piwik no script img

Waffenstillstand im GazastreifenVerhärtete Fronten

Kommentar von Susanne Knaul

Das seit 15 Monaten andauernde Blutvergießen kommt zum Ende. Vorerst. Nicht vorbei sind Trauer und Hass im Gazastreifen und in Israel.

Suppenküche in Chan Yunis, Gaza, 17. Januar Foto: Omar Ashtawy/APAimages/imago

A usgerechnet Donald Trump macht möglich, woran die internationale Diplomatie, allen voran sein Vorgänger Joe ­Biden, scheiterte. Endlich gibt Benjamin Netanjahu nach. Weder Bidens gutes Zureden noch der Internationale Gerichtshof und der Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef, noch die Massendemonstrationen in Tel Aviv konnten ihn umstimmen. Der US-amerikanische Rechtspopulist ist es, der – sehr zum Ärger der israelischen Rechten – die Waffen im Gazastreifen zum Schweigen bringt.

Thank you, Mr President (in spe). Trump führt uns in diesen Tagen einmal mehr vor, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist. Der Mann, der Kanada eingemeinden will, Grönland kaufen, Öl fördern, was das Zeug hält, ein Frauenfeind, Lügner und Volksverhetzer, macht den Massenmorden und der Zerstörung im Gazastreifen ein Ende. Trump ist der Boss – nicht nur in den USA.

Seit Mai liegt das Abkommen, das aus der Feder Bidens stammt, auf dem Tisch. Wie von Zauberhand sind sich die Konfliktparteien nun einig darüber geworden. Wie viel Blutvergießen hätte verhindert werden können. Wie viele Menschen sind sinnlos gestorben, wie viel Zerstörung war völlig umsonst. Israels rechtsextremer Minister für nationale Sicherheit, ­Itamar Ben-Gvir, signalisierte, Netanjahu mit seiner Rücktrittsdrohung von einer Unterzeichnung abgehalten zu haben.

Bestätigt sich der Verdacht, dass Netanjahu den Krieg in die Länge zog, um seine Koalition zu retten, um an der Regierung zu bleiben und so einer möglichen Verurteilung und Haftstrafe zu entgehen, dann hat dieser Mann ganz sicher einen Prozess in Den Haag verdient.

Hängepartie für die noch Verschleppten

Geht der Albtraum mit dem vorläufig letzten Akt des Kriegs im Gazastreifen dem Ende zu? Die Befreiung der zunächst 33 Geiseln ist ohne Zweifel Grund zum Feiern. Und das Ende der Kampfhandlungen im Gazastreifen ebenso. Für die noch in den Händen ihrer Peiniger verbliebenen Verschleppten allerdings dürften die kommenden Wochen zu einer schrecklichen Hängepartie werden.

Für die, die endlich auf freiem Fuß sind, beginnt ein langer Weg ihrer körperlichen und seelischen Gesundung, sollte das überhaupt möglich sein. Und im Gazastreifen? Von fast 47.000 Todesopfern ist dort die Rede und vielen Verwundeten mehr. Kaum eine Palästinenserin, die keinen geliebten Menschen verloren hat. Kaum ein Haus, das noch steht. Was für eine erschütternde Bilanz.

Ein Ziel hat die Hamas erreicht: Nie waren die Fronten verhärteter. Es wäre naiv zu glauben, dass die Hunderttausenden Israelis, die für ein Ende der Kampfhandlungen demonstrierten, jetzt die Zweistaatenlösung vorantreiben würden. Die Hamas und ihre Verbündeten haben Israel nur zu deutlich vor Augen geführt, zu welchen Gräueltaten sie fähig sind. Ein Nein zu Netanjahu ist noch lange kein Ja zum Frieden.

Auch für die Rückkehr palästinensischer Häftlinge, die aus israelischen Gefängnissen freikommen, wird sich die Hamas feiern lassen. Israel muss einen hohen Preis für die Befreiung jeder einzelnen Geisel zahlen. Auf der Liste derer, die aus der Haft entlassen werden sollen, stehen auch die Namen berüchtigter Mörder.

Die PA will zurück nach Gaza

Allerdings ist die Hamas nicht nur infolge des Kriegsgeschehens im Gazastreifen militärisch ex­trem geschwächt, sondern vor allem mit Blick auf die Verbündeten und die Entwicklungen auf internationaler Bühne. Der Wahlsieg Trumps war für die palästinensischen Ex­tremisten keine gute Botschaft. Auf die Hisbollah brauchen sie auf absehbare Zeit nicht mehr zu setzen, und auch die Freunde in Teheran haben aktuell andere Probleme.

So ist es vermutlich kein Zufall, dass auf der Liste der Häftlinge für den Geiseldeal auch der Name Marwan Barghuthi steht. Der „palästinensische Nelson Mandela“ ist seit Jahren der populärste Politiker Palästinas und: Fatah-Mann. Die Hamas setzt damit möglicherweise auf neue Verbündete – diesmal im eigenen Volk. Ohne Zweifel wird Barghuthis Entlassung aus der Haft die palästinensische Innenpolitik ordentlich durcheinanderwirbeln.

Die Tage von Mahmud Abbas als Präsident dürften gezählt sein, sollte Barghuthi nach Ramallah zurückkehren dürfen und nicht ins Ausland abgeschoben werden, was auch noch eine Option ist. Anders als in der Vergangenheit zeigt sich die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) neuerdings nur zu willig, die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen. Keine andere Regierung neben der PA!, so fordert es Premierminister Mohammad Mustafa.

Über Jahre wiesen Autonomiebehörde und Fatah die Idee zurück, sich die Kontrolle über den Gazastreifen zurückzuholen, sobald Israels Armee dort die Hamas aus dem Weg geräumt hätte. Viel wird auch in der Zukunft von Trump abhängen, der sein altes Vorhaben, die Beziehungen zwischen Jerusalem und Riad zu normalisieren, weiterführen will. Ohne eine Lösung für die PalästinenserInnen wird Saudi-Arabien wohl kaum mit ihm kooperieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • "Die Hamas und ihre Verbündeten haben Israel nur zu deutlich vor Augen geführt, zu welchen Gräueltaten sie fähig sind."



    Umgekehrt gilt das freilich auch... ich erinnere gerne an den Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant sowie an die unzähligen Berichte diverser Menschenrechtsorganisationen, die hier leider allzu oft nur dann zur Kenntnis genommen werden, wenn Russland oder China thematisiert werden.

  • Was ist Trump nun also? Der neue Messias oder eine Ausgeburt der Hölle?



    Darüber scheinen die Meinungen unter taz-Foristen ja ziemlich auseinander zu gehen.

  • "Ausgerechnet Donald Trump macht möglich, ..."

    Trump macht nichts möglich. Trump macht nur möglich, dass Israel sich danach nicht weiter bewegen muss, die siebzigjährige Besatzung weiterhin aufrecht erhalten kann, illegale Siedlungsbau forcieren kann und von den Groß-Israel Zielen nicht Abstand nehmen muss. Die Palästinenser werden weiterhin staatenlose Menschen zweiter Klasse bleben.

  • Mal ehrlich: man versetze sich in die Lage eines Menschen in Gaza und übelege, ob man Israel jetzt hassen würde, oder nicht. Eben.



    Israel hat den Hass der kommenden Generationen gezüchtet indem es zig tausende unschuldige Zivilisten, darunter sehr viele Kinder, ohne Erbarmen getötet hat.



    Gaza ist eine Schutthalde, der Siedlerkolonialismus im Westjordanland geht weiter.

  • Die Erwähnung der deutschen Widersprüchlichkeit zum Eintreten für das Internationale Recht in Bezug auf Israel/Paästina wäre schön gewesen. Eine Reflektion zur Mitschuld Deutschlands am Massenmord in Gaza durch Waffenlieferungen an Israel scheint dazu wohl zu brisant zu sein. Die "deutsche Staatsraison" setzt sich auch hier durch.

  • Ach Frau Knaul, ich habe Sie so vermisst.

  • "Ausgerechnet Donald Trump macht möglich, woran die internationale Diplomatie, allen voran sein Vorgänger Joe ­Biden, scheiterte."



    Ausgerechnet kann nur schreiben wer Trumps erste Amtszeit nicht mitverfolgt hat.



    Er hat sich um Frieden mit Nordkorea bemüht, er hat Chinas Allmachtsphantasien klare Grenzen gesetzt. Auch mit Putin - obwohl viele Medien Trump böswillig als dessen Marionette verschrien haben - wurde in klarer Linie kommuniziert.



    All das ging nur weil:



    "Trump ist der Boss – nicht nur in den USA."



    So schauts aus, danke.



    Mit nett und Dialog auf Augenhöhe kommt man immer nur weiter wenn alle Beteiligten am Tisch auch Dialog im Kopf haben. Russland, China, Nordkorea, Iran, etc haben das nicht.



    Trump ist der Präsident den die Welt jetzt braucht - nicht weil er ein begnadeter Diplomat ist, nicht weil er besonders schlau, einfühlsam oder gerissen ist, nein, weil er ein egoistischer geltungssüchtiger Gockel ist, weil Russland, China und co das wissen - und vor allem auch achten, weil Trump eben das stärkste Militär der Welt als Meinungsverstärker im Rücken hat.



    So und nur so geht Politik mit Putin und co.

  • Nun wird es langsam Zeit für eine Republik Haifa. Nur durch sie können wir ein "Königreich des Friedens" erschaffen, das gerecht ist.

  • Der Satz aus der Unter-Überschrift "Nicht vorbei sind Trauer und Hass im Gazastreifen und in Israel." ist m. E. das Wichtigste im Artikel. Bis diese Trauer und dieser Hass transformiert sind, kann es lange dauern. Aber anders ist wirklicher Frieden nicht möglich.

    Schade, dass das Thema im Artikel selbst nicht weiter beleuchtet wurde; der Blick ging wieder an die Protagonisten aus der Politik.

  • Gut, dass es jetzt wenigstens formal einen Deal gibt. Aber ich kann kaum anders, als vermuten, dass die politische Führung Israels jede noch so kleine Chance nutzen wird, eine Verletzung des Deals festzustellen und den Waffenstillstand zu beenden. Denn der Deal, so ist wohl die allgemeine Wahrnehmung, kam nur zustande,weil der internationale Druck zu groß wurde - erst dann traute sich Netanjahu die Drohung von Ben G'vir zu ignorieren. Wenn es eine Chance gibt, zu sagen: seht her, wir haben es versucht, sie halten sich nicht dran.... dann wird Netanjahu sie nutzen.



    Vielleicht, nur vielleicht, werden die ersten befreiten Geiseln etwas in Israel auslösen, dass ihm diese Möglichkeit nimmt. Richtig schwierig wird es werden, wenn die toten Geiseln übergeben werden.



    Wenn die Hamas klug ist, wird sie die Toten nicht als letztes übergeben, denn sonst seh ich für einen Waffenstillstand oder gar Frieden nach den 42 Tagen schwarz.

  • Noch nicht im Amt hat Trump schon so viel Schaden angerichtet. Die 1000 Hard-Core-Hamas-Terroristen, die da freigelassen werden, überlegen sich vermutlich schon wie sie den nächsten Krieg anzetteln.

    1000 Terroristen gegen 33 unschuldige Geiseln, die auf einem Friedensfestival tanzten und feierten.

    Wie verzweifelt muss Israel sein um so etwas mitzumachen! Mein Mitgefühl.

    Zu dem „palästinensische Nelson Mandela“ Marwan Barghuthi:

    Wiki: " Als Kommandeur der Tanzim-Miliz im Westjordanland zählte er dann auch zu den Anführern der Zweiten Intifada. Er forderte ein Ende der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch Israel und billigte zu diesem Zweck auch das Vorgehen der militanten al-Aqsa-Märtyrerbrigaden. Mehrmals führte Barghuthi Demonstrationsmärsche zu israelischen Checkpoints an, die teils gewaltvoll eskalierten."

    Ich bin jetzt nicht sicher ob die Palästinenser Nelson Mandela verstanden haben. Vielleicht liegt es auch an den UNRWA-Lehrern. Jemand sollte ihnen erklären was ein Friedensnobelpreis ist und warum man einen solchen bekommt. Gern auch Details aus Mandelas Leben.

    de.wikipedia.org/wiki/Marwan_Barghuthi

    • @shantivanille:

      Noch einmal: dass es sich bei den Freizulassenden um „Hardcore-Terroristen“ handelt, ist eine Behauptung, die sie erst einmal belegen müssen (dass ein Teil davon ohne Anklage in Administrativhaft – eine Form staatlicher Geiselnahme – saß, sollte Ihnen vielleicht zu denken geben). Ohnehin stellt sich die Frage, was die Alternative gewesen wäre: die israelische Strafexpedition hat inzwischen c. 50000 Palästinenser das Leben gekostet und Gaza fast vollständig zerstört; gegen den israelischen Premier wurde inzwischen ein Haftbefehl erlassen und diverse Menschenrechtsorganisationen, Experten und sogar einige europäische Regierungen sprechen inzwischen von Völkermord – wenn man das ignoriert und stattdessen fordert, dass das Bomben weitergehen soll, zeugt das von einer unglaublichen Verachtung palästinensischer Leben. Übrigens: wenn Sie wissen wollten, woher der Hass kommt, der Hamas groß gemacht, sollten sie die Mär von den UNRWA-Schulbüchern vergessen und sich mit der ebenfalls bestenfalls dokumentierten Realität der israelischen Besatzungspolitik befassen.