Von Polizei erschossener Jugendlicher: Wieso starb Mouhamed D.?
NRW-Innenminister Reul verteidigt die Polizei nach den tödlichen Schüssen in Dortmund. Gleichzeitig beginnt die schwierige Suche nach den Angehörigen.
Berlin taz | Nach dem Tod des 16-Jährigen Mouhamed D. bei einem Polizeieinsatz in Dortmund hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) Aufklärung versprochen und das Vorgehen der Polizei verteidigt. Reul kündigte im Interview mit dem WDR an, einen unabhängigen Polizeibeauftragten zu installieren. Gleichzeitig versuchen Mitglieder der Schwarzen Community in Dortmund, die Familie des Getöteten ausfindig zu machen.
Am Montagabend hatte der Betreuer einer katholischen Jugendwohngruppe die Polizei gerufen, weil der Jugendliche aus dem Senegal mit einem Messer im Innenhof der Einrichtung war und zuvor über Suizid gesprochen hatte. Laut Reuls Schilderungen sei der 16-Jährige auf die Beamt:innen zugerannt, woraufhin ein Polizist sechs Mal mit einer Maschinenpistole auf ihn schoss.
Vorige Versuche der elf eingesetzten Beamt:innen, die Lage mit Pfefferspray und Tasern zu beruhigen, seien gescheitert. „In dieser Situation ging es um die Frage: Sticht der zu oder schießt die Polizei?“, sagte Reul. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, ob die Schüsse aus Notwehr fielen.
Am Mittwochabend zogen erneut mehrere hundert Demonstrant:innen von der Polizeiwache Dortmund Nord, in deren Revier der tödliche Einsatz stattgefunden hatte, durch die Innenstadt vor das Dortmunder Polizeipräsidium. Sie wollten damit ein Zeichen gegen Polizeigewalt setzen.
Suche nach der Familie des Getöteten
Der Kulturverein BENNO und weitere Vertreter der afrikanischen Community in Dortmund trafen sich am Mittwochabend mit einem Vertreter der Stadt, um mehr über die Identität des Getöteten zu erfahren und Familienangehörige zu finden. Dafür wurde auch die senegalesische Botschaft eingeschaltet. Mouhamed D. soll erst vor kürzlich allein nach Rheinland-Pfalz gekommen sein, obwohl er sich mit seinem Bruder und seinen Eltern auf den Weg nach Deutschland gemacht haben soll.
Am Samstag, zwei Tage vor seinem Tod, wurde er aus eigenem Wunsch mindestens eine Nacht in einer psychiatrischen Klinik in Dortmund betreut, weil er Suizidgedanken geäußert hatte. Mouhamed D. sprach wohl Französisch und die senegalesische Landessprache Wolof, weshalb die Kommunikation mit den Betreuer:innen und der Polizei kaum möglich gewesen sein soll.
Fatou Mbengue vom Verein BENNO ist noch immer geschockt und überzeugt, dass der Tod von Mouhamed D. hätte verhindert werden können: „Ich wohne in der Straße, in der er starb und meine Familie spricht Wolof. Wir hätten mit ihm sprechen und ihm zeigen können, dass er hier nicht alleine ist.“
Für diesen Freitag ist eine große Trauerfeier in einer Dortmunder Moschee geplant.
Leser*innenkommentare
blinde kuh
Wer kommt bitte wie auf solche dissonante Gedanken, irgendwen mit Foltermitteln 'beruhigen' zu wollen:
"Vorige Versuche der elf eingesetzten Beamt:innen, die Lage mit Pfefferspray und Tasern zu beruhigen, seien gescheitert."
Ein Primärangriff der Polizisten ist eine glasklare Eskalation - keine 'beruhigende' Deeskalation.
Wer so etwas allen Ernstes behauptet, nimmt und empfiehlt wahrscheinlich auch Reizgas und Taser als Einschlafhilfe?!
ecox lucius
"„In dieser Situation ging es um die Frage: Sticht der zu oder schießt die Polizei?“, sagte Reul. Dieses Statement sagt v. a. etwas darüber aus, was der Staat bzw. Herr Reul als Recht der Polizei betrachtet. Sie darf schiessen, wenn jemand mit einem Messer auf die Polizei zurennt, auch wenn ein Messer keine Distanzwaffe ist.
Und die Frage, weshalb Taser und Reizgas keine Wirkung zeigten, bleibt weiterhin ungeklärt. Wäre der Jugendliche von Tasern und Reizgas getroffen worden, wäre er ausser Gefecht gewesen.
Dass man solche Situationen anders lösen kann, zeigte im Juni die Polizei in Bern. Dort stürmte ein schreiender Mann mit einer Axt bewaffnet auf einen Polizisten zu, der mit einer auf den Angreifer gerichteten MP ausgerüstet war. Der Polizist schoss nicht, sondern wich schnell und gekonnt zurück, bis ein Kollege dem Angreifer mit einem Taser ins Bein schoss. Dieser Vorgang ist in der Schweiz kein Einzelfall, sondern die Norm. Die Polizei macht sehr selten Gebrauch von ihren Schusswaffen. Das ist politisch und gesellschaftlich so gewollt.
Den Polizeieinsatz von Bern gibt es auf Video: www.20min.ch/story...fecht-356425621108
Rudolf Fissner
"Solange sich die Person nicht bedrohlich nahe mit dem offenen Messer auf einen Menschen zubewegt, ..."
Da auch nach dem zweiten Tag niemand der von ihnen genannten ebenfalls anwesenden Betreuen nicht der Schilderung wiederspricht, das der 16-Jährige mit Messer auf die Beamten zugerannt sei, wird es wohl auch so gewesen sein.
Winnetaz
Nachdem bei diesem tragischen Fall nicht nur die Polizei, sondern auch mehrere Betreuer als Zeugen dabei waren, steht zu hoffen, dass sich der gesamte Ablauf unabhängig rekonstruieren lässt. Erst dann lässt sich beurteilen, ob der Mann mit dem Messer wirklich eine akute Gefahr für Leib und Leben darstellte und die Polizei Notwehr geltend machen kann. Solange sich die Person nicht bedrohlich nahe mit dem offenen Messer auf einen Menschen zubewegt, braucht auch nicht geschossen zu werden. Das wäre nicht verhältnismäßig.
Altgrüne
Ich glaube, die deutsche Polizei muss besser im Umgang mit Gewalttätern geschult werden. Die Mehrfachschüsse zeigen eher auf eine Überforderung der Beamten hin.
Johannes Bauer
@Altgrüne Das ist vollkommen falsch! Auch Personen die mehrfach von Schüssen getroffen wurden können noch sehr mobil und gefährlich sein. Es gibt ausreichend Videos dazu bei YouTube.
Machiavelli
@Altgrüne Es wird solange Geschossen bis keine Gefahr mehr ausgeht d.h. der Angreifer liegt am Boden, alles andere macht auch keinen Sinn, nur einmal schießen und der Angreifer greift weiterhin an nur um nicht soviel geschossen zu haben ist Unsinn.
Andreas Braun
Es gilt in diesem tragischen Fall ja wohl erstmal alle Fakten zusammenzutragen:
- wie lief der Polizeieinsatz ab
- warum wirkten Pfefferspray und Taser nicht
- stand der Angreifer unter Drogen oder Alkoholeinfluss
usw.
schlimm ist, ein Mensch ist tot und das ist immer tragisch,
wo und wann hier hätte anders gehandelt und reagiert werden müssen, wird die Aufarbeitung zeigen,
Fakt ist, dass wir alle -als GESELLSCHAFT- wohl immer noch mehr tun müssen
659975 (Profil gelöscht)
Gast
Aus den Beschreibungen, was und wie es vorgefallen war, kann sich eine außenstehende Person nicht wirklich etwas ableiten.
Was mich wundert ist, das zu so einem Einsatz ein Polizist mit Maschinenpistole kommt?
Wenn diese Angabe korrekt ist?
Tragisch ist jeder Todesfall.
Aber wo ist seine Familie?
Da sind schon wieder soviele Ungereimtheiten dazwischen, die einen stutzig machen.
Cervo
Die NRW-Polizei sieht in dieser Woche nicht so gut aus. In Attendorn hat sich anscheinend ein Rechtsextremist selbts in die Luft gejagt. Einen Tag nachdem die Polizei bei ihm eine Razzia durchgeführt hat...
Warum wurde der Mann nicht verhaftet? Warum hatte er immer noch Sprengstoff?
rp-online.de/nrw/p...leben_aid-74871287
www1.wdr.de/nachri...chsuchung-102.html
99397 (Profil gelöscht)
Gast
@Cervo Wer sagt denn, dass er den schon vor dem Besuch der Polizei hatte ? ;-}
Lars B.
@Cervo Bei der Razzia wurde vielleicht nichts gefunden und der Sprengstoff war ganz woanders versteckt? Auch eine Möglichkeit, nicht wahr?
Isolde Schnuller
Ist schon interessant, wie ein gewaltbereiter Jugendlicher hier als Opfer dargestellt wird. Ich arbeite selbst in dem Bereich und wenn jemand derart mit einem Messer herumfuchtelt, dann wird dies als Gefahr in Verzug eingestuft und dann muss auch so gehandelt werden, wie gehandelt wurde und ab einer bestimmten Aggressionsstufe helfen auch keine Worte mehr und an alle die jetzt wieder von Polizeigewalt träumen, macht den Job und vor allem besser.
Ria Sauter
Gast
@Isolde Schnuller Kann Ihnen nur zustimmen!
Thomas Zwarkat
Er rannte mit einem Messer auf die Polizei zu, das ist in keinem Land DER Welt eine gute Idee!
Tragisch
Uranus
@Thomas Zwarkat Sie schossen mit automatischen Waffen mehrere Kugeln auf Mouhamad D. So sieht in keinem Land der Welt Deeskalation aus. Zumal jene (Polizist*innen) sich als professionell bezeichnen würden.
CallmeIshmael
ich war sehr enttäuscht, dass die Grüne in NRW nicht verhindert hat, Reul als Innenminister weiter zu bestätigen. Der hat ganz deutlich gezeigt, wie weit Rechts positioniert ist. Für mich war die Reforme der Demonstrationsrechts sowie die rassistische Kriminalisierung der Schicht Bars die rote Linie, die ihn untragbar gemacht hatte.
D-h. Beckmann
Ich kann mir wegen der bisherigen Fakten kein Urteil bilden, was passiert ist und ich möchte niemanden vorschnell verurteilen. Aber: „Mouhamed D. sprach wohl Französisch und die senegalesische Landessprache Wolof, weshalb die Kommunikation mit den Be¬treue¬r:in¬nen und der Polizei kaum möglich gewesen sein soll.“
Das ist ein sehr schwaches Argument. Ich bin mit 30 Jahren nach Frankreich umgezogen und viele meiner deutschen Freunde, die mich besuchen, sprechen, zumindest leidlich Französisch. Die Sprache, war in diesem Fall nicht das alleinige Problem, davon bin ich überzeugt.
Lars B.
@D-h. Beckmann Dass die Sprache das alleinige Problem sein soll, schreibt ja auch niemand. Es ist/war nur ein Teil von vielen.
Und wie viele Menschen sprechen in D-Land zumindest leidlich Französisch? Eher recht wenige, wenn es schon beim Durchschnittsbürger mit Englisch nicht weit her ist.
festus
Zumindest Reul ist warum auch immer bei großen Teilen der Wählerschaft ein Zugpferd.
Bolzkopf
"Reul kündigte im Interview mit dem WDR an, einen unabhängigen Polizeibeauftragten zu installieren."
Augenwisch und Feigenblatt !
Wer ist gegenüber diesem Polizeibeauftragten des Innenministeriums weisungsbefugt?
Und wer ist der Polizei gegenüber weisungsbefugt?
Ach? - Dann wird der Polizeibeauftragten so unabhängig sein wie die rechte von der linken Hand.
Uranus
@Bolzkopf Ja, guter Hinweis.
Thomas Brunst
Wenigstens äussert sich Herbert Reul zum Vorfall; sein hess. Amtskollege Peter Beuth hielt es vor wenigen Tagen nicht für nötig auf einer Sondersitzung des hess. Landtags zu erscheinen. Bei dieser Sondersitzung ging es u. a. um einen gezielten Kopfschuss hessischer Poizisten in der vorigen Wochen (taz berichtete).
Die beiden Landesinnenminister Reul und Beuth kleben nicht nur an ihren Stühlen, sondern sind auch in ihren Ämtern extrem abgebrüht.
Rudolf Fissner
@Thomas Brunst In unserer Demokratie wird eine Regierung gewählt, nicht geklebt
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