Untersuchungsausschuss Walter Lübcke: Gleich vier Abschlussberichte

Die hessische Koalition legt einen eigenen Bericht über den Mordfall Lübcke vor. Der ist 500 Seiten stark – und räumt Fehler der Behörden ein.

Walter Lübcke hob die Hand und schaute offen in die kamera

Walter Lübcke wurde im Juni 2019 auf seiner Veranda ermordet, hier ein Archivbild von 2017 Foto: Hartenfelser/imago

WIESBADEN taz | Geschockt von dem Mord an ihrem ehemaligen Landtagskollegen, dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) durch einen rechtsextremistischen Gewalttäter, hatten die demokratischen Fraktionen des Hessischen Landtags eigentlich ein gemeinsames Signal gegen rechte Gewalt versprochen. An diesem Mittwoch, nach drei Jahren Arbeit, diskutiert der Hessische Landtag die Bilanz des Untersuchungsausschusses.

Grundlage sind allerdings gleich vier unterschiedliche Abschlussberichte. Statt mit einem gemeinsamen Zeichen gegen die rechte Gefahr endet auch dieser parlamentarische Untersuchungsausschuss im parteipolitischen Streit.

Als offizielle Bilanz haben die Regierungsparteien CDU und Grüne ihren eigenen Bericht durchgesetzt. Immerhin räumen sie Fehler der Behörden ein. Der einschlägig wegen Gewaltverbrechen vorbestrafte Lübcke-Mörder, Stephan Ernst, und sein Waffenlieferant, Markus H., waren vor der Tat vom Radar von Verfassungsschutz und Polizei verschwunden, angeblich, weil Ernst als „abgekühlt“ galt.

500 Seiten mit Fehlern, ohne Namen

Noch 2009 hatte der damalige Präsident des hessischen Verfassungsschutzes, Alexander Eisvogel, auf Ernsts Akte handschriftlich vermerkt: „ein ‚brandgefährlicher Mann‘ – Wie militant ist er aktuell?“ Doch die Frage blieb bis zum Mord an Walter Lübcke unbeantwortet. Zeitnah zu der Notiz wurde die Akte für den internen Gebrauch gelöscht und später gesperrt.

CDU und Grüne stellen dazu fest: „Die Gefährlichkeit von Stephan Ernst steht rückblickend außer Frage. Somit war die Entscheidung, ihn nicht weiter zu beobachten, aus heutiger Sicht fehlerhaft.“ Und weiter: „Die Sperrung der Personenakte von Stephan Ernst 2015 erscheint rückblickend als nicht sachgerecht.“ Auch dass der wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Rechtsextremist legal Waffen besitzen durfte, wird gerügt: „Es hätte nichts unversucht bleiben dürfen, um Markus H. als ein im Landesamt geführter Rechtsextremist den Zugang zu legalen Waffen zu verwehren“.

In den 500 Seiten, die CDU und Grüne vorlegen, werden Fehler benannt, aber nicht die Namen der Verantwortlichen. In ihrem Minderheitenvotum sprechen die Linken von eklatantem Behördenversagen und machen Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), den Dienstherrn von Landesverfassungsschutz und Polizei, verantwortlich. Über 250 Seiten dokumentiert die Linke den laschen Umgang von Justiz, Polizei und Verfassungsschutz mit der starken und gewaltbereiten Neonaziszene in Nordhessen. Mehrfach habe es fatale Fehler und Fehleinschätzungen gegeben.

Sohn: Mord hätte verhindert werden können

Die Radikalisierung des späteren Mörders von Walter Lübcke hatte nach dessen Rede in Lohfelden im Oktober 2015 Fahrt aufgenommen. Der Regierungspräsident hatte die menschenfreundliche Asylpolitik der Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel verteidigt und dafür Morddrohungen erhalten.

Stephan Ernst hatte das Video von Lübckes Rede ins Netz gestellt, mitsamt den eigenen Zwischenrufen. Wären Polizei und Verfassungsschutz den Drohungen konsequent nachgegangen, wären sie vielleicht auf den angeblich „abgekühlten“ Ernst aufmerksam geworden, so die Lesart der Linken. Stattdessen habe es ein „bleiernes Schweigen von Teilen der CDU“ zu diesen gefährlichen Drohungen gegen ihren Parteifreund gegeben, so Linken-Obmann Torsten Felste­hausen. Die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach habe diese Kampagne sogar noch verstärkt. Sein Fazit: „Dieser Mord hätte nicht geschehen müssen!“

Zum Beleg zitiert er Christoph Lübcke, den Sohn des Ermordeten: „Mit 100-prozentiger Sicherheit kann man das nicht wissen. Ich bin allerdings überzeugt, dass sein Tod hätte verhindert werden können. Wenn man damals dem Rechtsextremismus genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet hätte wie etwa dem islamistischen Terror. Aber der Staat war auf dem rechten Auge blind“, so der Sohn des Opfers.

SPD und FDP kommen in ihrem Minderheitenvotum nicht zu einem ähnlich lautenden Urteil, sondern folgen eher der Argumentation des Mehrheitsberichts von CDU und Grünen. Sie kritisieren allerdings, dass die hessische Landesregierung früh die Suche nach einem gemeinsamen Abschlussbericht sabotiert habe.

Noch bevor der offiziell gewählte Berichterstatter Gerald Kummer, SPD, seinen Entwurf vorgelegt hatte, hätten CDU und Grüne mit einen eigenen Bericht begonnen, so SPD-Fraktionschef Günter Rudolph: „Es war das erste Mal, dass die Berichterstattung von einem Abgeordneten der Opposition kommen sollte. Deswegen ist eine ziemliche Unverschämtheit, so zu verfahren. Leider haben die Grünen dieses unwürdige Spiel mitgemacht“, so Rudolph.

Der Obmann der FDP, Matthias Büger, spricht sogar von Stillosigkeit: „Der Bericht des offiziellen Berichterstatters begann mit einem Zitat Walter Lübckes – mit jenem Zitat, mit dem Lübcke gegenüber seinem späteren Mörder seine klare Haltung demonstriert hat. Dieses Zitat wurde im schwarz-grünen Bericht durch eine Aussage Volker Bouffiers ersetzt.“ Walter Lübcke zu streichen und dafür die Landesregierung zu Wort kommen zu lassen, ist ein Tiefpunkt, so der FDP-Abgeordnete.

Das Verfahren sei „nicht optimal gelaufen“, räumt Grünen-Obfrau Eva Goldbach auf Anfrage ein und fügt hinzu: „Entscheidend sind jetzt aber die Inhalte und Ergebnisse des Untersuchungsausschusses. Hier gibt es sehr große Übereinstimmungen.“

Auf die wiederholte Frage der taz, weshalb die Regierungsparteien trotz „großer Übereinstimmung“ den offiziellen Berichterstatter übergehen mussten, bleibt sie, wie auch ihr Koalitionspartner CDU, eine Antwort schuldig.

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