Vertrauensfrage von Scholz: Der AfD ist nicht zu trauen
AfD-Abgeordnete könnten Montag im Bundestag dem Kanzler ein vergiftetes Angebot machen. Parteichef Chrupalla lässt offen, ob er für oder gegen Scholz stimmt.
![AfD-Politikerin Beatrix von Storch im Bundestag AfD-Politikerin Beatrix von Storch im Bundestag](https://taz.de/picture/7407702/14/36967147-1.jpeg)
Der Patei- und Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla nährte dieses Narrativ am Mittwoch offensiv im RBB-Inforadio: Er könne nicht ausschließen, dass einzelne Abgeordnete für Scholz stimmen würden, sagte er im Inforadio des RBB: „Wir wollen natürlich auch verhindern, dass ein Friedrich Merz relativ schnell Bundeskanzler wird, weil der wirklich das schlimmere Übel wäre, gerade was Taurus-Lieferungen an die Ukraine angeht.“ Chrupalla ist für seine Russlandnähe berüchtigt und hält auch seit Putins Überfall auf die Ukraine den Kontakt zur russischen Botschaft.
Der Fraktionsvorsitzende sagte aber weiter, dass er davon ausgehe, dass die große Mehrheit seiner Fraktion Scholz nicht das Vertrauen aussprechen. Es bleibe aber eine Gewissensfrage ohne Fraktionszwang. Auf die Frage der taz, ob Chrupalla selbst für oder gegen Scholz stimmen werde, wollte er sich nicht festlegen. Und das, obwohl die extrem rechte Partei seit Monaten Neuwahlen fordert. Eine Aussprache in der Fraktion findet dazu erst am Montagvormittag in einer Fraktionssitzung um 11 Uhr kurz vor der Vertrauensfrage statt.
Scholz Minderheitsregierung aus SPD und Grünen hat 324 Abgeordnete. Teile der Grünen wollen nach Information des Redaktionsnetzwerk Deutschland sich bei der Wahl enthalten. Denn erhielte der Bundeskanzler bei der Vertrauensfrage 367 Stimmen, wäre sie mit „Ja“ beantwortet.
Weidel will gegen Scholz stimmen
Die AfD-Fraktion kommt auf 76 Abgeordnete. Chrupallas Co-Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Alice Weidel ist eindeutiger: Sie wird in der Vertrauensfrage gegen Scholz stimmen, bestätigte ihr Sprecher der taz. Weidel geht weiter davon aus, dass eine andere Haltung eine „starke Mindermeinung“ innerhalb der Fraktion sei. Die üblichen Verdächtigen scherten nun aus, maximal rechne man mit fünf Abgeordneten. Insgesamt sei doch klar, dass man jetzt nicht so eine komische Wendung hinlegen können, nachdem man ewig Neuwahlen gefordert hatte, wie es vom Sprecher schon Mitte November hieß. Daran habe sich seither nichts geändert, betonte dieser.
Der üblichste Verdächtige ist der Höcke-Freund Jürgen Pohl aus Thüringen. Der hatte bereits vor drei Wochen öffentlich kundgetan, dass er Scholz gegenüber einem CDU-Kanzler Friedrich Merz in Sachen Ukraine-Unterstützung als das „kleinere Übel“ ansehe. Er wollte der Fraktion ein Angebot machen, es ihm gleichzutun. Wie ist diese interne Diskussion gelaufen? Aus seinem Büro antwortet auf die taz-Anfrage der früher in der Neonazi-Szene aktive Benedikt Kaiser: „Argumente für und wider wurden im internen Rahmen ausgiebig konstruktiv debattiert.“ Ein Gespräch lehnt Pohl ab.
Fragt man in der Fraktion herum, hört man vereinzelt noch Zweifel bei vier bis fünf Abgeordneten, die ebenfalls für Scholz stimmen könnten: die Höcke-Getreue Christina Baum; der Berufs-Cellist mit Honorar-Professur in Moskau, Matthias Moosdorf, sowie möglicherweise Gerold Otten aus dem sich häufig russlandnah positionierenden Landesverband Bayern sowie der notorische Russlandreisende Rainer Rothfuß. Rothfuß und Otten kündigten der taz gegenüber allerdings an, gegen Scholz stimmen zu wollen. Baum und Moosdorf reagierten auf Anfragen zunächst nicht.
Stefan Keuter aus dem Arbeitskreis Außenpolitik war vor dem Krieg auch mit freundlicher russischer Genehmigung als Pseudo-Wahlbeobachter in Putins Autokratie unterwegs, um ihr Legitimation zu verschaffen. In der Vertrauensfrage aber legte er sich der taz gegenüber fest: Er werde „selbstverständlich“ gegen Scholz stimmen, man fordere ja schließlich seit Jahren, dass Scholz und die Ampel „weg„müssten: „Ich hoffe, dass niemand aus unserer Fraktion für Scholz stimmen wird.“
Restrisiko bleibt
Der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann hoffte ebenfalls auf ein einheitliches Bild: Die AfD-Fraktion wolle ein „schnellstmögliches Ende“ der noch amtierenden Regierung: „Dementsprechend spricht sie dem Kanzler nicht ihr Vertrauen aus“, sagte Baumann. Einen absoluten Fraktionszwang gebe es dabei aber nicht. Der Stellvertretende parlamentarische Geschäftsführer, Stephan Brandner, wollte ebenfalls gegen Scholz stimmen.
Auch wenn weitere Anfragen an AfD-Abgeordnete bislang unbeantwortet blieben, positioniert sich die Mehrzahl der AfD-Politiker gegen Scholz und geht davon aus, dass es bei einzelnen Voten für Scholz bleibt. Selbst Querulanten wie der nicht in die Fraktion aufgenommene AfD-Politiker Matthias Helferich, ebenfalls gut vernetzt in der extrem rechten Szene, sind gegen Scholz – er werde Scholz sein Vertrauen nicht aussprechen, sagte er.
Ob der AfD bei der Vertrauensfrage zu vertrauen ist, bleibt dennoch fraglich: Schließlich operiert man in der extrem rechten Partei gerne mit Taschenspielertricks: nicht nur 2020 in Thüringen. Ein ähnliches Manöver hatte die AfD Berlin bei der Wahl des CDU-Bürgermeisters Kai Wegner im April 2023 aufgeführt, der ebenfalls mutmaßlich mit AfD-Stimmen gewählt wurde. Und zuletzt zeigte sich mal wieder in Thüringen, wie die Partei den Parlamentarismus instrumentell nutzt, um die demokratischen Institutionen selbst zu bekämpfen – als der AfD-Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Landtags blockierte und das Landesverfassungsgericht intervenieren musste.
Dennoch bleibt es bei der Vertrauensfrage von Scholz eher unwahrscheinlich, dass ein größerer Teil der AfD-Fraktion oder gar die ganze Fraktion geschlossen für Scholz stimmt: Eine Neuwahl dürfte der Partei angesichts der hohen Umfragewerte langfristig mehr nutzen als das kurzfristig gestiftete Chaos – zumal es für die eigene Klientel schwer zu erklären wäre, warum man ausgerechnet eine rot-grüne Minderheitsregierung stützt.
Hinweis, 12.12.24: Der Text wurde um die Antworten von Rothfuß und Otten auf die taz-Anfrage zum Abstimmverhalten aktualisiert.
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