WM-Flaneur in der arabischen Welt: Blicke wie Pfeile
Wenn freizügige WM-Touristen in eine Gesellschaft des Männerüberschuss und strenger Sexualmoral kommen, ereignen sich mitunter beschämende Dinge.
I ch bin nur ein unbedarfter Flaneur in dieser arabischen Welt. Und manchmal erlebt man als ein solcher beschämende Dinge. In der U-Bahn zum Beispiel, wo jetzt seit ein paar Tagen die Fans mit Tröten krawallen und harte Bässe durch Bluetooth-Boxen jagen, ist ein Trupp aus Tunesien unterwegs. Einer bläst in eine Vuvuzela, und ich schrecke auf. Zwei Frauen im tunesischen Trikot sind auch dabei. Sofort eilt ein Helfer, ein „Spectator’s Guide“ in gelber Jacke herbei, aber nicht etwa, um den Weg zu weisen.
Die Gelbjacke rückt einer jungen Tunesierin auf die Pelle, nötigt sie zu einem Handschlag, fragt sie, ob sie nicht Freundschaft schließen möchte mit ihm. „Bist du verheiratet?“, fragt er. „Ich liebe tunesische Frauen.“ Die Bedrängte windet sich in ihrer Ablehnung, versucht die Szene wegzulächeln. „Wir sind alle verheiratet.“ Die Gelbjacke lässt nicht locker. Sein schmieriger Machismo ist unerträglich. Ich wundere mich, dass die tunesischen Männer in der Gruppe das durchgehen lassen.
Andere Szene: Eine Anhängerin der serbischen Mannschaft ist allein in der U-Bahn unterwegs. Sie trägt die Fahne ihres Landes als Umhang auf dem Rücken – und überdies ausgesprochen körperbetonte Kleidung. Männer starren sie an.
Sie flüchtet in einen weniger belebten Bereich der Metro. Sie scheint die Blicke wie Pfeile zu spüren, die sich in ihren Körper bohren. Immer weiter rückt sie ab, in der ersten Klasse versucht sie, hinter den Sesseln zu verschwinden. Entrüstet schaut sie zu den Glotzern herüber, versucht sie mit strengen Blicken zu disziplinieren, aber das klappt nicht.
Die WM-Touristen bringen eine Freizügigkeit ins Land, die auf einen Männerüberschuss trifft – und eine strenge Sexualmoral. Einheimische Frauen tragen oft schwarze Gewänder, zum Teil Burkas mit Augenschlitzen.
Die Frauen von Expats haben derweil gelernt, ihre Mode anzupassen. Sie kleiden sich kompromisslerisch, versuchen modisch zu sein, aber nicht „aufreizend“ zu wirken. Aber wo verläuft die Grenze? Bei Knie- und Armfreiheit? Ist es nicht ein schönes Zeichen, wenn WM-Schlachtenbummlerinnen keine Zugeständnisse machen? Oder ist es unangemessen?
Die Katarer haben oft genug gesagt, jeder und jede sei willkommen. Kleidervorschriften gibt es hier und da zwar, aber sie sind während der WM aufgeweicht. Als ich in Shorts in ein Museum marschiere, eigentlich ein No-Go, sagt keiner was. Aber ich bin eh nur ein Flaneur, der kein Aufsehen erregt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin