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Wachsende UngleichheitDie Macht der Hyperreichen

Gastkommentar von Christoph Butterwegge

Die wachsende Ungleichheit im Gegenwartskapitalismus ist ökonomisch, sozial und politisch. Wen es trifft, den trifft es zumeist auf vielen Ebenen.

Wachsende Ungleichheit ist das Kardinalproblem der ganzen Menschheit Illustration: Jörg Dommel

E ine „marktwirtschaftlich“ organisierte, kapitalistische und am Neoliberalismus orientierte, von Ökonomisierungs-, Kommerzialisierungs-, Privatisierungs- und Deregulierungstendenzen gekennzeichnete Gesellschaft wie unsere basiert auf der Ungleichheit als wesentlichem Strukturelement. Seit geraumer Zeit ist die wachsende Ungleichheit das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der ganzen Menschheit.

Jede/r versteht unter der Ungleichheit etwas anderes. Schließlich sind die Menschen weder biologisch noch sozial gleich, unterscheiden sich vielmehr nach ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrem Gewicht, ihrem Körperbau, ihrer Größe sowie ihrer Haut-, Haar- und Augenfarbe, aber auch bezüglich ihrer Fähigkeiten. Sie unterscheiden sich im Hinblick darauf voneinander, wo sie wohnen, in welchem Haushaltstyp und in welcher Familienform sie leben, welchen Beruf sie ausüben, ob sie Hobbys haben und ob sie regelmäßig Sport treiben.

Bei der Ungleichheit, um die es hier geht, handelt es sich um eine anhaltende, wenn nicht dauerhafte Ungleichverteilung materieller Ressourcen, also der ökonomischen Ungleichheit. Und es geht um Anerkennung und Respekt hinsichtlich des gesellschaftlichen Status: der sozialen Ungleichheit. Dazu kommen (Zugangs-)Rechte und Repräsentation – die politische Ungleichheit – zwischen großen Personengruppen, Klassen und Schichten, die nicht auf persönlichen (Leistungs-)Unterschieden von deren Mitgliedern beruhen.

Die sozioökonomische Ungleichheit, welche von den Benachteiligten oftmals als soziale Ungerechtigkeit empfunden wird und die fast zwangsläufig politische Ungleichheit nach sich zieht, manifestiert sich im Gegensatz von Arm und Reich. Obwohl der in wenigen Händen befindliche Reichtum den Ausgangspunkt und Kristallisationskern der Ungleichheit bildet, wird er noch immer weitgehend tabuisiert.

Bild: Markus J. Feger
Christoph Butterwegge

hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Diese Woche erscheint das von ihm und seiner Frau Carolin Butterwegge geschriebene Buch „Kinder der Ungleichheit“ bei Campus.

Wer Armut bekämpfen will, muss Reichtum antasten

Wenn die Massenmedien, die etablierten Parteien und die politisch Verantwortlichen hierzulande das Thema der (wachsenden) Ungleichheit überhaupt zur Kenntnis nehmen, konzentriert sich das Interesse vorwiegend auf die Armut. Weshalb wirkt das realitätsverzerrend, wenn nicht gar als ideologisches Ablenkungsmanöver, sofern der Reichtum unterbelichtet bleibt?

Ganz einfach: Armut lässt sich als individuelles Problem abtun, dem auf karitativem Wege begegnet werden kann, materielle Ungleichheit hingegen nicht. Wer vom Reichtum nicht sprechen will, sollte auch von der Armut schweigen. Und wer die Armut wirksam bekämpfen will, muss den Reichtum antasten. Mit der sozioökonomischen Ungleichheit verhält es sich ähnlich wie mit der Armut, die ihr bedrückendster Teil ist:

Zwar hat sie zwischen den Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens leicht ab-, innerhalb der einzelnen Länder aber zugenommen. Ungleichheit darf nicht auf den Gegensatz zwischen Arm und Reich reduziert werden, will man ihre Wirkmächtigkeit erfassen. Denn es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem sich die Ungleichheit nicht dauerhaft bemerkbar macht.

Neben der finanziellen Lage von Haushalten, Familien und Einzelpersonen prägt die zunehmende Ungleichheit auch deren Gesundheit, Bildungs- und Ausbildungsstand, Wohnsituation und Wohnumfeld sowie Freizeitverhalten und (Verkehrs-)Mobilität. An Einkommen und Vermögen machen sich maßgeblich die Lebensbedingungen sowie die Stellung der Menschen fest.

Askese muss man sich leisten können

Reich ist, wer ein großes Vermögen besitzt, es aber gar nicht antasten muss, sondern der von den Erträgen auf höchstem Wohlstandsniveau bis zum Tod leben kann. Wer reich ist, genießt ein hohes Maß an persönlicher Handlungsfreiheit und verfügt über nicht durch Existenzsicherung bestimmte Zeit. Sogar der freiwillige Verzicht auf die angenehmen Seiten des Lebens fällt Menschen mit einer schwarzen Kreditkarte leichter als Menschen ohne exklusives Statussymbol.

Oder anders formuliert: Selbst Askese muss man sich leisten können. Reiche können im Zeitalter der Erderhitzung, die verharmlosend „Klimawandel“ genannt wird, statt wie bisher zum Segeltörn auf die Seychellen zu jetten im Erster-Klasse-Abteil eines Zuges nach Westerland auf Sylt fahren. Arme haben dagegen keine riesige Auswahl an Reisezielen, wenn sie überhaupt jemals verreisen können. Millionen Bundesbürger/innen sind so arm, dass sie sich keine Urlaubsreise leisten können.

taz macht Klassenkampf

Deutschland gehört zu den reichsten Staaten der Welt – aber Wohlstand, Bildung, Gesundheit und Glück sind höchst ungleich verteilt. Wie wird die kommende Bundestagswahl die Weichen stellen für die Verteilungsprobleme? Wen wird es treffen, dass die öffentlichen Kassen nach der Pandemie leergefegt sind? Schaffen wir es, das Klima zu schützen und dabei keine Abstriche bei der sozialen Gerechtigkeit zu machen? Unter dem Motto „Klassenkampf“ widmet sich die taz eine Woche lang Fragen rund um soziale Gerechtigkeit.

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Im finanzmarktgetriebenen Plattformkapitalismus bildet der Klassengegensatz von Kapital und Arbeit zwar weiterhin die Kernstruktur der sozioökonomischen Ungleichheit. Der ihn teilweise überlagernde Widerspruch zwischen einer zunehmenden und sich verfestigenden Armut sowie einem exorbitanten Reichtum hat sich allerdings derart verschärft, dass es beinahe scheint, als existiere der Arm-Reich-Gegensatz unabhängig vom Klassenantagonismus und als basiere er nicht (mehr) auf diesem.

Beispielsweise trägt die sich extrem vertiefende Kluft zwischen Vorstandsgehältern und den Löhnen „normaler“ Arbeitnehmer/innen zur Verschärfung der Ungleichheit bei, ohne in Wirklichkeit ihre Hauptursache zu sein. Sehr reiche Bürger – es handelt sich vorwiegend um Männer – sind auch politisch einflussreich. Sie können ihre (Besitz-)Interessen zur Geltung bringen, was sich in Gesetzesvorhaben ebenso niederschlägt wie in den Entscheidungen von Regierungen und Verwaltungen.

Dies ist einer der Gründe, weshalb man Multimillionäre und Milliardäre nicht als „Superreiche“ bezeichnen sollte. Wegen der hiermit verbundenen positiven Konnotation erscheint die Bezeichnung „Hyperreiche“ angemessener. Schließlich werden Kinder, die nachts oft noch agiler sind als tagsüber, auch nicht „super-“, sondern „hyperaktiv“ genannt.

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13 Kommentare

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  • Das Thema "Klassengegensatz von Kapital und Arbeit" wurde zwar erwähnt, leider fehlten aber praktische Lösungen. Hier hätte ich gerne den Bezug zu Genossenschaften und der Demokratisierung der Wirtschaft gesehen.

  • Gute Analyse,

    es sind aber nicht nur die Superreichen, die die Völker dieser Welt ausbeuten und die die Welt zerstören. Es sind bereits die Besserverdienen, die sich die Staaten dieser Welt längst zur Beute gemacht haben und die Menschen systematisch ausbeuten. So ist die Geschichte, eine Geschichte von Klassenkämpfen.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Jede/r versteht unter der Ungleichheit etwas anderes."

    Ähnliches gilt für den Begriff "Demokratie"



    Wie war das noch mit dem Mythos der babylonischen Sprachverwirrtheit?

  • Hyperreichen den Einfluss nehmen, inkl. politischer Beeinflussung, insbesondere in den USA, das finde ich mehr als angemessen. Andererseits sieht man in anderen Ländern wie China, Ungarn oder auch Russland, dass dort Hyperreiche durchaus positiven demokratischen Einfluss haben, die dann ihrerseits von den autokratischen Regierungen verfolgt werden.



    Weltweit steigt der Anteil der Mittelschicht, und dank Bildung auch die Unabhängigkeit von Frauen.



    Auf so einheitlich schlechtem Weg wie hier geschrieben sind wir global keineswegs. Vielmehr bedient der Beitrag diejenigen Deutschen, die es schon immer gewusst haben, dass Vermögen ein Verbrechen ist. Übrigens, bei der Definition die ich hier lese, nämlich gut zu leben ohne Ersparnisse anpacken zu müssen. Was sagt das über den deutschen Pensionäre aus, viele Rentner? Der Arme im globalen Süden müsste die Krise kriegen a la Herr Butterwegge. Kurzum, er meint das irgendwie richtig, aber wie immer wenn es stichworartig wird und gegen den Neoliberalsmus und Die Reichen halt ohne Aussicht auf Mehrheiten oder breite Zustimmung der Mitbürger.



    Unkluge Vorgehensweise, an der Grenze zur intellektuellen Ressourcenverschwendung. Gibt's denn niemand in unserem Lande der das mal undogmatisch und für Mehrheiten tauglich auf den Punkt bringt wo wir vermögensseitig einen Ausgleich hinbekommen? Ich glaub der Habeck könnte das, ist aber thematisch woanders gefangen, inkl. eigenem Wählerklientel, die das aber sogar mehrheitlich verkraften könnten. Es würde was gehen, aber so eben gar nicht.

  • RS
    Ria Sauter

    Danke für diesen Beitrag! Im zweiten Satz des Artikels wird das Problem benannt. Ändern wird sich nichts.

  • Abgesehen von der semantischen Haarspalterei am Schluss - super oder hyper - ist dieser Beitrag so (ge)wichtig, dass mensch (Massenmedien inklusive) mit ihm alle zur Wahl antretenden KandidatInnen umgehend und umfassend konfrontieren soll. (Was aber wahrscheinlich ein sollte - Konjunktiv - bleiben wird.)

  • Wer Armut bekämpfen möchte, muss nicht den Reichtum antasten, sondern arme Menschen in die Lage versetzen, reich zu werden. Der Schlüssel hierfür ist ein funktionierendes Bildungswesen. Das Bildungswesen wird in Deutschland sei 40 Jahren heruntergewirtschaftet. Wesentliche Ursache ist hierfür die Kompetenz der Länder.

    Daher muss das Bildungewesen auf den Bund übergehen und finanziell ordentlich ausgestattet werden. Im übrigen muss ein Zuzug von Armut (aus der EU und aus Drittländern) verhindert werden.

    Legal erworbener Reichtum ist dagegen grundrechtlich geschützt und sollte nicht angetastet werden. Jeder der reich werden möchte muss hierfür sehr viel Leistung erbringen und gibt dabei einen großen Teil an den Staat ab.

    • @DiMa:

      "Wer Armut bekämpfen möchte, muss nicht den Reichtum antasten, sondern arme Menschen in die Lage versetzen, reich zu werden. Der Schlüssel hierfür ist ein funktionierendes Bildungswesen."

      Schau mal einer an. Wenn alle Menschen gebildet wären, dann könnten auch alle Menschen reich werden und die Armut wäre damit besiegt. Nun ja, auch ohne große Bildung werden die meisten Menschen wohl schnell zu dem Schluss kommen, dass das so nicht funktionieren kann. Glauben Sie eigentlich wirklich an dieses Märchen, dass Arbeitslosigkeit und Armut nur etwas mit geringer Bildung zu tun hat? Wenn Arbeitslosigkeit und Armut nur etwas mit schlechter Bildung zu tun hätte, dann hätte unser Schulsystem wirklich versagt. Dass Deutschland aber immer mehr Akademiker, auch aus dem MINT-Bereich, in der Arbeitslosigkeit stecken hat und das Arbeitslosigkeit und Armut nicht nur ein Problem der Ungebildeten ist, davon erzählt das Märchen von "Bildung und Reichtum" aber leider nichts.

      Die Wahrheit sieht doch wohl eher so aus: "Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der Arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich." [Bertold Brecht]

      • @Ricky-13:

        Reichtum und Armut sind ja lediglich zwei Seiten einer Waage. Der Schlüssel, auf welcher Seite man am Ende steht, ist die Bildung.

        Armut kann man nicht überwinden, da es immer Menschen gibt, die reich sein wollen. Das geht auch in Ordnung und ist grundgesetzlich geschützt. Der Schlüssel ist die Bildung. Und ja, unser Bildungssystem hat versagt.

        In einer zweiten Stufe muss man sich dann für eine ökonomisch sinnvolle Ausbildung entscheiden. Irgendein beliebiger akademischer Abschluss ist halt wertlos.

  • Sehr guter Beitrag, wenn auch etwas kurz. Ich hätte mir noch mehr Ausführungen über den wachsenden Gehaltsunterschied zwischen Vorstand und Arbeitern gewünscht und auch mehr Erklärungen dazu. Immerhin können wir nur etwas ändern wenn die Menschen verstehen was und wieso Kapitalistische neoliberale Politik den meisten Menschen schadet und es in Deutschland trotzdem nicht vernünftig im öffentlichen Diskurs behandelt wird.

  • "Und wer die Armut wirksam bekämpfen will, muss den Reichtum antasten."

    Gibt Berechnungen, nachdem das Geld der anderem in etwa einem Monat aufgebraucht wäre. So, und dann?

    Ich finde diese Artikel nur gesellschaftsspaltend. Nicht umsonst kommt es immer wieder zu diesem elenden Begriff "Kampf". EINIGKEIT und Recht und Freiheit, heissts in unserer Hymne.

    • @Wonneproppen:

      Was ist das denn für ein Argument? Steuern werden regelmäßig erhoben. Wenn das Geld also aufgebraucht ist, kommt neues nach. Und da sich die Vermögen immer mehr vergrößern, ist auch noch genug zum Besteuern vorhanden. Und genug für den Luxus der Besteuerten dann immer auch noch! Über soziale Gerechtigkeit muss nun mal gesprochen werden. Und spaltend finden das nur immer die, die Angst haben, etwas abgeben zu müssen!

      • @Frederik Nyborg:

        Die Linke fordert einen Reichensteuersatz von 70%. Wo ist da die Gerechtigkeit? Wenn sich da einer durch große Investitionen/Verschuldung oder frühes Erbe arm rechnet oder in ein deutschsprachiges Nachbarland auswandert, kann ich das verstehen.