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Verfassungsklagen gegen die NotbremseKein Ersatzgesetzgeber

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Beim Bundesverfassungsgericht trudeln nun Verfassungsbeschwerden gegen die Notbremse ein. Die Kläger scheinen das Gericht für eine gute Fee zu halten.

Die Gegner der Corona-Notbremse klagen vor dem Bundesverfassungsgericht Foto: dpa

D amit war zu rechnen. Kaum ist die Bundesnotbremse am Freitag in Kraft getreten, trudeln beim Bundesverfassungsgericht Dutzende von Verfassungsbeschwerden ein. Wer die Freiheit verteidigt, will dabei sein: die Freien Demokraten (FDP), die Freien Wähler und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Viele sehen sich schon als sichere Sieger:innen. Doch die Klä­ge­r:in­nen rennen hier keineswegs offene Türen ein.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Geschichte bisher nur in einer Handvoll Fällen ein Gesetz vorläufig außer Kraft gesetzt. Vermutlich wird das Gericht auch hier feststellen, dass der Ausgang der Hauptsache offen ist und dann im Rahmen einer Folgenabwägung die Eilanträge ablehnen. Damit sind die Bür­ge­r:in­nen nicht schutzlos gestellt. Verwaltungsgerichte können auch gegen ein Gesetz vorläufigen Rechtsschutz gewähren. Das hat Karlsruhe schon 2004 im Zuge der BSE-Rinderwahnsinn-Krise festgestellt.

Die Verfassungsbeschwerden wirken aber auch in der Sache nicht zwingend. Welche Maßnahmen die Politik gegen die Pandemie ergreift, ist keine rein wissenschaftliche Frage. Der Bundestag hat hier einen weiten Beurteilungs- und Prognosespielraum. Er muss nicht einfach die Vorschläge der Epi­de­mio­lo­g:in­nen umsetzen, sondern darf und soll sie mit einer Vielzahl von Interessen der Bür­ge­r:in­nen und Unternehmen abwägen. Am Ende stehen mehr oder weniger überzeugende Kompromisse. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Abwägungen durch ein neues „Gesamtkonzept“ zu ersetzen, das den Klä­ge­r:in­nen stimmiger erscheint. Karlsruhe ist kein Ersatzgesetzgeber und keine gute Fee für politische Wünsche – zumal sich wohl auch jede Klä­ge­r:in etwas anderes wünschen würde.

Ein Jahr lang wurde der Bundestag massiv kritisiert, er habe sich vor der Verantwortung gedrückt und den Landesregierungen mit ihren Coronaverordnungen das Feld überlassen. Doch kaum entscheidet der Bundestag mal selbst über die Pandemiebekämpfung, rufen alle nach Karlsruhe. Sieht so das Demokratieverständnis der Freiheits­freund:in­nen aus?

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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13 Kommentare

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  • Den Vorwurf ausgerechnet an die GFF, ein mangelndes Demokratieverständnis zu haben, finde ich vollkommen unanbracht. Es gibt gute Gründe, gegen Teile des Gesetzes zu klagen. Die nächtliche Ausgangssperre ist willkürlich gewählt. Diese ist in meinen Augen keine zielgerichtete Maßnahme gegen die Pandemie, sondern ein Ausfluss einer ordnungspolitischen Vorstellung, nach der Bürgerinnen und Bürger nachts gefälligst zu Hause zu sein haben.



    Sinnvoll wäre es z.B., Öffnungszeiten von Supermärkten zu VERLÄNGERN und auszuweiten, statt zu verkürzen, das würde dieselbe Anzahl an Kunden auf einen größeren Zeitraum verteilen und das Risiko von Infektionen mindern. Das Virus ist beim nächtlichen gemeinsamen Spaziergang auch nicht auf einmal gefährlicher als beim morgendlichen Treffen auf dem Wochenmarkt. Mir jedenfalls fehlt hier das Augenmaß. Es ist richtig, die Regelungen auf den Prüfstand zu stellen.

  • Ein "Ersatzgesetzgeber" ist das BVerfG natürlich nicht - es wird mit Sicherheit nicht den neuen § 28a BundesinfektionsschutzG durch eine andere Regelung ersetzen.

    Wenn die Richter aber zur Überzeugung kommen, dass einzelne Bestimmungen verfassungswidrig sind (insbesondere wegen unverhältnismäßigem Eingriff in Grundrechte) wird das BVerfG diese für nichtig erklären. Und wenn bei vorläufiger Fortgeltung der strittigen Bestimmungen bis zur Hauptsacheentscheidung schwere Nachteile für das Gemeinwohl drohen, wird es überdies eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG treffen - und damit die Notbremse vorläufig außer Kraft setzen.

  • In einem Rechtsstaat sollte man es nie jemandem zum Vorwurf machen, dass er durch ein Verfassungsgericht prüfen lässt, ob eine staatliche Maßnahme verfassungskonform ist, auch dann nicht, wenn man diese Maßnahme für richtig hält.

  • Vielleicht sollte man solche Kommentare Autoren überlassen, die etwas rechtskundiger sind. Ziel der Verfassungsbeschwerden ist die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, die in der Novelle des Infektionsschutzgesetzes angeordnet werden, nicht ein anderes Gesamtkonzept. Und im Rechtsstaat heiligt der Zweck nicht die Mittel, genausowenig wie dem Zweck der Gesundheit alles andere unterzuordnen ist. Das scheinen Einige - inkl. des Autors - nicht zu begreifen. Und dann auch noch mit den üblichen kapitalismuskritischen Phrasen das Ganze zu begleiten, wie das Einige hier in den Kommentaren tun, ändert auch nichts und geht am Thema vorbei.

  • die Kritik, die sich #allesdichtmachen verdient hat, müsste zuallererst die Wirtschaft und ihre Lobbyisten, namentlich die FDP, treffen - die sich mit ihrer Klage als Rechtsstaatspartei inszeniert, tatsächlich aber das Gericht vor ihren Karren - eben als Ersatzgesetzgeber - spannen will.

    Und, was sie als Oppositionspartei mangels Mehrheit nicht erreicht, per öffentlicher Deligitimation durchsetzen will: die so überaus wichtige breite Akzeptanz für die Maßnahmen zu erodieren. So dass z.B. auch bei Amazon, s.o., nicht aufgemuckt wird...

  • Sehr guter Kommentar! Heute morgen war im DLF zu hören, die katastrophale Lage in Indien habe auch damit zu tun, dass wan sich dort zu früh in Sicherheit gewähnt, gelockert habe - die ständigen Argumente, es gebe ja auch Alternativen, andere Maßnahmen, führen im Endeffekt zu einer endlosen Diskuion, an deren Ende - keine von ihnen ergriffen wird.

    Zu Recht wurd gerade den Schauspieler*innen um Jan-Josef Liefers Zynismus und Empathielosigkeit, Nähe zu Querdenkern und der AfD vorgehalten: dies lässt sich aber auch umdrehen. Christian Lindner, dessen FDP auch klagt, hat auch nur das verheiratete Ehepaar (und nicht die Intensivstationen) auf dem Schirm, Kubicki verlautbarte zu Beginn der Pandemie, wer Angst habe, könne ja zu Hause bleiben ('echte Kerle', in der Nachbarschaft zu beobachten, verzichten also auch aufs Masketragen (und kommen sich männlich vor)), vor Kurzem warnte er vor der Wut der Bürger angesichts von Einschränkungen, die in Gewalt umschlagen könne is.gd/dX03Mk (Kritik dort: er rede sie herbei).

    Kein Wort z.B. über Amazon, wo Maskentragen neulich verboten war is.gd/HpWajP oder die Verantwortung der Wirtschaft insgesamt.

    Erik Marquardt von den Grünen hat das Problem thematisiert: "Wenn der Spaziergang nach der Arbeit verboten wird, während man weiter ohne Testpflicht in Großraumbüros arbeiten muss, wird der Mensch auf ein Produktionsmittel reduziert. Das ist keine soziale Antwort auf eine Pandemie, sondern Turbokapitalismus in Reinform" und in einer weiteren Diskussion auf den Punkt gebracht (Instagram): "obralemao Geht es nicht einzig darum, die Industrie am Laufen zu halten, auf Teufel komm raus? Dabei werden nur Eigentore geschossen. So u.a. auch, dass sich nicht jeder testen lassen kann. Es ist nur noch irre.

    erikmarquardt @obramelao Ja, eine Studie hat auch ergeben, dass es sogar wirtschaftlich besser ist auf eine Nocovid-Strategie zu setzen" is.gd/AQDt5P

    Soll heißen: die Kritik, die sich #allesdichtmachen verdient

  • 0G
    0103 (Profil gelöscht)

    Die Behauptung dass die Kläger andere Infektionsschutzmaßnahmen über das BVerfG durchsetzen wollen halte ich für aus der Luft gegriffen. Das problematische an der "Bundesnotbremse" ist die Verlagerung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sowie die Ausgangssperre. Beide Fragen müssen höchstrichterlich geklärt werden: die erste um entsprechendes Handeln in Zukunft zu legitimieren (und damit die "Anrüchigkeit" die dieses Mal suggeriert wurde zu beseitigen) oder zu unterbinden, die zweite, und hier ist ein "Eilantrag" durchaus sinnig, um zu prüfen ob die härteste denkbare Maßnahme wirklich gerechtfertigt ist in Anbetracht der Tatsache dass Schulen und Kitas, die mittlerweile zweifelsohne Pandemietreiber sind, geöffnet bleiben, dass Arbeitgeber bis auf eine Feigenblatt-Regelung zum Homeoffice (die sicherlich nur für die Gerichte hineingeschrieben wurde) unbehelligt bleiben und dass die Beschränkung auf die Nachtstunden die ohnehin extrem fragwürdige Wirksamkeit gen null reduzieren dürfte, womit die Maßnahme offensichtlich weder geeignet noch angemessen ist. Meiner Meinung nach kann das BVerfG die nächtliche Ausgangssperre nur mit viel Biegen und Brechen (was aber ja keine Seltenheit ist) durchwinken, so es sich überhaupt mit der Sache befasst (über die Zuständigkeit vorgelagerter Gerichte kann ich nichts sagen). Mir ist unklar wie man jemandem (und sei es der politische Gegner) übelnehmen kann dass er seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) nutzen möchte, insbesondere in so einem krassen Fall.

    • @0103 (Profil gelöscht):

      Da die Ausgangssperre nur mitten in der Nacht gilt, kann ich mir gut vorstellen, dass das BVerfG den Eilantrag dazu ablehnt und ins Hauptsacheverfahren schiebt, da mitten in der Nacht nicht rausgehen zu können erstmal schon zumutbar ist. Wäre die Ausgangssperre tagsüber gültig, würde sie sicherlich eher schon im Eilantrag besprochen werden.

      • @LesMankov:

        Es ist doch eher umgekehrt: Grundrechte sollten doch nur dann eingeschränkt werden, wenn andere Grundrechte stärker wiegen. Je geringer ein Effekt einer Grundrechtseinschränkung ist, desto überflüssiger ist diese.

  • "Karlsruhe ist kein Ersatzgesetzgeber"



    Die sollen ja auch nicht sagen, was geht, sondern was nicht geht.



    Interessant wird es, falls hier tatsächlich was gekippt wird. Die Reaktion darauf wird heftig emotional sein und dürfte dann außerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Somit viel zu tun für den VS.

  • ALLSEITIGE VERWIRRUNG...



    scheint nun auch in den kommentaren ihres rechtspolitischen korrespondenten durchzusickern: eine gekränkte gesellschaft ob der auseinandersetzung mit krankheit und tod, eine kaum mehr wahrnehmbare legislative, die sich den repressionsmechanismen einer seit monaten ziellos flatternden strategie der regierung als williger vollstrecker für massnahmen andient, die sich jeglicher innerer logik wie äusserer transparenz oder wissenschaftlicher evidenz verschliesst - mit willkürlich festgelegten inzidenzien die grundrechte des souveräns missachtet und sich einer bürokratie bedient, die an ihrer eigenen schwerfälligkeit erstickt: welch anlass bedarf es denn noch, dem rasanten demokratieabbau vor dem hintergrund einer unversöhnten gesellschaft wieder jene balance zu verschaffen, die dem bundesverfassungsgericht im spiel der gewalten zukommt.

  • Danke schön! Eine dringend notwendige Kopfwäsche für die leider vielen Mitmenschen, die mit Freiheit vor allem nur ihre eigene Freiheit meinen oder diesen Wert einfach nur als Slogan benutzen. Eigentlich darf das Gericht dem Gesetzgeber hier nicht einfach in den Arm fallen, vor allem nicht nach so kurzer Zeit. Über die Wirksamkeit der Ausgangssperren und damit auch über ihre Verhältnismässigkeit kann man nach so wenigen Tagen nur spekulieren, das wäre aber das einzige Kriterium, nach dem das Gericht an dieser Stelle eingreifen könnte. Das Gesetz ist demokratisch legitimiert und das Gericht sollte sehr vorsichtig sein, sich an der ohnehin schon grassierenden Diskreditierung vor allem der Exekutive zu beteiligen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Die Ausgangssperren gibt es doch nicht erst seit Samstag, sondern sie gab es in vielen Regionen seit Monaten mal und dann wieder nicht und zuletzt in großen Teilen des Landes. Gebracht haben sie sehr wenig bis nichts, wenn man die Zahlen vergleicht.



      Die nächsten Tage werden die Zahlen wohl sinken - aber nicht wegen der Notbremse, sondern wegen des Wetters. Sie werden nämlich auch da sinken, so die Inzidenz unter 100 die Notbremse gar nicht greifen lässt.