50% und beide Kammern des Kongresses. Mehr hat gerade mal 28,6%. Und nicht den Bundesrat.