Vorfall bei Kundgebung in Ingolstadt: AfD-Chef im Krankenhaus
Vor einem Auftritt in Ingolstadt muss AfD-Chef Chrupalla medizinisch behandelt werden. AfD spricht von Stich, Polizei ist zurückhaltend.
Dass Chrupalla dabei angegangen oder angegriffen worden sei, dafür gebe es jedoch „keinerlei Erkenntnisse“. Auf dem Weg zur Bühne habe der Politiker dann aber Schmerzen im Oberarm verspürt, so die Staatsanwaltschaft. Aufgrund weiterer gesundheitlicher Beschwerden sei er ins Klinikum Ingolstadt gebracht worden. Am Oberarm sei eine Schwellung und oberflächliche Rötung festgestellt worden. Weitere Untersuchungen verliefen „unauffällig“.
Laut Polizei wurden bisher Chrupalla selbst, seine Personenschützer, eine Ordnerin und Teilnehmende der Kundgebung befragt. Einen konkreten Angriff auf den AfD-Vorsitzenden konnte dabei offenbar niemand schildern. Die Staatsanwaltschaft verwies noch auf ausstehende Ergebnisse von Blutproben und Untersuchungen der Kleidung von Chrupalla. Auch hatte sie Teilnehmende der Kundgebung aufgerufen, Fotos und Videos zu übermitteln. Schon in einer ersten Stellungnahme hatte die Polizei zwar bestätigt, dass Chrupalla hinter der Kundgebungsbühne medizinisch versorgt wurde.
Gleichzeitig hatte sie aber betont: „Wobei eine offensichtliche Verletzung zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar war.“ Ein AfD-Sprecher sagte am Donnerstag der taz dagegen, Chrupalla werde „intensivmedizinisch behandelt“. Er habe bei der Kundgebung „einen Stich“ erlitten. Weiter führte der Sprecher das nicht aus. Alle Termine Chrupallas am Donnerstag seien abgesagt. Auch Bayerns AfD-Chef Stephan Protschka sprach von einem „tätlichen Angriff“ auf Chrupalla. In der AfD sorgt der Vorgang bereits für Aufruhr. So erklärte Sachsens AfD-Vorsitzender Jörg Urban: „Wenn es sich tatsächlich um einen Angriff gehandelt hat, ist das ein Mordversuch.“ Der Vorfall müsse „schnellstens aufgeklärt werden“. Urban beklagte eine „ausufernde Gewalt gegen Politiker meiner Partei“.
Fragezeichen auch um „Vorfall“ von Alice Weidel
Noch allerdings bleiben viele Fragezeichen. So wie auch zu einem zweiten „sicherheitsrelevanten Vorfall“ um AfD-Chefin Alice Weidel, den die AfD erst am Dienstag vermeldete. Am Tag der Deutschen Einheit sollte Weidel in Mödlareuth auftreten, das halb in Bayern, halb in Thüringen liegt – war aber nicht erschienen.
Der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter sagte auf der Bühne, dass Weidel und ihre Familie von der Polizei aus ihrer privaten Wohnung evakuiert und „in ein Safe-House“ gebracht worden seien und das Haus nicht verlassen könnten – „Hausarrest für einen politisch missliebigen Kandidaten!“, rief Kleinwächter im Wahlkampfmodus, um den größtmöglichen Effekt zu provozieren. Aus der AfD verlautete es unterdessen, es gebe Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag auf Weidels Familie. In Mödlareuth hielt Weidel eine kurze Videoansprache vor einem weißen Hintergrund, in der sie bedauerte, leider nicht vor Ort sein zu können.
Blöd nur, dass Alice Weidel am selben Tag mit ihrer Lebensgefährtin auf der Ferieninsel Mallorca gesichtet wurde. Der taz liegen entsprechende Fotos vor, auf denen Weidel lächelnd in einem Strandrestaurant mit einer schwarzen Kappe und Sonnenbrille sitzt, offenbar ein Getränk genießend. Auf einem anderen Foto scheint sie die Sonne auf einer öffentlichen Promenade am Meer zu genießen. Zuerst berichtete der Spiegel über Weidels Mallorca-Aufenthalt.
Mittlerweile widersprach auch das BKA auf taz-Anfrage der Darstellung, dass Weidel wegen Sicherheitsbedenken nicht an der Veranstaltung hätte teilnehmen können: „Die Absage der Teilnahme an der gestrigen Veranstaltung durch MdB Frau Alice Weidel geschah nicht auf Veranlassung oder Empfehlung des BKA“. Darüber hinaus könne man zu taktischen Maßnahmen oder Gefährdungsmomenten keine Auskunft geben.
Weidels Sprecher bestätigte am Mittwoch der taz, dass die Partei-Chefin seit Sonntag auf Mallorca sei und „zeitnah auf dem Rückweg“ sein werde. Weidel habe sich zu der Reise unter dem Eindruck eines sicherheitsrelevanten Vorfalls am 23. September (zehn Tage vor dem kurzfristig abgesagten Auftritt) entschieden, dass sie „Zeit mit der Familie, an einem entfernteren Ort verbringen wollte.“ Laut Sprecher sei die Familie an besagtem Tag von der Schweizer Polizei an einen sicheren Ort gebracht worden und hätte sich dort bis zum Folgetag aufgehalten. Die Schweizer Polizei bestätigte bislang nur einen Einsatz am 23. September, ohne nähere Details zu nennen.
Opfer-Rolle kein Einzelfall
Von einem dauerhaften Aufenthalt, gar Hausarrest kann hingegen keine Rede sein: Selbst laut ihrem Sprecher war Weidel in der Woche nach dem Ereignis mit ihrer Familie daheim und man wollte durch eine frühzeitige Absage des Wahlkampfauftritts „keinen Staub aufwirbeln“. Offen ist bislang, inwiefern der Besuch eines öffentlichen Restaurants mit angeblicher Bedrohungslage und etwaigen Sicherheitsmaßnahmen im Einklang steht. Der Sprecher sagte, dass die Reise „selbstverständlich nicht direkt als ‚Versteck‘ oder ähnliches“ gedacht war. Auch hatte Weidel am 29. September schon wieder an einer Sitzung des Bundestags teilgenommen.
Dass es AfD-Politiker*innen im Zusammenhang mit vermeintlichen Angriffen oder Bedrohungslagen mit der Wahrheit nicht immer allzu genau nehmen, ist kein Einzelfall. So verlautbarte die AfD nach einem Schubser gegen den Ex-Parteichef Bernd Lucke bei einer Wahlkampfveranstaltung bereits 2013 von 20 bis 25 Linksextremisten und „Schlägertrupps wie in der Weimarer Republik“, von denen acht maskiert die Bühne gestürmt hätten, sogar von einem Messerangriff und einer Pfeffergas-Attacke war die Rede. Vor Gericht stellte sich raus: Nichts davon stimmte. Außer einem Schubser von einer 70 Zentimeter hohen Bühne von zwei Gegendemonstrierenden gab es kein Tatgeschehen, Lucke fiel nicht einmal hin.
In Bremen instrumentalisierte die AfD 2019 eine Attacke auf den damaligen Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz ganz bewusst und erfolgreich: Zunächst hieß es, der AfD-Politiker sei mit einem Kantholz niedergeschlagen und noch am Boden liegend getreten worden. Doch das stimmte nicht. Videoaufnahmen zeigten später: Magnitz wurde von hinten angesprungen und ist daraufhin ungebremst zu Boden gestürzt, die Täter flüchteten direkt. Die AfD postete ein Foto des Verletzten, sprach von „Mordanschlag“ als „Ergebnis rot-grüner Hetze“, Magnitz gab ob der bundesweiten Aufmerksamkeit noch vom Krankenbett Interviews. In einer später bekannt gewordenen internen Mail schrieb er, dass er ein Foto von dem Angriff bewusst geteilt habe, um „mediale Betroffenheit“ und „Aufmerksamkeit“ zu erzeugen.
Die AfD befindet sich derzeit im Wahlkampf zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Chrupalla sollte eigentlich am Samstag nochmal für die AfD in Niederbayern auftreten. Am Sonntag wird dann in beiden Bundesländern gewählt.
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