AfD-Propaganda vor Gericht entlarvt: Schubser des Grauens
Ein „Überfall“ auf eine AfD-Wahlkampfveranstaltung von 2013 kam jetzt vor Gericht. Der Fall zeigt, wie dreist die AfD schon damals log und endet mit einem Freispruch
Vor Gericht erwies sich jedoch eindeutig, dass es sich beim Angeklagten Marcus M. nicht um denjenigen handelte, der Lucke, der beim Prozess nicht anwesend war, schubste. Die Richterin Vogdt sprach M. frei. Keiner der Zeugen war in der Lage, den Angeklagten zu identifizieren. Am Ende bewiesen zudem auch ein Foto und ein Video M.s Unschuld – auf ihnen war zu erkennen, dass M. damals einen Irokesenschnitt und Jeans trug – anders als der Aktivist auf dem Video.
Obwohl der Schubser klein war, sorgte der Fall 2013 bundesweit für Aufmerksamkeit, weil die Polizei Bremen zunächst die Propaganda der AfD verbreitete. Die hatte zunächst von 20 bis 25 Linksextremisten schwadroniert, von denen acht maskiert die Bühne stürmten, sowie einem Messerangriff auf ein AfD-Mitglied, einer Pfeffergas-Attacke durch die Linken und mehreren Verletzten. Nichts davon bewahrheitete sich. Die Polizei war zwar damals auch vor Ort, die Pressestelle der Polizei übernahm seinerzeit aber trotzdem in weiten Teilen die Angaben der AfD.
Die Bild titelte „Messer-Angriff auf AfD-Chef Lucke“, das Abendblatt schrieb „Vermummte mit Messer und Reizgas“ griffen den damaligen AfD-Vorsitzenden an. Der wiederum schlachtete seinerseits den Vorfall propagandistisch aus: Lucke sprach zunächst von „Schlägertrupps wie in der Weimarer Republik“, verlangte bei „Zeit Online“ ein „härteres Vorgehen gegen Linksextreme“ und forderte im Focus, die Geduld mit Linksextremen aufzugeben.
„Lucke war Steigbügelhalter der Nazis“
Vor Gericht blieb davon nichts übrig. Mehrere Zeugen hatten zwar angegeben, den Schubser gesehen zu haben, keiner von ihnen konnte jedoch den Angeklagten identifizieren. Das lag auch an einem geschickten Trick der Richterin: Während der fünf Zeugenvernehmungen hatte sie den Angeklagten im Zuschauerraum zwischen den UnterstützerInnen und Interessierten Platz nehmen lassen, um eine Identifikation unter realistischen Bedingungen zu ermöglichen – auf der Anklagebank seien Angeklagte schließlich leicht zu identifizieren. Die Taktik ging auf, der Angeklagte wurde nicht erkannt.
So gingen dann auch die Aussagen der Zeugen nicht über das hinaus, was bereits in einem Video zu sehen war, das kurz nach dem „Überfall“ massive Zweifel an der AfD- und Polizeiversion aufkommen ließ: In dem kurzen Film, der bis heute auf Youtube zu sehen ist, sind eben zwei Männer zu sehen, die auf die Bühne rennen und irgendwas mit „Nazis“ brüllen. Einer von ihnen schubst Lucke von der Bühne, der fällt jedoch nicht einmal hin. Dann verschwinden sie in den nahegelegenen Wald. Ein paar Männer aus dem AfD-Publikum stürmten hinterher, schließlich kommen auch anwesende Polizisten hinzu. Nach ein bisschen Tumult wird die Veranstaltung fortgesetzt.
Nach Angaben verschiedener Zeugen sei es auch zum Einsatz von Pfefferspray gekommen. Von wem, blieb allerdings unklar. Ein Messer hatte erst recht keiner gesehen. Interessant an den Aussagen war auch die Art der Festnahme: So sagte der als Zeuge geladene ehemalige Bürger in Wut, Oliver Meier, aus, dass Zuschauer zunächst mehrere Personen festhielten und auf die am Boden liegenden und festgehaltenen „einwirkten“ – und zwar mit „Fußtritten“.
Anwalt Jan Sürig, der M. vertrat, sagte in seinem Schlussplädoyer: „Lucke war ein Steigbügelhalter der Nazis. Auch wenn mein Mandant nicht beteiligt war, kann ich gewisse Sympathie für die Aktion nicht leugnen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!