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Vorschlag für späteren RenteneintrittKeine gute Idee

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Die beginnende Rente soll niemanden davon abhalten, weiter zu arbeiten. Nur muss das die alleinige Entscheidung jedes einzelnen Menschen bleiben.

Ausgebrannt, körperliche Wracks, mit morschen Knochen? Für sie ist Arbeiten im Alter eher nichts Foto: getty

L änger arbeiten gegen die Inflation. So in etwa lässt sich zusammenfassen, was konservative Ökonomen vorschlagen. Die Anhebung des Rentenalters soll demnach Deutschlands Fachkräfteproblem und generelles Arbeitskräfteproblem lösen, von dem zahlreiche Branchen betroffen sind. Es ist ein Kreislauf: Zu wenig Arbeitskräfte verteuern Arbeit, die Preise steigen, die Kaufkraft sinkt, insbesondere für Menschen mit kleinen Renten.

Aber ist die Idee, das Renteneintrittsalter weiter anzuheben, richtig? Ist sie nicht. Wer so etwas vorschlägt, arbeitet nicht auf dem Bau, nicht in der Pflege, nicht im Krankenhaus und auch nicht in einer Kita. Mit­ar­bei­te­r:in­nen in physisch und psychisch anstrengenden Berufen würden sich vielfach sogar noch vor ihrem offiziellen Renteneintrittsalter mit 65 bis 67 Jahren gern zur Ruhe setzen. Und das nicht, weil sie faul sind, sondern weil sie nicht mehr können.

Ausgebrannt, körperliche Wracks, mit morschen Knochen. Wer von ihnen verlangt, noch länger zu arbeiten, hat kein Gewissen – oder keine Ahnung von Jobs außerhalb komfortabler Büros. Aber auch Büroberufe können sehr anstrengend sein: Überstunden, zu viele Papiere auf dem Tisch, erwartete Dauerpräsenz, keine echte Trennung von Job und Freizeit.

Andererseits gibt es viele Frauen und Männer, die trotz Rentendasein arbeiten. Die einen freiwillig, weil sie fit sind und gebraucht werden wollen. Die anderen, weil sie eine geringe Rente beziehen und das Geld brauchen. Damit liefern Rent­ne­r:in­nen doch selbst das beste Argument für ein höheres Rentenalter, könnten die Ökonomen jetzt nachschieben.

Doch es macht einen großen Unterschied, ob ältere Menschen nach einem selbstgewählten (Stunden-)Modell und den eigenen Möglichkeiten entsprechend arbeiten oder ob ihnen eine Pflicht auferlegt wird, die sie ohnehin nicht erfüllen können. Die dann im Verweigerungsfall drohenden individuellen finanziellen Einbußen stoppen die Inflation auch nicht.

Eine andere Lösung wäre, die zahlreichen Geflüchteten, die sich hierzulande ohne Arbeitserlaubnis langweilen, fachlich auszubilden und ihnen statt der Abschiebepapiere einen Arbeitsvertrag in die Hand zu drücken.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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14 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Ob Güter, ob Event,



    Es zählt der Mensch am End



    Nur als Konsument…



    Und wer nicht genug verdient um zu konsumieren, braucht auch nicht so viel „Freizeit“, um die wichtigen Konsumaufgaben zu erfüllen. Sie (m/w/d) sollen bitte arbeiten, arbeiten, arbeiten und dann „ableben“.



    Und Irgendwann sind alle dran: de.wikipedia.org/w...s_Fr%C3%BChableben

  • Ja, genau. Statt auf allgemeinverbindliche Regelungen auf Freiwilligkeit zu setzen ist sowieso immer die beste und gerechteste Lösung. Wie gut das etwa bei Masken und Impfungen funktioniert werden wir im nächsten Herbst erleben. Genauso super wird das mit 'freiwilliger' Arbeit nach dem Erreichen des Rentenalters funktionieren, die einen werden FIRE praktizieren mit 40 aufhören zu arbeiten und auf den Wohlstand eines Vierteljahrhundert Arbeit verzichten und die mau entlohnten Malocher werden ganz 'freiwillig' bis jenseits der 70 schuften (müssen).



    Das Grundproblem bei der Rentenfinanzierung ist doch nicht die Inflation, sondern der Umstand, dass sich der Rentnerquotient seit 1950 bereits mehr als verdoppelt (regional gar verdreifacht) hat und sich mit dem anstehenden Renteintritt der Boomer noch ein weiteres Mal fast verdoppeln wird weil weniger Arbeitende nachrücken als ausscheiden.

  • "Eine andere Lösung wäre, die zahlreichen Geflüchteten, die sich hierzulande ohne Arbeitserlaubnis langweilen, fachlich auszubilden und ihnen statt der Abschiebepapiere einen Arbeitsvertrag in die Hand zu drücken."

    Das ist ein liebenswerter Gedanke. Aber ich kenne eine kurdische Krankenschwester die ab A2 nicht weiter kommt. Sie kann einfach unsere Sprache nicht lernen. Und das ist eine bereits ausgebildete Kraft, die hier gerne lebt und eine große Motivation hat. Dann kenne ich einen Syrer, der nach fünf Monaten Gespräche auf Deutsch führen konnte, er ist Ingenieur, er wird es bald schaffen, hier zu arbeiten oder wie auch immer sich in die Arbeitswelt zu integrieren.

    Aber als Formel, dafür reicht es einfach nicht. Es gibt zu viele Unterschiede.

    Die meisten Geflüchteten stellen einen Asylantrag, sie kommen hierher, weil sie, grob gesagt, erwarten, hier besser oder freier leben zu können. Die sind nicht in die deutsche Sprache verliebt oder besonders im Spracherwerb erfahren oder gut.

    Ich glaube, dass es bald immer mehr alte, arme, kranke und eingeschränkte RentnerInnen geben wird. Die Politik will es so haben. Die wünschen sich das. Sonst hätten wir 63 REA Frauen, 65 REA Männer. Das sind eher späte Renteneintrittsalter. Es gibt andere Länder, wo die Rente früher beginnt. Und meist reicht die Rente nicht. Das war mal ander, auch wenn viele Rentner in den 1980ern und 1990ern schon knapp waren. Und es soll bald keine Rentner mehr geben, die in Mallorca oder Türkei Urlaub machen. Dies werden sie finanziell nicht mehr schaffen, auch das will die Politik. Die aktuelle Bundesregierung betreibt diese Politik wie zuvor.

    Und Blüms (CDU) sichere Rente war nur Verschuldung und Umbuchen. Auch damals war die Rente nicht sicher.

    -> Sie muss anders finanziert werden.

    Und was ist Volksgesundheit, wenn der Staat Kaputt-Arbeiten und Tot-Arbeiten gut findet?

  • "Die beginnende Rente soll niemanden davon abhalten, weiter zu arbeiten."

    Achtung! Hier schlagen die Krankenkassen voll zu! Nicht nur beim zusätzlichen Verdienst, sondern auch bei Zins- und Aktienerträgen.



    Unfassbar!!!!!! Eine Riesensauerei!



    Die wollen die Steuererklärung sehen. Mogeln ist nicht.

  • Wir brauchen eine grundsätzliche Rentenreform. Ich wäre für eine einheitliche Rente für jedermann über dem Grundsicherungsniveau unabhängig von den geleisteten Beiträgen. Dann könnten wir wahrscheinlich sogar das Eintrittsalter senken.

  • Das wesentliche Problem bleibt weiterhin, dass die Lebenserwartung schneller gestiegen ist und steigt als die Lebensarbeitszeit. Dies führt zu niedrigeren Rentenbezügen der einzelnen Personen oder zu höheren Renten bei einem späteren Renteneintritt.



    Auch wenn es einem nicht gefallen sollte, darf man es nicht ignorieren.

    • RS
      Ria Sauter
      @alterego:

      Sicher doch!



      Wenn höhere Löhne gezahlt werden fällt auch die Rente höher aus.



      Ausserdem gibt es noch viele Einsparmöglichkeiten. Einfach mal den Bund der Steuerzahler fragen.



      Warum funktioniert es in Austria?



      Dort gibt es ordentliche Renten. Urlaubs/Wrihnachtszuschlag nicht nur für Beamte.



      Wenn es passt heisst es immer, wir leben in einem reichen Land

    • @alterego:

      In meiner Familie beißen die meisten kurz vor der Rente in Gras. Waren alles Handwerker mit körperlich anstrengender Arbeit und Stress.

    • @alterego:

      Die Lebenserwartung stagniert seit ein paar Jahren, in allen Industrieländern, von daher ist das kein Argument. Außerdem erreicht ein relativ großer Prozentsatz nicht mal das Rentenalter. Der Hauptgrund für die Probleme liegt im verkorksten deutschen Rentensystem.

  • Komisch, dass eine Dimension überhaupt nicht auftaucht. Bei der TAZ, Simone Schmollack unterm Radar?!? Bereits jetzt ist die Rente vieler zu wenig und Rentner*innen müssen sich bereits jetzt ein Zusatzeinkommen zu erarbeiten - und sei es Pfandflaschen sammeln. Sicher ist länger arbeiten keine gute Idee. Es braucht eine Umverteilung zugunsten Menschen mit niedrigem Einkommen - hierunter auch Menschen mit niedriger Rente!

    • @Uranus:

      Das ist mir auch schon aufgefallen, dass das soziale "Radar" in der taz seit einiger Zeit immer mal wieder ausfällt.

      Wir haben arme Rentner die morgens Zeitungen austragen müssen oder Pfandflaschen aus Mülleimern sammeln, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn arme Rentner in Deutschland schon Pfandflaschen aus dem Mülleimer sammeln müssen, während der ehemalige VW-Manager Martin Winterkorn 93.000 Euro Rente im Monat bekommt?

      Und wie ist es mit dem Fachkräftemangel? Gibt es den wirklich? - Nein, sagt eine Studie der Bundesagentur für Arbeit (BA). "Es existiere kein flächendeckender Fachkräftemangel in Deutschland. Vereinzelte Engpässe stellte die BA in der Baubranche, bei technischen Berufen sowie bei Gesundheits- und Pflegeberufen fest. Vor allem Krankenpfleger und Rettungsdienste sind rar." [Bundesagentur für Arbeit - Mai 2021]

      Selbst die Bundesagentur für Arbeit sagt also, dass der "Fachkräftemangel" nicht wirklich existiert. Übrigens heißen die beiden Zauberworte, um Pflegekräfte aus dem Zylinder zu ziehen, bessere 'Arbeitsbedingungen' und höhere 'Löhne'. Aber dann machen die BWL-geführten Krankenhäuser ja keine Gewinne mehr. Ebenso unbestimmt ist der "Mangel" im Baugewerbe. Ob er herrscht, wird jemand, der das betreffende Gut nachfragt, anders beurteilen als derjenige der es anbietet. Ein Maurer auf Stellensuche wird vermutlich kaum über einen Mangel an Maurern klagen. Und wenn selbst der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) schon 25.000 arbeitslose Ingenieure in Deutschland aufweist (die Dunkelziffer ist da noch gar nicht mit eingerechnet), dann hat das etwas mit Veränderungen in der Arbeitswelt zu tun. Das Märchen vom Fachkräftemangel wird nur von Wirtschaftsverbände erzählt.

      "Der Fachkräftemangel-Alarmismus, den die Wirtschaftsverbände schüren, und der in Ministerien und Parteien unkritisch übernommen wird, ist reine Propaganda." [Wirtschaftsmagazin 'Wirtschaftswoche']

      • @Ricky-13:

        Dito! Da kann ich Ihnen nur beipflichten. :-) Ob der Wahl-Desaster der Linkspartei dürften sich Lobbyist*innen und Wohlhabende nicht mal mehr einen feist grinsen, so unbedeutend ist die Linke zuletzt geworden. Alles ist bei der Linken definitiv nicht dolle. Wenigstens haben die aber noch so was wie ein Programm für Arme und Umverteilung. Auch wenn dies offenbar nicht so wahrgenommen wird. Viele wählen aber nicht entlang ihrer wirtschaftlichen Situation, "ihren eigentlichen Interessen", wenn sie denn überhaupt wählen ... und so wählen denn Sinn machte ...

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    So würde dann auch sichergestellt, dass die Menschen 2-3 Jahre nach Renteneintritt sterben.

    • RS
      Ria Sauter
      @03998 (Profil gelöscht):

      Das ist der Plan. Spart der Rentenkasse enorm viel Geld. Entlastet die Tafel und freie Wohnungen gibt es auch noch.



      APPLAUS!