Unabhängigkeitstag in Polen: „Wir müssen kämpfen!“
PiS-Chef Kaczyński will den Machtwechsel nach den verlorenen Wahlen verhindern. Ein Nationalistenmarsch lief am Samstag durch Warschau.
„Ich dachte, das ist ein Solidaritätsmarsch für die Ukraine, also gegen Wladimir Putin und die russische Aggression gegen die Ukraine“, sagt sie, dreht sich langsam um ihre Achse und deutet auf ein PolExít-Transparent der rechtsextremen Partei Konföderation. Davor trampeln ein paar Männer auf einer EU-Fahne herum und lachen dazu dreckig. „Aber das ist ja widerlich! Da mache ich nicht mit! Nigdy! – Niemals!“, schüttelt sie sich, macht kehrt und sagt leise hoffend: „Irgendwo in Warschau gibt es sicher auch eine schöne Feier!“
Jedes Jahr am 11. November erinnert ganz Polen an das Ende des Ersten Weltkriegs, mit dem die Republik Polen nach 123 Jahren der Unfreiheit ihre staatliche Unabhängigkeit wiedererlangt hatte. Russland, Preußen und Österreich-Ungarn hatten das politisch und militärisch schwache Königreich Polen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 so lange unter sich aufgeteilt, bis das Nachbarland von der Landkarte Europas verschwunden war. Während die drei Teilungen Polens in der europäischen Erinnerung kaum noch eine Rolle spielen, wirkt in Polen selbst das Trauma der über 120-jährigen Besatzung bis heute nach, zumal 1939 erneut das Deutsche Reich, Österreich und die Sowjetunion Polen überfallen und entlang der Demarkationslinie des Hitler-Stalin-Pakts unter sich aufgeteilt hatten.
Kaczyński: die Dreierkoalition eine „deutsche Partei“
Nationalpopulisten wie Jarosław Kaczyński von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatten in der Vergangenheit immer wieder die Angst vor einem erneuten Verlust der Unabhängigkeit Polens geschürt. Obwohl die PiS die Parlamentswahlen am 16. Oktober verloren hat, kann sich ihr Parteivorsitzende Kaczyński auch nach knapp einem Monat noch nicht mit der politischen Niederlage abfinden. „Wir müssen kämpfen, kämpfen und nochmals kämpfen“, hetzte der 74-Jährige am Vorabend des polnischen Unabhängigkeitstages vor dem weiß-rot angestrahlten Piłsudski-Denkmal in Warschau. Denn Polen werde durch einen „deutschen Plan“ und die Europäische Union existenziell bedroht. „Die Umsetzung dieses Plans durch die EU würde nicht nur zum Verlust unserer Unabhängigkeit und Souveränität führen, sondern sogar zur Vernichtung des polnischen Staates!“, prophezeite Kaczyński düster. „Wir würden zu einem von Polen bewohnten, aber von außen regierten Gebiet werden.“
Der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments habe diesem Plan bereits zugestimmt. Während die Umstehenden den Atem anhielten, wetterte Kaczyński weiter: „Wir wollen nicht den Deutschen unterworfen sein.“ Das sei der Plan, der im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung enthalten sei und von Kanzler Scholz als Streben nach deutscher Hegemonie in Europa verkauft werde. „Wir dürfen nicht die Generation sein, die kapituliert. Auf uns wartet ein harter Kampf, denn diejenigen, die jetzt in Polen die Macht übernehmen wollen und gerade eine Vereinbarung unterschrieben haben, werden mit aller Sicherheit danach streben, diesen Plan zu realisieren.“
An der Spitze dieser Koalition stehe nämlich keine „polnische Partei, sondern eine deutsche“, wiederholte Kaczyński seine Verleumdung der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) mit Donald Tusk an der Spitze. Seit Jahren behauptet der Nationalpopulist, dass Tusk, die KO und alle ihre Wähler in Wahrheit keine Polen seien, sondern Landesverräter, die sich dem „deutschen Herren“ andienten. „Wir müssen den Kampf gewinnen, und wir können ihn gewinnen“, so Kaczyński weiter. „Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität stehen an der Spitze der politischen Werte. Wir müssen sie um jeden Preis verteidigen!“ Seine Anhänger skandierten: „Wir danken Dir!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich