Verbot von „Querdenken“-Demos: Keine Freiheit trotz Sommer
Das Verbot gegen die „Querdenken“-Demonstrationen hätte man sich sparen können. Denn die Anstecklungsgefahr beim sommerlichen Open-Air-Happening ist gering.

M it der Parole: „Stell Dir vor, es ist Corona und keiner macht mit“ hat am Wochenende die Querdenken-Szene in Berlin demonstriert. Zwar waren die meisten Demonstrationen verboten, doch die Verschwörungsgläubigen lieferten sich ein stundenlanges Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei. Die Verbote waren wohl unverhältnismäßig.
Natürlich sind die Verbote kein Beweis dafür, dass Deutschland eine faschistische Diktatur geworden ist, wie die Querdenkenden behaupten. Schließlich wurden nicht die Inhalte der Proteste verboten, sondern nur die Art der Kundgebung. Untersagt waren Geh- und Stehversammlungen, bei denen mit Verstößen gegen die Masken- und Abstandspflicht zu rechnen war. Mit Autokorsos durfte durchaus gegen die Coronapolitik protestiert werden.
Auch der Verweis auf den jüngsten CSD am vorvergangenen Samstag zieht nicht. Zwar war dort die Maskenpflicht auch großflächig missachtet und von der Polizei nicht durchgesetzt worden. Daraus folgt aber keineswegs, dass nun plötzlich alle Veranstalter:innen das Recht haben, die Coronavorgaben zu ignorieren. Vielmehr dürfte dies vor allem Probleme für die Organisator:innen des CSD nach sich ziehen, wenn sie beim nächsten Mal eine Veranstaltung anmelden.
Nichtsdestotrotz waren die Verbote der Querdenken-Veranstaltungen übereifrig, denn es geht hier um Versammlungen im Freien, wo Ansteckung recht unwahrscheinlich ist. Gleichzeitig sind die Inzidenzen sommerlich niedrig und die Hälfte der Bevölkerung ist bereits doppelt geimpft.
Die Gerichte sollten den Sommer stärker mit in Betracht ziehen. Das Versammlungsrecht ist ein zentrales Recht der Demokratie, das gerade für kleine abgelehnte Minderheiten von enormer Bedeutung ist. Zumindest im Sommer sollte hier auf Auflagen verzichtet werden, die nicht unbedingt erforderlich sind. Ganz pragmatisch betrachtet haben die Versuche der Polizei, das Verbot durchzusetzen, die Bilanz der Coronaprävention unter dem Strich auch nicht verbessert.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen