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Waffenverbot im Hamburger ÖPNVPolitisches Placebo mit Nebenwirkungen

Kommentar von Robert Matthies

Hamburg hat ein dauerhaftes Waffenverbot in Bussen, Bahnen und Haltestellen beschlossen. Es ist ein Akt politischer Scheinaktivität im Wahlkampf.

Soll ab Montag überall hängen: Schild zum Waffenverbot am Hamburger Hauptbahnhof Foto: Niklas Graeber/dpa

E s soll nach Zupacken klingen, aber das dauerhafte Waffenverbot im Hamburger Nahverkehrsnetz ist ein bloßer Akt politischer Scheinaktivität im Wahlkampf. Am Hauptbahnhof gibt es ein solches Verbot seit Herbst 2023, zur Adventszeit wurde es – befristet bis zum 1. Januar – auf drei weitere Bahnhöfe und das S-Bahn-Netz ausgeweitet. Das Argument: Im Dezember werde viel gefeiert und getrunken, da sinke die Hemmschwelle für körperliche Auseinandersetzungen. Ab Montag gilt das Waffenverbot in allen Bussen, Bahnen, Fähren und Haltestellen des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV).

Auf den ersten Blick mag das sinnvoll klingen. „Jedes Messer, das wir einsammeln, ist ein Risiko weniger“, sagt Innensenator Andy Grote (SPD). Die Hoffnung ist, dass ein Verbot präventiv wirkt und sich Fahrgäste sicherer fühlen. Es mag auch sein, dass die Maßnahme po­ten­zi­el­le Ge­walt­tä­te­r:innen abschreckt und ein wenig sicherer mögen sich Fahrgäste auch fühlen, weil der gewaltaffin wirkende junge Mann gegenüber gerade nach Messern durchsucht wurde.

Tatsächlich entpuppt sich das Verbot aber als plumpe Symbolpolitik vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 2. März. Die rot-grüne Koalition versucht, sich noch schnell als Garant der inneren Sicherheit zu profilieren. Grote prahlt, Hamburg nutze als erstes Bundesland die Möglichkeiten des neuen Sicherheitspakets des Bundes.

Urbane Gewaltkriminalität ist ein komplexes Problem

Statt echte Lösungen für das komplexe Problem der urbanen Gewaltkriminalität zu entwickeln, greift der Senat zu einer Maßnahme, die bestenfalls oberflächlich wirkt – und schlimmstenfalls bürgerliche Freiheiten einschränkt. Denn entweder bleibt das Verbot ein zahnloser Tiger. Oder es führt zu jeder Menge anlassloser Durchsuchungen. Wie die Regeln und Kontrollen genau aussehen, wollen Grote und Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) am Montag vorstellen.

Waffen in der Bahn zu verbieten ist plumpe Symbolpolitik im Vorfeld der Bürgerschaftswahl

Grundsätzlich fraglich ist, wie effektiv das Verbot in einem Liniennetz mit mehr als 10.000 Haltestellen umgesetzt und kontrolliert werden kann. Wer Gewalt ausüben will, wird sich von einem Schild nicht abschrecken lassen, Af­fekt­tä­te­r:in­nen sowieso nicht. Und Erfahrungen aus anderen Städten zeigen deutlich, dass Waffenverbote wenig Einfluss auf die Kriminalitätsrate haben. Auch am Hamburger Hauptbahnhof, wo das Verbot seit einem Jahr gilt, gibt es bei Gewalttaten keine Trendwende.

Das Verbot trifft aber auch alle, die zum Beispiel für die Selbstverteidigung ein Pfefferspray mit sich führen – aber gesetzestreue Bür­ge­r:in­nen sind. Oder Handwerker*innen, die ihren Hammer in der Bahn dabei haben. Wie geht man denn damit um?

Vor allem birgt das Verbot die Gefahr, dass die „üblichen Verdächtigen“ traktiert und deren Bür­ge­r:in­nen­rech­te eingeschränkt werden. Wer Messer finden will, muss Menschen durchsuchen. Das birgt die Gefahr von Racial Profiling, denn die Maßnahme zielt ja implizit auf eine bestimmte Gruppe: jene jungen und oft migrantisch gelesenen Männer, um die auch die mediale Diskussion über Gewalttaten kreist.

Die wahren Gründe für Gewalt und Unsicherheit im öffentlichen Raum reichen von sozialer Benachteiligung über mangelnde Bildungschancen bis hin zu fehlenden Perspektiven für junge Menschen. Ein Waffenverbot im HVV wird keines dieser Probleme lösen. Es ist politisches Placebo mit bedenklichen Nebenwirkungen.

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Redakteur taz nord
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13 Kommentare

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  • Diese Diskussion nervt einfach immer wieder. Ein Messer ist erst mal ein Werkzeug. Was es vom Schwert, Dolch usw abgrenzt. Wer ein Messer verbotstechnisch immer weiter in Richtung Schusswaffe bringen möchte, darf gerne mal einige alltägliche Handgriffe ausführen wie Brötchen aufschneiden und schmieren, Speck oder Tofu schneiden, ein Paket öffnen, die Verbänderung einer Palette auftrennen, einen Holzpflock anspitzen uvm. Einmal mit Glock 17 und einmal mit Glock FM78.



    Dann darf man nachdenken und meinetwegen auch Schraubendreher, Stechbeitel, Sägen, Nagelgeräte und Kieselsteine verbieten.



    Mmn ist eine nicht feststellbar Klinge eine Gefahr für den Nutzer und die Einhandbedienung in mindestens 60% der Fälle sinnvoll. Aber praxisfern bleibt praxisfern.

  • Einer meiner Bekannten (Zimmerer) wurde mit einem Taschenwerkzeug mit einhändig zu öffnender, feststellbarer Klinge von 7 cm Länge nicht ganz auf dem direkten und unmittelbaren Weg zur Arbeit angetroffen und kontrolliert. Weißer, deutscher Mann.

    Werkzeug beschlagnahmt, 1200 Euro Bußgeld. Falls er mal Jäger oder Sportschütze werden wollte: Kann er jetzt vergessen. Waffenrechtliche Zuverlässigkeit lebenslang weg wegen einmaligen Verstoßes gegen das Waffengesetz, noch in seiner zuvor gültigen harmloseren Form.

    Warum hatte er so ein furchtbares Mordwerkzeug: der möchte das Ding auf dem Dach stehend und sich mit einer Hand festhaltend gerne mit seiner zweiten Hand öffnen. Drei Hände hat er leider nicht.

    Jetzt hat er ein neues Teil, das führt er jetzt vorschriftsmäßig in einem abgeschlossenen Werkzeugkasten mit sich.

    Moral von der Geschicht: ein normaler Bürger, der niemals das Werkzeug zum Mord benutzt hätte, wird dauerhaft kriminalisiert wegen eines Gesetzes, das keine einzige Messerstraftat verhindern wird. Das Erstechen von Menschen ist nämlich verboten. Wird das Messerverbot irgendjemand davon abhalten Leute zu erstechen? Vermutlich nicht.

  • Sorry, aber der Artikel wirkt auch placebohaft. Keine Handwerkerin wird wegen eines Hammers verhaftet. Klar und deutlich auf das Verbot hinzuweisen, wird vielleicht nicht viel nützen, aber auch nicht schaden. Und prophylaktisch auf mögliches racial profiling hinzuweisen, ist eben placebohaft, weil ebenfalls mit Klischees gearbeitet wird.

  • "Oder Handwerker*innen, die ihren Hammer in der Bahn dabei haben. Wie geht man denn damit um?"

    Am Besten geht man mit jeder Problematik um, in dem man sie ernsthaft und sachlich behandelt. Der Verweis auf den Handwerkerhammer ist genauso an den Haaren herbeigezogen, wie der auf das Taschenmesser, dass man fürs Apfelschälen dabei hat. Mag sein, dass diese Waffenverbote nicht der große Wurf sind und eher dem Wahlkampf dienen, aber dafür muss man nicht so billige Argumente herauskramen.

  • Also weiter wie bisher Probleme, die nicht in das eigene Weltbild passen, ignorieren? Solange Opfer und Täter Migrationshintergrund haben, juckt es eh niemanden. Es wurde nichts gelernt aus den NSU Taten.

  • "Die wahren Gründe für Gewalt und Unsicherheit im öffentlichen Raum reichen von sozialer Benachteiligung über mangelnde Bildungschancen bis hin zu fehlenden Perspektiven für junge Menschen." Nein, das ist einfach falsch. Auch wenn man noch so arm, benachteiligt oder ungebildet ist, muss man nicht mit einem Messer rumlaufen oder gewalttätig werden. Die meisten Menschen, die arm sind, keine Perspektiven sehen oder mangelnde Bildungsschancen haben, tragen weder Waffen bei sich, noch sind die gewalttätig. Für diese Menschen muss eine solche Aussage ziemlich unverschämt wirken.

    Wenn es einen Kausalzusammenhang zwischen Gewalt und Armut gibt, dann andersrum: wer gewalttätig ist, verbaut sich Chancen und Perspektiven und schafft sich seine eigene Armut.

    Ob ein Waffenverbot Gewalt verhindert, wird sich zeigen. Wer so etwas von vorne herein ablehnt, sollte aber andere Präventionsmaßnahmen vorschlagen, die nicht darauf abzielen, das Verhalten der Täter*innen zu entschuldigen.

    • @Ruediger:

      Ihre Argumentationslinie ist schlichtweg falsch. Nicht jedeR, der arm, benachteiligt oder anderweitig Probleme hat, wird gewalttätig. Aber alle die gewalttätig werden, haben ein Problem. Und da kommen sie mit solchen Pseudogesetzen nicht weiter.

      • @Anna Bell:

        Dieser Logik nach sind sämtliche präventiven Maßnahmen gegen Gewalt und Verbrechen sinnlos, weil sie ja nicht das Peoblem des Täters lösen.

  • Es fängt schon damit an, das man mit migrantischem Hintergrund (bzw. als POC) bereits in der Schule nur schwierig gescheite Praktikumsplätze in interessanten Betrieben und Berufen findet - wenn überhaupt.

    So das Stimmungsbild von diesem Monat.

  • Man kann nicht aus Angst, in die "Racial-Profiling-Vorwurf"-Falle zu tappen, alle Kontrollen abstellen. Einschränkung der Bürgerrechte? Es gibt das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das sollte mehr wiegen als ein paar mehr Kontrollen.

    • @JanHamburg:

      Das ist ja schön, dass du das eine Recht für dich höher wertest als das andere.



      Ist aber kein Argument, die Rechte vom ganzen Rest zu beschneiden um eine wirkungslose Maßnahme durchzuführen.

    • @JanHamburg:

      Ist ja schön, dass für dich das eine Recht weniger wert ist als das andere. Jedoch läuft deine Argumentation vollkommen ins Leere, weil die Maßnahme nichts, aber auch gar nichts bringen wird. Beispiele dazu stehen ja im Artikel.



      Was übrig bleibt sind also ein paar Politiker, die sich der Bevölkerung gegenüber übergriffig verhalten um im Wahlkampf zu punkten und genau so viele Angriffe wie sonst auch.



      Ein gutes Beispiel wäre hier vielleicht auch: Kinder haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das sollte doch mehr wiegen als deine Privatsphäre oder? Also laden wir doch deinen privaten Kram öffentlich einsehbar ins Internet, damit man mal schauen kann wie unschuldig du bist.

  • Also wie immer. Da das Verbot zur Waffennutzung nicht funktioniert, verbieten wir die Waffen. Und das soll dann ganz plötzlich funktionieren.



    Ich bin ja nicht für Waffen. Aber das hört sich in keiner Weise erfolgversprechend an.