Verbotsverfügung gegen „Compact-Magazin“: Hass-Belege auf über 50 Seiten
Bei Diskussionen um das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins hilft ein Blick in die Verbotsverfügung des Innenministeriums. Der taz liegt sie vor.
Inhaltswarnung: Zur Dokumentation enthält dieser Text ausführliche Zitate, die Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze belegen.
Es hatte nach dem Verbot des Compact-Magazin nicht lange gedauert, bis nicht nur die Empörung in der rechten Szene, sondern auch die verfassungsrechtlichen Diskussionen begannen. Das Bundesinnenministerium (BMI) hatte am Dienstag die Compact-Magazin GmbH sowie die dazugehörige Conspect Film GmbH verboten, Durchsuchungen in mehreren Bundesländern vorgenommen und sich dabei auf das Vereinsrecht berufen, das auch für Unternehmen gelten kann. Compact, so hieß es aus dem BMI, richte sich in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung.
Einige Fragen, die danach auch juristisch diskutiert werden, lauten: War das Verbot verhältnismäßig? Was ist mit der Pressefreiheit? Hätten vorher nicht eher einzelne Beiträge oder Ausgaben des Magazins verboten werden müssen?
Der taz liegt die Verbotsverfügung vor. Auf 79 Seiten führt das BMI darin aus, warum es Compact als „politischen Agitator mit verfassungsfeindlicher Grundhaltung“ ansieht. Die Verbotsverfügung war als Verschlusssache „Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft, was mit dem Tag des Vollzugs obsolet wurde.
Auch andere Medien zitieren aus der Verbotsverfügung. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete, dass ein selbsterklärter Unterstützer Einblick in die Verbotsverfügung gewährt habe und vergewisserte sich von der Echtheit des Dokuments. Aus Regierungskreisen wurde darauf verwiesen, dass die Verbotsverfügung nicht vom Innenministerium öffentlich gemacht worden sei.
In einzelnen Kapiteln werden in dem Schreiben reihenweise Zitate aus Heften, Titelbilder und Aussagen auf öffentlichen Veranstaltungen angeführt. Sie belegen eine antisemitische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Haltung. Und das in einer Massivität, die nicht auf einzelne Beiträge im Heft beschränkt ist. Ein Abschnitt befasst sich direkt mit der Frage der Verhältnismäßigkeit des Verbots, der Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und wägt das Vereinsverbot auch gegen die Pressefreiheit ab.
Vernetzung mit NPD, AfD und Identitären
In einem Kapitel der Verfügung befasst sich das BMI explizit mit den Verbindungen von Compact zu andere Verfassungsfeinden. So werden Bezüge mehrerer Mitarbeiter zur rechtsextremen Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD) aufgelistet. Demnach war der „Chef vom Dienst“ von Compact 2014 noch der Pressesprecher der NPD-Fraktion in Sachsen, ein anderer Mitarbeiter dort NPD-Landtagsabgeordneter. Weitere Bezüge bestünden zur Reginalpartei „Freie Sachsen“, sowie ausgiebig zur AfD und deren Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“.
Zudem schrieben Autoren wie Benedikt Kaiser für Compact, die auch in Organen des kürzlich selbstaufgelösten „Institut für Staatspolitik“ des neurechten Ideologen Götz Kubitschek schrieben. Das BMI hebt zudem die Verbindungen zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB) hervor: Der TV-Chef von Compact sei ehemaliger IB-Aktivist und pflege diese Kontakte weiter. Der IB-Anführer Martin Sellner sei seit Jahren regelmäßiger Autor und Kolumnist bei Compact und trete als Redner auf deren Veranstaltungen auf.
Völkischer Rassismus und Verschwörungsideologie
Mit 59 Seiten den längsten Teil der Verbotsverfügung nehmen Ausführungen ein, die den völkischen Rassismus, Antisemitismus sowie die rechtsextreme Vernetzung von Compact belegen. Es geht um Zitate zu „Remigrations“-Plänen, zu Hass auf Jüdinnen und Juden, auf Araber, Muslim*innen und Migrant*innen.
Eine zentrale Forderung von Compact sei demnach laut Verbotsverfügung „der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand“. Das BMI sieht einen völkischen Rassismus, und zitiert dazu Aussagen aus verschiedenen Ausgaben. Darin ist etwa von „fremdländischen Passdeutschen“ die Rede, davon, dass „richtige Deutsche“ nur sogenannte „Bio- Deutsche“ seien oder dass es keine Frage der Staatsangehörigkeit sei, ob jemand Deutscher ist oder nicht: „Der Staat schafft nicht das Volk, er findet es bei seiner Entstehung vor und setzt seine Existenz als soziologische, nicht rechtliche Gegebenheit voraus“, heißt es demnach bei Compact.
Ein Zitat aus einer anderer Stelle eines Compact-Heftes lautet: „Der Begriff Volk bewahrt den ethnischen Kern unserer Gemeinschaft“. Das wird von Compact weiter ausgeführt: „Ausländer, Fremde: Dient der klaren Unterscheidung zwischen Menschen, die dieses Land mit aufgebaut und hier Wurzeln geschlagen haben, und bloßen Zugewanderten und Passdeutschen.“
Der Rassismus paart sich bei Compact dabei mit antisemitischen Verschwörungsideologien wie dem „Großen Austausch“, der hinter Migrationsbewegungen einen vermeintlich zerstörerischen Plan finsterer Geheimmächte fantasiert.
Neben der Abbildung eines Titelbildes einer „Compact-Spezial“ zum „Volksaustausch“ zitiert das BMI an einer weiteren Stelle aus dem Heft: „Sie importieren sich ein neues Volk und neue Wähler! […] Vor unseren Augen will die Ampel also ihre Herrschaft durch Masseneinbürgerung zementieren. Die ethnische Wahl war immer schon ein beliebtes Werkzeug von Diktatoren.“ An anderer Stelle im Heft heißt es demnach: „Aber wir können niemals zulassen, dass die Ansiedlung Fremder, also die Ersetzungsmigration oder der Volksaustausch, normalisiert und akzeptiert wird.“
Kaum getarnter Antisemitismus
Seitenweise zitiert die Verbotsverfügung krassesten Rassismus. Fast ebenso ausführlich belegt das BMI mit Textstellen aus den Compact-Heften den Antisemitismus verschiedenster Ausformung. In dem Schreiben heißt es dazu vom BMI: „Wie es bei diesen Formen von Antisemitismus häufig der Fall ist, treten sie auch bei Compact nicht immer offen, sondern – auch zur Stafvermeidung – teilweise in Form einer „Umwegkommunikation auf.“
Viele der angeführten Zitaten zeigen indes eine eher klassische Form des Antisemitismus. In Anlehnung an das antisemitische Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ wählte Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer etwa in dem Artikel „Endzeit – Der Netanjahu-Plan“ für eine Unterüberschrift die Formulierung: „Die Irren von Zion“.
In dem Artikel hebt er vor allem auf den Einfluss der jüdischen Gruppierung Chabad Lubawitsch ab, die weltweit organisiert sind und dem Chassidismus zugeordnet werden. Die Verbotsverfügung zitiert aus Elsässers Artikel: „Als Vollstrecker einer alttestamentarischen Vision ist Netanjahu zur Heilsfigur der Chabad Lubawitsch geworden – einer Endzeitsekte, die in den letzten 20 Jahren gezielt das weltweite Judentum unterwandert hat und der auch Israels Oberrabbiner nahesteht.“
Auch in anderen Stellen versteckt Elsässer in seinen Artikeln kaum, dass er mit seiner Hetze Jüdinnen und Juden meint. So heißt es in einem weiteren Zitat: „Die B'nai B'rith Loge soll heute führend sein, was ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft betrifft und nicht mehr die Freimaurer. Aber alles, was im Geheimen geschieht, kommt eines Tages ans Licht.“ B'nai B'rith ist eine der größten jüdischen Vereinigungen. Im 19 Jahrhundert wurde sie einst als geheime Loge in den USA gegründet, tritt aber heutzutage öffentlich auf.
Die Verbotsverfügung zeigt zudem Compact-Abbildungen von Kraken, einer Chiffre für eine vermeintlich jüdische Weltverschwörung, und führt an anderer Stelle Belege für Antisemitismus auf, die sich um eine „Hochfinanz“ drehen, welche angeblich die „Klimakleber“ fördere oder um eine „Geldmachtelite“, die laut Compact „ein Interesse daran hat, die ganze Welt ihrer Herrschaft zu unterwerfen.“
Bei Elsässer paar sich der Antisemitismus zudem mit Schuldabwehr. Der Compact-Chefredakteur schreibt laut Verbotsverfügung im Juni 2022 in einem Editorial seines Heftes. „Mit aller Gewalt will die BRD die masochistische These von der deutschen Alleinschuld am Holocaust verteidigen und ihre ukrainischen Kostgänger als unschuldige Opfer von Hitler darstellen.“
Abwägung mit der Pressefreiheit
Am Ende der Verbotsverfügung geht das BMI recht knapp noch auf Grundrechtsfragen ein. Maßstab sei in erster Linie die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Grundgesetz), aber auch die Pressefreiheit (Art. 5) sei zu berücksichtigen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme stellt das Ministerium nur fest, dass es keine gleich wirksamen milderen Mittel gebe.
Compact missbrauche seine Medienerzeugnisse, um verfassungsfeindliche Ziele zu verbreiten. Als Beleg zitiert das BMI Compact-Chefredakteur Elsässer, wie er sich im Juni 2023 vor MitarbeiterInnen und Sponsoren auf einer „Spendengala“ äußerte: „Wir wollen dieses Regime stürzen. Wir machen keine Zeitung, indem wir uns hinter den warmen Ofen oder den Computer verziehen und irgendwelche Texte wie eine Laubsägenarbeit auf den Markt bringen. Sondern das Ziel ist der Sturz des Regimes.“ In der Güterabwägung habe der Schutz des Staates und seiner Grundordnung deshalb Vorrang vor den Grundrechten des Verlages.
Außerdem könne sich Compact auch nicht auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) berufen, weil die von Compact verfolgte Ideologie mit den Grundwerten der Konvention nicht vereinbar sei: Antisemitismus und Minderheitenfeindlichkeit widerspreche dem Diskriminierungsverbot aus Artikel 14 der EMRK, was Compact daran hindere, sich auf die Vereinigungsfreiheit in Artikel 11 der Konvention zu berufen. Jedenfalls sei das Compact-Verbot zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer gerechtfertigt. Die EMRK gehe insoweit nicht über das Grundgesetz hinaus.
Compact hat kein Recht auf Umsturz
Die Compact Verlags GmbH kann gegen die Verbotsverfügung binnen eines Monats klagen. Erste und einzige Instanz ist das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig. Die Klage hat zwar keine aufschiebende Wirkung. Mit einem Eilantrag beim BVerwG kann aber die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt werden. Jürgen Elsässer hat einen derartigen Eilantrag bereits angekündigt.
Der Eilantrag hat nur Erfolg, wenn bei grober („summarischer“) Prüfung mit einem Erfolg der Klage in der Hauptsache zu rechnen ist. Bei einem Erfolg des Eilantrags könnte Compact sofort wieder veröffentlicht werden. Allerdings sind die Erfolgsaussichten einer Klage und deshalb auch eines Eilantrags nicht allzu groß.
Die Klage könnte zum einen argumentieren, dass ein Presseunternehmen nicht mit den Instrumenten des Vereinsgesetzes verboten werden kann. Das vertritt etwa der Jurist David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitssrechte (GFF). Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch bereits mehrfach entschieden, dass das Vereinsgesetz auch Organisationen erfasst, „deren Zweck in der Verbreitung von Nachrichten und Meinungsbeiträgen besteht“.
Außerdem könnte Compact argumentieren, dass ein Verbot des Verlags nicht erforderlich ist, um die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen. Doch wenn ein Medium selbst klar bekennt: „das Ziel ist der Sturz des Regimes“, dann wird eine grobe Prüfung wohl nicht ergeben, dass das Vereinsgesetz hier falsch angewandt wurde. Denn: Es gibt kein Recht auf Umsturz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften