Verbot von Prostitution: Linkspartei streitet über Sexarbeit
Schon 2016 gegründet, startet ein Parteinetzwerk in der Linken ausgerechnet jetzt einen neuen Anlauf: Es will eine „Welt ohne Prostitution“.
Deutschland sei „zum Bordell Europas“ geworden, begründen die Organisator:innen ihren aktuellen Vorstoß. Die Unterstützung für das sogenannte nordische Modell, das den Kauf von Sex verbietet, sei in der Gesellschaft und der Partei aber weiter gewachsen. 60 Erstunterzeichner:nnen des neuerlichen Aufrufs, darunter die Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel und Sylvia Gabelmann, sind sich einig: Die „Institution der Prostitution“ sei mit der Menschenwürde unvereinbar.
Bordelle und Zuhälterei müssten verboten werden, es brauche ein Sexkaufverbot nach nordischem Modell. Da Freier sexualisierte Gewalt ausüben, seien gegen sie Bußgelder und Gefängnisstrafen zu verhängen. Eine neue Unterschriftensammlung hat das Netzwerk bereits begonnen.
„Es ist eine Unverschämtheit, diesen Aufruf ausgerechnet jetzt zu starten – während Corona und in einer Situation, in der die Menschen in der Sexarbeit ohnehin nicht wissen, was tun“, sagte Frank Laubenburg, Bundessprecher der BAG Queerpolitik in der Linkspartei, die rund 1.000 Mitglieder vertritt, der taz. „Nordisches Modell“ klinge für Fachfremde oft erst einmal fortschrittlich, weil es die Freier bestraft, aber nicht die Sexarbeiter:innen, vermutet Laubenburg. „Doch das Modell fußt auf der Lüge, dass es ein Sexkaufverbot ohne Repressionen gegen die Menschen in der Sexarbeit geben könnte.“
Ein Sexkaufverbot schadet Menschen in der Sexarbeit
Kritiker:innen des Nordischen Modells wie die Deutsche Aidshilfe, die Caritas oder die Diakonie führen an, dass ein Sexkaufverbot die Situation von Sexarbeitenden verschlechtert. Sobald Strukturen in die Illegalität verlagert werden, gibt es weniger Schutz vor sexuellen Krankheiten und Gewalt, weniger Rechte, mehr Stigma. Sex werde auch dann gekauft, wenn er verboten ist – aber im Untergrund.
Einen Beschluss der Linkspartei zum Thema gibt es nicht. Zwar fürchtet Laubenburg, dass das Netzwerk „für eine Welt ohne Prostitution“ diesmal mehr Stimmen in der Partei bekommen könnte als 2016. Doch ein Antrag der Gruppe beim Parteitag Ende Oktober sei nicht in Sicht – aus guten Gründen: Beschlüsse in der Fraktion oder der Partei für ein Sexkaufverbot werde es nicht geben. Das sieht auch Cornelia Möhring so, die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion: „Ich bin da ganz gelassen“, sagte sie. Zwar werde die Diskussion möglicherweise an Fahrt gewinnen. „Doch ein Sexkaufverbot ist weder in der Partei noch in der Fraktion mehrheitsfähig.“
Demgegenüber will Laubenburg die Gegenposition stärken: „Wir werden vorschlagen, dass eine klare Position ins Bundestagswahlprogramm kommt, die die Rechte von Sexarbeitenden stärkt“, sagte er. Diese Debatte werde aber erst im Hinblick auf 2021 geführt.
Das abolitionistische Netzwerk in der Linkspartei bewegt sich im Fahrwasser eines seit mehr als einem Jahr schwelenden Streits um das Nordische Modell in der deutschen Politik. Zunächst mehrten sich in der SPD Stimmen für ein Sexkaufverbot, vorangetrieben unter anderem von der erklärten Prostitutionsgegnerin Leni Breymaier, zudem der Europaabgeordneten und Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Maria Noichl. Auch der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprang auf. Zusammen mit dem CDU-Abgeordneten Frank Heinrich rief Breymaier zudem einen fraktionsübergreifenden Parlamentskreis zum Thema ins Leben.
Zuletzt veröffentlichten 16 Bundestagsabgeordnete von SPD und Union ein Papier, in dem sie den MinisterpräsidentInnen der Länder „herzlich danken“, Bordelle in der Corona-Krise bislang nicht wieder geöffnet zu haben: Prostitution habe die Wirkung eines „Super-Spreaders“, schreiben die Abgeordneten, ohne Belege anzuführen. Sie fordern, ein Verbot von Prostitutionsbetrieben auch nach Corona aufrecht zu erhalten und das Nordische Modell einzuführen. Doch zumindest bislang ist die Position, den Kauf von Sex zu verbieten, in keiner deutschen Partei Beschluss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW