Verschwörungsmythen im Freundeskreis: Eine Rückkehr ist möglich
Was tun, wenn beim Abendessen Verschwörungserzählungen aufgetischt werden? Unsere Autorin will ihren Freund trotzdem wieder einladen.
W ir sitzen am Tisch, haben zum Essen eingeladen, der Abend verspricht ein Genuss zu werden, da sagt der Freund nebenbei den Satz, die Medien seien ja sowieso „gleichgeschaltet“.
Zuerst halte ich es noch für ein Missverständnis, einen Scherz oder eine Übertreibung, nicht jedes Wort gleich auf die Goldwaage legen, da kommt der nächste verbale Einschlag: „Das sagen sie alle im Wahrheitsministerium“. Ich unterbreche den Freund, frage ihn, was er meint, verlange eine Erklärung und begrabe ihn daraufhin unter Argumenten und Fakten.
Die Gesichter sind erhitzt, die Gemüter auch, Unverständnis statt Einvernehmlichkeit. Die gute Stimmung ist dahin. Wir sitzen schweigend am Tisch, wagen kaum einander in die Augen zu schauen und fragen uns, wie das passieren konnte. Kurze Zeit später verabschiedet sich der Freund, und in mir dämmert die Erkenntnis, alles falsch gemacht zu haben.
Unsere moderne Welt ist verdammt kompliziert. Wer kein Universalgenie ist, muss in vielen Bereichen des Lebens auf die Medien und die Auskunft von Expert*innen vertrauen, Meinung von Fakten trennen und Widersprüche aushalten. Und selbst dann bleiben viele Zusammenhänge oft noch unklar.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Kritik bestätigt noch die eigene Wahrheit
In einigen Menschen wächst dann Misstrauen; die Vermutung, dass „die da oben“ nicht die ganze Wahrheit erzählen und eine geheime Agenda verfolgen. Und nur ein paar Klicks oder Google-Suchanfragen später haben diese Menschen Posts und Videos von Gleichgesinnten gefunden, die behaupten, die „wirklich wahre Wahrheit“ zu kennen, die zwar nicht gängigen Informationsquellen und wissenschaftlichen Standards entspricht, dafür aber leicht zu verstehen ist und allem auf befriedigende Weise Sinn verleiht.
Und am Schlimmsten: Jede Kritik wird als Bestätigung der eigenen Wahrheit empfunden, da die Gesellschaft in den Augen der Verschwörungsgläubigen offensichtlich versucht, ihre Verbreitung zu unterdrücken.
Wer einmal in die Welt der Verschwörungsmythen abgetaucht ist, dem fällt es deshalb schwer, aus eigener Kraft wieder zurückzufinden. Oft wurden soziale Kontakte abgebrochen, Vorwürfe und Verletzungen haben die Gräben vertieft. Aber eine Rückkehr ist möglich – und sollte in jedem Fall begrüßt werden.
Denn wer die eine Verschwörung glaubt, ist auch anfälliger dafür, die nächste zu glauben und zu verbreiten. So verlieren immer mehr Menschen das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Die Basis unserer Demokratie erodiert, wenn immer extremere und menschenfeindlichere Positionen an Boden gewinnen. Dabei fällt es Demokratiefeind*innen und autoritären Staaten durch Social Media – Nutzung und KI immer leichter, Verschwörungsnarrative auch bei uns zu verbreiten.
Keine Macht der Verschwörung
Deshalb müssen wir uns dringend damit auseinandersetzen, wie wir Verschwörungsgläubige wieder zurück in die Gesellschaft holen, wie wir Stigmatisierung vermeiden, Aussteigerprogramme fördern und präventive Maßnahmen ergreifen, damit Menschen resilient gegen Falschinformationen und Propaganda sind. Wie solche Programme funktionieren könnten, sollten Staat und Zivilgesellschaft so schnell wie möglich ausarbeiten.
Ich werde meinen Freund demnächst wieder zum Essen einladen. Vielleicht werden wir über Politik sprechen, vielleicht werden wir das Thema vermeiden. Auf jeden Fall will ich dafür kämpfen, dass die Verschwörungserzählungen keine Macht über unsere Freundschaft erhalten.
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