Von TikTok in die Fußgängerzone: Es bubblet wieder in Deutschland
Vor zehn Jahren mussten zahlreiche Bubble-Tea-Läden nach einer Medienkampagne schließen. Dank Social Media feiert das süße Getränk nun sein Comeback.
Das Trendgetränk der Stunde besteht aus kaltem Tee mit Sirup und bunten Perlen. Dafür bilden sich derzeit nicht nur in Berlin meterlange Schlangen. Der Hype um Bubble Tea ist nämlich mittlerweile auch in den Kleinstädten angekommen und belebt die von der Pandemie hart getroffenen Fußgängerzonen. Dabei ist der Bubble Tea kein neues Phänomen. In Taiwan trinkt man bereits seit den 1940er-Jahren kalten Milchtee. Die Perlen, auch Bobas genannt, kamen in den 80er-Jahren dazu.
Empfohlener externer Inhalt
Der erste Bubble-Tea-Laden im deutschen Raum öffnete in Berlin im Jahr 2010. Bald kamen viele weitere in ganz Deutschland dazu. Jedoch war es schnell vorbei mit dem süßen Getränk. „Jede Menge Dreck“ attestierte der Forscher Manfred Möller dem Bubble Tea in der Rheinischen Post im August 2012. In seiner unveröffentlichten Studie der RWTH Aachen wurden zunächst krebserregende Stoffe in den Perlen gefunden, später wurde der Befund von weiteren Studien widerlegt.
Der Abwärtstrend des Bubble Teas konnte davon nicht mehr aufgehalten werden. Nahezu alle Läden mussten schließen, zahlreiche Existenzen von vorwiegend asiatischen Ladenbetreiber*innen wurden zerstört. Der Wissenschaftler Manfred Möller bezeichnete die Medienkampagne bereits ein Jahr später als „verleumderisch“. Er habe in seiner Studie keine Gesundheitsaussage über das Getränk treffen wollen, es sei lediglich um den Test eines neuen Messgerätes gegangen. Doch die mediale Berichterstattung über die Bubble-Tea–Läden hat weiterhin einen rassistischen Beigeschmack, ähnlich wie die über die Verwendung von Glutamat in asiatischen Restaurants.
Nam Nguyen hat die tragische Entwicklung aus erster Hand mitbekommen. „Es gab einige traurige Stories, viele Leute haben dort ihr Erspartes für geopfert, um sich selbstständig zu machen. Dass eine falsche Pressemeldung die eigene Existenz in Gefahr bringt, war bitter. Ich habe Freunde und Bekannte, denen das passiert ist“, erinnert sich der 29-Jährige.
Hunderte pinke Winkekatzen
Dennoch entschied er sich mit seiner Schwester und seiner ehemaligen Partnerin, selbst ein Bubble-Tea-Geschäft zu eröffnen, das „Pao Pao Modern Tea“. In Berlin-Mitte nahe der Torstraße sind sie 2019 damit nicht allein. Ende des Jahres ploppten immer mehr Teeläden auf, die vor allem von der jungen asiatischen Community gut besucht wurden. Fast drei Jahre später gibt es im Umkreis von 500 Metern sogar sieben Läden, berichtet Nguyen. Das sind taiwanesische Ketten wie The Alley und Comebuy, aber auch die Berliner Kette Boboq, die bereits in der ersten Welle ein Bubble-Tee-Imperium innehatte.
Mit seinem ausgefallenen Interieur und kreativen Teekreationen sticht „Pao Pao“ unter der starken Konkurrenz hervor. Der Laden vereint Bubble Tea mit raffinierten popkulturellen Referenzen. Die Wände sind in auffälligem Pink gestrichen, davor sind hunderte ebenso pinke Winkekatzen angebracht. In der Auslage befinden sich die heißbegehrten Toppings. Am auffälligsten sind bunte Kügelchen – die sogenannten Tapioka-Perlen. Die Perlen bestehen aus Maniokstärke, eine Mischung aus Wasser und Sirup. Aus dem Teig werden Kugeln geformt, die anschließend in heißem Wasser gekocht werden. Anschließend werden sie in Zucker und Fruchtsirup eingelegt. Neben Tapioka-Perlen gibt es auch die deutlich süßeren „Popping Bobas“. Diese bestehen aus Algenstärke und Fruchtsäure, beim Kauen zerplatzen sie im Mund.
Es gibt aber auch gesündere Toppings, wie frische Erdbeeren oder Aloe Vera. Der Klassiker unter den Toppings ist Tapioka, erklärt Nguyen. Mittlerweile sind die schwarzen Kugeln aus Maniokstärke dermaßen beliebt, dass es schon Lieferengpässe gibt. Die Kugeln und andere Zutaten werden aus Taiwan importiert. Bei Pao Pao arbeitet man indes aber an einer eigenen Rezeptur, sodass man die Perlen frisch in Berlin herstellen kann.
Die Betreiber*innen verstehen ihre Getränke als „modern tea“, eine Neuinterpretation des klassischen taiwanesischen Milchtees. Der neue Bubble Tea ist weniger zuckerhaltig und auf Wunsch auch vegan. Die vor zehn Jahren beliebten Sirups sind vereinzelt immer noch im Menü vorhanden, der Fokus liegt mittlerweile jedoch auf gesünderen Optionen. Das beliebteste Getränk des Ladens ist der „Purple Moon Litchi“, den es ab vier Euro zu kaufen gibt. Der Tee besteht aus Butterfly Pea Tea, Aloe Vera, Litchi-Gelee und Basilikumsamen. Das ergibt eine besondere Optik: Die obere Hälfte des Bechers ist lilafarben, die untere weiß. Gerade deshalb posten ihn Bubble-Tea-Fans gerne in ihren Instagram-Feeds.
Stechen ohne hinzuschauen
Die Plastikbecher mit Tee und bunten Perlen sind nicht mehr nur im Straßenbild, sondern auch in den sozialen Netzwerken zu einem neuen Statussymbol geworden. Besonders auf der chinesischen Videoplattform TikTok hat der Bubble Tea-Hype in den vergangenen Wochen rasant an Fahrt aufgenommen. Der Hashtag #Bubbletea hat auf der Plattform über eine Milliarde Aufrufe, die #Bubbleteachallenge über 45 Millionen Aufrufe. Dabei versuchen Bubble-Tea-Fans, den versiegelten Plastikbecher mit ihrem Strohhalm aufzustechen, ohne dabei hinzuschauen.
Nicht nur Nguyens Geschäft hat vom TikTok-Trend profitiert, auch neue Läden sind während der Pandemie hinzugekommen. Eine von den neuen Ladenbesitzer*innen in Berlin ist Hua Xu. Vor 20 Jahren ist sie von Shanghai nach Berlin gezogen. Die Idee, Bubble Tea zu verkaufen, kam ihr bereits vor der Pandemie. Damals arbeitete sie im Restaurant ihres Mannes. Eröffnen konnte sie den Laden erst im Dezember vergangenen Jahres. Er liegt fußläufig zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor.
Mimi Tea ist schlicht und hell gestaltet. Im Ladeninneren gibt es nur eine Theke, keine Sitzmöglichkeiten. Im Laden und an der Außenfassade sind bunt gestrichene Holzpfähle angebracht. Im Gegensatz zu „Pao Pao“ wirkt Mimi Tea weniger hip, dafür so süß wie Bubble Tea. An der Wand prangt in Leuchtschrift der Slogan “have a mimi break“. Den Namen haben sich Xus Kinder ausgedacht, die auch Bubble-Tea-Fans sind. Die Plastikbecher ziert ein Bär, dessen Bauch voller Perlen in Bärchenform ist.
Die Wintermonate während der Pandemie waren hart, berichtet Xu. Die Hochsaison des Bubble Teas ist schließlich im Frühling und Sommer, auch wenn es im Winter heiße Alternativen gibt. Den Betrieb hat sie in den ersten Monaten alleine gestemmt, derzeit arbeitet sie zwei neue Mitarbeiter*innen ein. Nachdem sie eine Schulung belegte und fleißig YouTube-Tutorials schaute, brachte sich Xu eigene Rezepte bei.
Gute Laune
Die Anfangszeit im Laden bezeichnet sie als Versuchslabor. Sie testete, welche Getränke gut bei den Kund*innen ankommen und welche nicht. Auch sie setzt auf frische Zutaten, empfiehlt Optionen ohne Zucker. Dabei berät sie jede*n umfassend, welche Toppings zu welchem Getränk passen. „Manche nehmen zu viel Eis, das verringert den Geschmack. Mein Tipp lautet: Nehmt nicht zu viel Eis“. Schon haben einige TikToker*innen und Youtuber*innen ihren Laden besucht, erzählt sie stolz. Nun kommen immer mehr Kund*innen, vor allem Jugendliche aus Berlin, um Kreationen wie „Nutella Milk Tea“ oder „Sago Coconut Milk“ zu bestellen. „Bubble Tea macht gute Laune. Die Leute verabreden sich extra, um ihn zu trinken“, erklärt sich Xu die Beliebtheit des Getränks.
Während der Coronamaßnahmen ist das Treffen auf einen Bubble Tea eine der wenigen Freizeitoptionen für Jugendliche gewesen, berichtet auch Nam Nguyen. Seine Zielgruppe besteht vor allem aus Sechs- bis Achtzehnjährigen, wobei die Jüngeren mit ihren Eltern in den Laden kommen. „Die Eltern sind noch etwas vorsichtiger, weil sie die Geschichten von vor zehn Jahren mitbekommen haben“, berichtet Nguyen. Er ist dennoch überzeugt, dass es sich bei Bubble Tea nicht bloß um einen temporären Trend handelt: „Das Produkt hat wieder seine Daseinsberechtigung. Bubble Tea ist nicht nur ein Social-Media-Trend, sondern wie der Kaffee um die Ecke.“
Tatsächlich erfreut sich der Bubble Tea zumindest bei der jüngeren Zielgruppe größerer Beliebtheit als der Coffee to go. Um die Mittagszeit ist der Besucheransturm bei „Pao Pao“ wetterbedingt noch überschaubar, wenige Tage vorher ist bei „Mimi Tea“ Ähnliches zu beobachten.
Wenige Tage später steigen die Temperaturen. Bei „Comebuy“ in der East Side Mall in Friedrichshain bildet sich gegen 16 Uhr eine lange Schlange. Es sind vor allem Teenager*innen, die nach Schulschluss dort anstehen. Manche kommen auch mit einem Elternteil. „Viele aus meiner Klasse trinken das, wir wollten das auch mal ausprobieren. Ich hab es auch schon öfter bei TikTok gesehen“, berichtet die 12-jährige Emma, die einer Freundin zum ersten Mal Bubble Tea zeigen will. „Ich hab mich informiert und gehört, dass man sich an den Perlen verschlucken kann“, sagt sie. Sorgen macht sie sich aber keine: „Bis jetzt ist noch niemand aus meiner Klasse daran gestorben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste