Überwachung von Letzter Generation: Monatelang mitgelauscht
Über eine lange Zeit haben bayerische Ermittler Telefone der „Letzten Generation“ angezapft und E-Mails mitgelesen. Mitglieder der Gruppe reagieren empört.
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Die Süddeutsche Zeitung hatte zuvor von den Maßnahmen der bayerischen Ermittlungsbehörden berichtet. Diese hätten auch Genehmigungen eingeholt, um die Standortdaten von Handys zu ermitteln, Mailboxen von Aktivisten abzuhören und deren E-Mails „in Echtzeit“ mitzulesen. Betroffen war demnach auch ein Festnetzanschluss mit Berliner Vorwahl, den die Letzte Generation als ihr offizielles Pressetelefon ausgibt.
Die Letzte Generation erklärte in der Mitteilung, ob die Überwachung noch anhalte, sei unklar. Ungeachtet des Vorgehens gegen die Bewegung werde die Gruppe „ihren Protest auch in der nächsten Woche in ganz Deutschland auf die Straße tragen“.
Bayerns Regierung weist Kritik zurück
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hat Kritik an der umstrittenen Durchsuchungsaktion bei Umweltaktivisten der Letzten Generation zurückgewiesen. Im Innenausschuss des bayerischen Landtags widersprach er am Mittwoch insbesondere Spekulationen und Mutmaßungen, die CSU-geführte Staatsregierung habe die Aktion aktiv vorangetrieben, um bewusst ein Zeichen zu setzen.
„Das Ministerium hat zu den Ermittlungen keine Weisungen erteilt und auch sonst keinen Einfluss auf die Ermittlungen genommen“, betonte er. Eisenreich räumte aber ein, dass ein Warnhinweis der Behörden auf einer beschlagnahmten Internetseite zunächst fehlerhaft gewesen sei.
Ende Mai hatten rund 170 Beamte bei einer Razzia gegen die Letzte Generation Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern durchsucht, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Die Aktivisten bestreiten, kriminell zu sein, obwohl mehrere Mitglieder der Gruppe wegen Straftaten verurteilt wurden, teils zu Haftstrafen. Die Razzia wurde von vielen Seiten als übertrieben kritisiert. Die Gruppe selbst beklagte unter anderem, ihre Mitglieder fühlten sich wie „Schwerverbrecher behandelt“. Von vielen anderen Seiten wurde die Durchsuchungsaktion aber auch verteidigt.
Kieler Landesregierung kündigt mehr Härte an
Unterdessen hat die schleswig-holsteinische Landesregierung erklärt, dass die Polizei bei Straftaten von radikalen Klimaschützern in Schleswig-Holstein künftig konsequenter vorgehen werde. „Es ist vorgesehen, dass die Aktionen der sogenannten Letzten Generation polizeilich konzentriert und dadurch beschleunigt bearbeitet werden“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Donnerstag bei einem Besuch auf Sylt. Der Staatsschutz werde bei Straftaten künftig zentralisiert ermitteln.
Auf der Nordseeinsel traf sich die Ministerin mit Vertreterinnen und Vertretern von Polizei, Verwaltung und Politik. Dort hatten Mitglieder der Gruppe ein Privatflugzeug, eine Hotelbar und die Fassade eines Geschäfts mit Farbe besprüht.
Seit Februar registrierte die Polizei insgesamt 17 Protestaktionen der Gruppe in Schleswig-Holstein. „Die relevanten Straftaten waren Nötigung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Luftsicherheitsgesetz“, wie ein Sprecher des Landespolizeiamts der sagte.
„Mittlerweile haben die Aktionen auf Sylt und in Neustadt in Holstein eine neue Qualität erreicht“, sagte Sütterlin-Waack. Der Rechtsstaat müsse alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung ausschöpfen. „Die Meinungsfreiheit ist ein unverzichtbares Gut.“ Der Staat müsse aber auch dafür sorgen, dass Recht und Gesetz eingehalten werden. „Das sind wir allen Menschen schuldig, die sich an die Regeln in unserem Land halten.“
Sütterlin-Waack kündigte an, dass die Polizeipräsenz nach den jüngsten Vorkommnissen auf Sylt erhöht werden soll. Die Polizei passt zudem ihre Handlungsanweisung zum Umgang mit Festklebeaktionen an. „Darüber hinaus bereitet sich Schleswig-Holstein konkret darauf vor, in geeigneten Fällen bei den zuständigen Gerichten den Antrag zu stellen, Aktivistinnen und Aktivisten zur Verhinderung weiterer Straftaten in Präventivgewahrsam zu nehmen“, sagte die Juristin. Die Voraussetzungen dafür seien aber hoch. „Gleichwohl hat der Staat die Pflicht, alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Gefahrenabwehr zu prüfen und selbstverständlich – soweit rechtlich zulässig – auch einzusetzen.“
Zuvor hatte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) bereits eine härtere Gangart angekündigt. „Bei der Letzten Generation handelt es sich um Kriminelle, die mit ihren Straftaten längst alle Grenzen überschritten haben“, sagte Günther. „Das Maß ist voll. Wir werden in Schleswig-Holstein jetzt alle Möglichkeiten ausschöpfen, die der Rechtsstaat bietet, um ihren Machenschaften das Handwerk zu legen.“
Am Dienstag hatte die Gruppe in Neustadt in Holstein eine Jacht mit Farbe besprüht. Außerdem wurde das Wasser im Jachthafen nach Polizeiangaben mit einem Farbstoff grün eingefärbt. Mit ihren Aktionen will die Letzte Generation nach eigenen Angaben darauf aufmerksam machen, dass reiche Menschen mit ihrem Lebensstil deutlich mehr Kohlendioxid produzieren als Normalbürger.
Unterstützung für den Kurs signalisierte am Donnerstag auch der Koalitionspartner. „Die Aktionen auf Sylt und in Neustadt in Holstein haben weder mit zivilem Ungehorsam noch der Meinungsfreiheit oder dem Versammlungsrecht etwas zu tun“, sagte der Grünen-Innenpolitiker Jan Kürschner. Die jüngsten Aktionen seien Straftaten und müssten konsequent verfolgt werden. „Die Straftaten werden auch nicht dazu führen, dass mehr Menschen für den Klimaschutz eintreten werden.“ Statt über Klimaschutz zu diskutieren, werde seit Monaten über die Aktionsformen der Letzten Generation gesprochen. „Damit konterkarieren sie ihre eigenen Ziele.“ Die Polizei im Norden habe bislang besonnen und konsequent auf Aktionen reagiert.
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