Vor der Ministerpräsidentenkonferenz: Fetisch Obergrenze
Ab Mittwoch treffen sich die Regierungschef*innen der Bundesländer. Das ist eine Gelegenheit für die Union, Asylforderungen aus der Mottenkiste auszupacken.
Seit Oktober hat Sachsen den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) inne. Der Freistaat folgt damit turnusgemäß auf Hessen. Am Vortag des Jahrestreffens nutzte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die Gelegenheit, klar zu machen, wo die Union hin will. Das Grundrecht auf Asyl sei zwar ein „zentraler Pfeiler“ des Grundgesetzes, sagte Kretschmer im Tagesspiegel – es müsse aber an die aktuelle Situation angepasst werden.
Kretschmer wiederholte in diesem Zuge auch seine Forderung, die Zahl Asylsuchender auf 30.000 pro Jahr. Im März hatte er noch 60.000 genannt, im Mai hatte die Union noch 200.000 gefordert. Man solle sich „den Asylkompromiss aus den Neunzigern zum Vorbild nehmen“, sagte Kretschmer nun – „mit umfassenden Zurückweisungen an den Grenzen“.
Auf der MPK, bei der Migrations- und Asylpolitik einer der Schwerpunkte sein wird, dürften diese Forderungen für Krach sorgen. Denn die Bundesregierung hat das Asylrecht in dieser Legislatur schon mehrfach verschärft, zuletzt erst in der vergangenen Woche mit dem sogenannten „Sicherheitspaket“, dass den kompletten Leistungsentzug für sogenannte Dublin-Geflüchtete vorsieht – für Menschen also, für deren Asylantrag eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig ist.
Mehr, mehr, mehr
Den asylpolitischen Teil dieses Gesetzespakets ließen die Unionsländer im Bundesrat zwar passieren. Einem zweiten Teil zu mehr Befugnissen für Sicherheitsbehörden scheiterte aber im Bundesrat. Das dürfte nicht zuletzt am beginnenden Bundestagswahlkampf liegen, der sich auch in der Länderkammer bemerkbar macht.
Ähnliches gilt für die asylpolitischen Forderungen, die die Union nun zum wiederholten Male auf den Tisch legt, obwohl diverse bereits entschiedene Verschärfungen gerade erst oder noch nicht mal in Kraft getreten sind – seien es die Leistungsstreichungen für Dublin-Fälle oder das massiv verschärfte EU-Asylrecht.
Wie die SPD zu den Forderungen steht, ist derweil bekannt. CDU-Chef Friedrich Merz hatte im September bereits gefordert, diese für drei Monate zu testen. Bundeskanzler Olaf Scholz wie auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatten das mit Verweis auf internationales Recht abgelehnt. „Heiße Luft“ seien solche Forderungen, so Scholz. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hatte erklärt, es sei schlicht nicht möglich, die Regeln für Geflüchtete probeweise auszusetzen. „Das ist nicht vorgesehen im Rechtsstaat.“
Die Zahlen sinken
Auch die schon seit Jahren diskutierte Forderung nach einer „Obergrenze“ für Asylsuchende ist nicht mit geltendem internationalen Recht vereinbar – etwa der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das individuelle Asylrecht habe „keine Obergrenze“, hatte schon im Dezember etwa Integrationsstaatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) erklärt.
Klar ist: Weniger als ein Jahr vor der Bundestagswahl setzt die Union aufs Thema Asyl. Ende August hatte Merz gar von einer „nationalen Notlage“ gesprochen. Die bisherige Entwicklung der Asylzahlen lässt diese Analyse allerdings kaum zu. So wurden in diesem Jahr bis Ende September 179.212 Erstanträge auf Asyl gestellt – 23 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Nicht enthalten sind in dieser Zahl Menschen, die seit Ende Februar 2022 aus der Ukraine geflüchtet sind.
Weiterer Schwerpunkt auf der MPK wird der umstrittene Reformstaatsvertrag sein. Darin geht es um Vorschläge für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die soll unter anderem Geld sparen, und sieht das Zusammenlegen, Streichen und Kürzen verschiedener Kanäle und Sparten vor. So sollen beispielsweise im Radio mindestens 16 Programme wegfallen, oder die Sender 3sat und Arte zusammengelegt werden. Auch geht es um die Höhe des Rundfunkbeitrags.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin