Verteidiger des Asylrecht: „Die Leute gestalten dieses Land“
Pro Asyl kämpft seit Jahrzehnten für die Rechte von Flüchtlingen – trotz politischer Widerstände, die derzeit wieder stärker werden
Die Klage brachte unter anderem die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl damals auf den Weg. Nun, über ein Jahrzehnt später, muss sich die Organisation in Frankfurt wieder mit derselben Frage beschäftigen: Die Ampelkoalition plant, die Leistungen für Asylsuchende zu streichen, deren Verfahren in anderen EU-Staaten bearbeitet werden. Pro Asyl erinnert erneut daran, was bereits 2012 entschieden wurde.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Pro Asyl für ein „menschenwürdiges“ Leben von Flüchtlingen einsetzt. Gegründet 1986, erlebte die Organisation zahlreiche asylpolitische Höhen und Tiefen: die Angriffe auf Asylsuchende in den 1990er Jahren oder den sogenannten „Asylkompromiss“, der darauf folgte. Doch auch Momente wie 2015, als sogar in der Bild-Zeitung „Refugees Welcome“ stand.
Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl
„Gerade erleben wir aber eine ganz neue Dimension“, sagt Karl Kopp, der seit 1992 bei Pro Asyl arbeitet und heute Geschäftsführer ist. Damit meint er die Ereignisse der letzten Wochen: Die AfD erzielt in Thüringen Zustimmungswerte von über 30 Prozent, seit dem Anschlag in Solingen Ende August machen Politiker*innen täglich neue Vorschläge zur Verschärfung des Asylrechts.
Grundrechte waren die Antwort auf die Barbarei
Bundesinnenministerin Nancy Faeser ordnet Kontrollen an allen deutschen Grenzen an, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder stellt das individuelle Grundrecht auf Asyl infrage, und CDU-Chef Friedrich Merz fordert, Asylbewerber an der deutschen Grenze abzuweisen.
„Deutschland war eine ganze Weile vermeintlich ‚welcoming‘. Jetzt kippt alles innerhalb eines Jahres“, sagt der 64-jährige Geschäftsführer. „Ich sehe in den Äußerungen von heute eine Kaskade verbaler Molotowcocktails.“ Politiker wie Merz, die von einer nationalen Notlage sprechen und EU-rechtliche Vorgaben außer Kraft setzen wollen, um Schutzsuchende an den Grenzen zurückzuweisen, ignorierten laut Kopp die Argumente von Menschenrechtsorganisationen und Völkerrechtler*innen: Solche Forderungen seien europarechts- und völkerrechtswidrig.
„Die Flüchtlingskonventionen, Menschenrechtskonventionen und auch das Grundgesetz sind Antworten der Zivilisation auf die Barbarei gewesen – auf den Nationalsozialismus. Das jetzt infrage zu stellen, finde ich sehr beängstigend und geschichtsvergessen“, warnt Kopp. „Wenn sie so weitermachen, wird alles in Gefahr geraten.“
Trotzdem bleibt Kopp zuversichtlich. Er erinnert sich an die 1990er Jahre, die flüchtlingspolitisch „schlimm und blutig“ waren, und betont, dass heute eine Sache anders sei: Man habe heute in Deutschland eine Flucht- und Migrationsgesellschaft, die sich nicht einfach vertreiben lasse. „Ich bin fest davon überzeugt, dass es hart wird, aber die Höckes und die Völkischen können diese Entwicklung nicht mehr zurückdrängen. Die Leute sind da, sie gestalten dieses Land“, sagt Kopp. „Wir werden gemeinsam die Migrationsgesellschaft mit Zähnen und Klauen verteidigen.“
Auf dem Rücken der Schutzsuchenden
Für viele seiner „jungen Kolleginnen und Kollegen“ sei es dennoch ein Schock, dass das, was in den letzten Jahren aufgebaut wurde, jetzt eingerissen werde, erklärt Kopp. Doch wenn man wie Kopp seit über 30 Jahren für eine solche Organisation arbeitet, dann lernt man jeden Tag aufs Neue, dass es „ein langer Weg ist, bis die Schutzsuchenden zu ihrem Recht kommen“. Und auf diesem langen Weg begleiten ihn rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Berlin und Frankfurt – und das ohne staatliche Zuwendungen, nur durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.
Einer von ihnen ist Tareq Alaows, der 35-jährige flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl. Alaows floh 2015 aus Syrien nach Deutschland, um dem Wehrdienst zu entgehen. Nun, in einer Zeit, in der über Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan diskutiert wird, macht er sich Gedanken. „Früher sagte die ganze Welt, Assad sei ein Diktator, mit dem man nicht zusammenarbeiten dürfe. Und jetzt will man plötzlich mit ihm kooperieren, nur um Menschen um jeden Preis abzuschieben“, erzählt Alaows.
Er kritisiert, dass die Ampelregierung gemeinsam mit der CDU versucht, strukturelle Probleme auf dem Rücken von Schutzsuchenden zu lösen, ohne dabei ernsthafte Lösungsansätze zu bieten. „Durch Abschiebung werden keine Wohnungen und keine Kitas geschaffen. Und am Ende sind auch die Menschen weg, die die Strukturen in diesem Land aufgebaut haben“, sagt er.
Abschiebung löse keine Probleme, sondern verschärfe sie. Die aktuelle Debatte sei zudem faktenfern und reine Symbolpolitik. Alaows geht davon aus, dass Zurückweisungen an Deutschlands Grenzen vor Gericht gekippt werden. „Das wird in der Gesellschaft nur noch mehr Unzufriedenheit schüren und den Rechtsruck weiter stärken.“
Menschenrechtler werden bedroht
Wo die Rechten stärker werden, entstehen auch für zivilgesellschaftliche Organisationen neue Herausforderungen – auch für Pro Asyl. Man bereite sich schon vor, wie Kopp erklärt – sei es im Bereich psychische, rechtliche oder Datensicherheit. Auch etwa die Büros in Frankfurt und Berlin bleiben seit Jahren anonym.
Doch besondere Sorgen macht sich Kopp nicht um sich, sondern um Partnerorganisationen, etwa in Ungarn oder Malta, oder um die Sicherheit von Veranstaltungen, vor allem in Ostdeutschland. Und am meisten solle es nun um die Sicherheit der „Opfer dieser Diskussion“ gehen, sagt Kopp: „Wer schützt Geflüchtete und Migranten in gefährlichen Situationen?“
Auch Alaows fragt sich das: „Wir erleben eine andere Dimension. Jeder, der sich offen für Menschenrechte einsetzt, läuft mittlerweile auch in Deutschland Gefahr, bedroht zu werden“, sagt er. Diese Bedrohungen hätten die Arbeitsweise nicht jetzt erst, sondern eher seit Jahren verändert.
Woher nimmt man die Kraft, sich täglich mit diesen Debatten auseinanderzusetzen, fragt man sich, wenn man trotz allem die kämpferische Stimmung im Frankfurter Büro miterlebt: „Verlieren wird man erst, wenn man aufgibt“, sagt Alaows. An diesen Satz müsse er erneut seit dem Schiffsunglück vor Pylos im Juni 2023 denken. Damals sank ein Flüchtlingsboot vor dem griechischen Küstenort, nur 104 von 750 Menschen überlebten. Einige von ihnen sind heute in Deutschland politisch aktiv.
Asylrecht erhalten – und verschönern
Einer von ihnen erzählte Alaows: „Ich stehe hier nicht nur für mich, sondern für die 650 Menschen, die man hat ertrinken lassen. Auch dafür, dass es sich nicht wiederholt.“ Solche Begegnungen inspirieren Alaows. „Wir sehen unsere Aufgabe darin, mit Betroffenen für ihre Rechte zu kämpfen. Das gibt uns Mut. Wir sind hier, um nicht aufzugeben.“
Trotz aller Herausforderungen gibt sich auch Kopp entschlossen: „Wir können keine Pause machen. Unser Job ist es, an der Seite von Geflüchteten zu stehen. Punkt.“ Dieses Jahr wurde Pro Asyl 38 Jahre alt, in zwei Jahren folgt das 40. Jubiläum: „Bis dahin wollen wir das Asylrecht nicht nur erhalten, sondern noch schöner machen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene