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US-Sanktionen gegen HateAidVon wegen selbstständig

Kommentar von

Svenja Bergt

US-Einreiseverbote für Personen, welche die USA in Sachen digitaler Regeln bedrohen? Für Europa muss das Anlass sein, digital unabhängig zu werden.

Europa ist in den Fesseln der digitalen Macht der USA gefangen Foto: Rodobot/plainpicture

I mmerhin das Timing passt: Da wachsen in Europa langsam die Bestrebungen nach mehr digitaler Unabhängigkeit von den USA. Es werden Allianzen geschmiedet, Investitionen vermeldet und Staats­che­f:in­nen beschwören zumindest rhetorisch die Wichtigkeit digitaler Souveränität.

Und mitten in diese Gemengelage erklärte die US-Regierung vergangene Woche Einreiseverbote für mehrere Personen, die den ungebremsten Einfluss der USA in Sachen digitaler Regeln bedrohen: unter anderem die beiden Geschäftsführerinnen der deutschen Organisation HateAid, Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon, den ehemaligen EU-Kommissar Thierry Breton und die Geschäftsführerin des britischen Global Disinformation Index, Clare Melford.

Die Begründung der US-Regierung ist aus europäischer Sicht ziemlich abstrus: Das US-Außenministerium stufte die Sanktionierten als „radikale Aktivisten“ ein. Der Vorwurf: Zensur. Dabei macht beispielsweise HateAid nur, was in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte: geltenden Gesetzen zur Umsetzung verhelfen.

Beschützer der Meinungsfreiheit

Schlimm genug, dass es dafür zivilgesellschaftliche Organisationen braucht, weil die Hürden für Betroffene, ihre Rechte alleine durchzusetzen und sich etwa gegen unzumutbare Beleidigungen oder Morddrohungen zu wehren, zu hoch sind – und weil der Staat seinerseits völlig überfordert damit wäre, die Regeln durchzusetzen.

Mit ihrem Einsatz sind Organisationen wie HateAid also keine Gegner der Meinungsfreiheit, sondern im Gegenteil ihre Beschützer: Weil sie daran arbeiten, überhaupt eine Diskussionskultur zu schaffen, in der Menschen frei ihre Meinung äußern können – ohne Angst, dafür von einem wütenden digitalen Mob mit dem Tod bedroht zu werden. Umso erschreckender, dass die Forderung nach weniger Rechtsdurchsetzung in dieser Sache auch in rechten Kreisen in Deutschland anschlussfähig ist.

Die HateAid-Geschäftsführerinnen befürchten, dass die Einreiseverbote erst der Anfang sind. Und ihre Sorge vor weiteren Einschränkungen ist begründet. So berichtete einer der Richter des Internationalen Strafgerichtshofs, die nach einer Entscheidung gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant mit Sanktionen belegt wurden, gegenüber der französischen Zeitung Le Monde von den Konsequenzen: Ein digitales Leben, wie es für viele Menschen üblich sei, habe er nicht mehr. Seine Konten bei US-Plattformen wie Amazon oder Airbnb seien geschlossen worden. Auch seine Zahlungsmöglichkeiten seien stark eingeschränkt. Visa, Mastercard, American Express, Paypal – alles US-Unternehmen. Online einzukaufen sei praktisch unmöglich.

Kein Argument für das analoge Leben

Und die Abhängigkeiten gehen noch weiter: In Zeiten, in denen auch europäische Banken für die digitale Kontoführung Apps verlangen, die nur über Google oder Apple zu beziehen sind, wäre der Verlust des Zugriffs auf den jeweiligen App-Store oft genug der Verlust des Zugriffs auf das Bankkonto.

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Das mag klingen wie ein Detail und wie ein Argument fürs möglichst analoges Leben. Aber genau das sollte es nicht sein. Sondern ein Argument dafür, solche völlig überflüssigen und schnell zu lösenden Abhängigkeiten sofort abzustellen. Denn während es etwa bei der Software, die Behörden nutzen, oder beim Bau von Rechenzentren ein paar Jahre dauert, bis Ergebnisse da sind, könnten Banken oder auch Institutionen wie die Deutsche Bahn sowie staatliche Stellen ihre Apps kurzfristig selbst bereitstellen.

Klar, das ist nur ein Baustein. Doch dass Trump auf drastischem Wege zeigt, wie groß die über Jahrzehnte gewachsenen Abhängigkeiten sind, ist für Europa schlecht und gut zugleich. Zumindest dann, wenn das Streben nach mehr digitaler Selbstständigkeit mehr ist als schön klingende Gipfelreden.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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17 Kommentare

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  • Unabhängigkeit etwas weiter gedacht, hieß auch, von ostasiatischer Hardware, Chips, Prozessoren, ... unabhängig zu werden.



    Und noch weiter gedacht träume ich von selbständigen Staaten, die autark leben können und nur in begrenztem Rahmen Waren und Dienstleistungen austauschen, damit keine Abhängigkeiten und Machtgefälle entstehen. Lauter Staaten mit 3-5 Millionen Menschen und die Bodenschätze und großen Wälder und die Meere im internationalen Eigentum.



    Autark hieße dann v. a. Lebensmittel selbst herstellen zu können, Ernährungssouveränität, nachhaltiges Saatgut, die wichtigsten Technologien wie dichte dämmende Fenster, Gebäude, dichte Dächer, Computer, Fahrräder, elektrische und thermische Vernetzung usw. und auch Chips und Software in jedem Land selber herstellen.



    Nur: kaum durchsetzbar. Nicht nur die Autokrat*innen, auch die neoliberalen Freihandels-Leute stehen dem im Weg. Und alle, die große Macht verlieren würden.

  • Und mitten in dieser Gemengelage schliesst Bayern ohne Ausschreibung einen Rahmenvertrag zum Einsatz der Predictive Policing Software Palantir Gotham, um es in Bayern als VeRA (Verfahrensübergreifendes Recherche- und Analysesystem)



    für Polizeibehörden einzusetzen.

    EU-Politiker, Bundesminister und Behördenvertreter posten Verlautbarungen an ihr Volk nach wie vor immer noch über facebook, X und Co. anstatt sich endlich konsequent von diesen Plattformen zu verabschieden.

    Finde die Fehler!

    weact.campact.de/p...dlich-runter-von-x

  • Wirtschaftssanktionen gegen Einzelpersonen sind kein neues Phänomen. Gerade im Zusammenhang mit dem Ukraine/Russland-Krieg wurden häufig Sanktionen gegen Personen verhängt. Sogar gegen Schröder gab es "Soft-Sanktionen" (Entzug von Privilegien).

    Die Kernfrage hier lautet: wann darf man rechtlich und auch moralisch jemanden sanktionieren können? Die US-Regierung legt m.E. aus politischen Motiven zu strenge Maßstäbe an. Einschränkungen der Meinungsfreiheit werden ja auch nicht in vielen anderen Staaten nicht sanktioniert.



    Partner (USA-EU) sollten eine gemeinsame Lösung finden. Hier scheint sich aber ein Grabenkampf zwischen den USA und der EU zu entwickeln. Dumm dabei ist, das die EU dabei schlechte Karten hat.

    Sich in diesem Zusammenhang von den USA unabhängig zu machen, halte ich für extrem schwierig, genauso wie bspw. eine Unabhängigkeit von China.



    Also Ball flach halten und weiter miteinander reden. Und vor allen Dingen gemeinsame Lösungen finden. Auch wenn es schwierig ist.

  • Kritisch betrachten muss man die fragwürdige Rechtssituation, die der DSA geschaffen hat. Damit sind Graubereiche entstanden, die die Meinungsfreiheit de facto unterdrücken können. Die komplette rechtliche Abwicklung gehört in die hoheitlichen Hände des Staates.

    "...weil der Staat seinerseits völlig überfordert damit wäre, die Regeln durchzusetzen."

    Diese Aussage ist falsch. Der Staat hat deutlich mehr Möglichkeiten als eine NGO, der Staat muss es nur wollen.

    Unabhängig davon halte ich es für positiv, dass es Organisationen wie HateAid gibt, die Menschen beraten und unterstützen.

  • Es gibt auf der Welt eigentlich nur einen grossen Wirtschaftsraum, der technologisch von den USA unabhängig ist: China.



    Die Chinesen haben für Zahlungssysteme, Apps, Software etc. eigene Alternativen, die funktionieren.

    • @T-Rom:

      Könnten Sie bitte mal anhand einer seriösen Quelle nachvollziehbar belegen, welches Betriebssystem den chinesischen PC-Markt dominiert??

  • Diskussion über die Einführung von Linux auf Computern der öffentlichen Verwaltung gibt es schon lange. Mit Munix in München waren wir auch schon mal weiter.



    Gründe:



    Bequemlichkeit der Beamten, Widerstand der Personalräte, Softwareschmieden, die nur für ein Betriebssystem entwickeln. Erhebliche Souveränität der Länder und Gemeinden, eigenmächtig über Software zu entscheiden...



    Mag sein, dass Windows tatsächlich immer noch besser ist als Linux. Oder dass es für viele Anwender und Superuser einfacher zu bedienen ist.



    Vielleicht war es auch Vasallentreue deutscher Politiker gegenüber den USA, die noch fest an die transatlantische Partnerschaft glauben? Oder wirklich geschickter Lobbyismus?

    • @Christoph Strebel:

      Es fängt in den Schulen an.



      Die Kinder bekommen Windows als einzig mögliches Betriebssystem vorgesetzt, obwohl Schulen dafür ein Budget hinlegen müssen, das auch für einen eigens dafür spezialisierten Administrator reichen würde.



      Aber weil Software und Angestellte aus verschiedenen Töpfen bezahlt werden, hat die einzelne Schule keine Wahl und muss die Software nehmen, mit der der Lehrer, der in seiner Freizeit auch den Admin spielt, am einfachsten zurecht kommt.

      • @Herma Huhn:

        Es mag sein, dass das an ihrer Schule so ist. In Bremen (ausschließlich) und in Niedersachsen (nahezu ausschließlich) gibt es an Schulen nur noch iPads und die komplette Bindung ans Apple Ökosystem. Da ist die Auswahl bei Microsoft aber noch um Welten größer, da es sich nur um das Betriebssystem handelt aber ansonsten Produkte andere Hersteller genutzt werden können.

  • Dann aber konsequent: Ein Großteil der geplanten Terroranschläge in Deutschland kann nur durch rechtzeitige Warnungen von US-Geheimdiensten aufgedeckt werden.

    Dienste, die aufgrund viel weitreichenderer Befugnissen und mehr Ressourcen so effektiv sind.

    Mehr europäische und deutsche Souveränität muss dann auch bedeuten, nicht mehr so abhängig zu sein von US-Geheimdiensten. Dazu müsste ein massiver Ausbau von BND, MAD, BfV & Co. nötig sein.

  • Digitale Unabhängigkeit ist eine Illusion.



    Die deutsche Verwaltung und Politik haben schon vor zwanzig Jahren diesen Zug verpasst und haben sich einwickeln lassen.

    Das Prinzip ist immer das Selbe: Wenn irgendwo über Alternativen diskutiert wird, machen die amerikanischen Supertechkonzerne ein unschlagbares Angebot - weit, weit unter dem Marktpreis.



    Solbald der Vertrag in trockenen Tüchern ist wird über Wartung und Updates fett Kasse gemacht.

  • "Visa, Mastercard, American Express, Paypal – alles US-Unternehmen. Online einzukaufen sei praktisch unmöglich." Gut das es schon europäische Alternativen gibt.



    Mit einer Umleitung der Datenübermittlung zum Apfel und zu Ändru wissen die auch nicht mehr wer die Daten geschickt hat. nur die Daten weiterhin beim Apfel und Ändru abzuspeichern ist halt mega oldschool und dumm. Dafür gibt es bereits sicherre und leistungsfähige Serverfarmen in unserem Land ohne das über das Seekabel die amerikanischen Trumpfreundlichen Datenlauscher NSA Zugriff haben.



    Es gibt schon eine Menge von europäischen Alternativen zu den amerikanischen Techfirmenangeboten. Meißt wird der Umstieg nicht vollzogen, weil das natürlich digitale Arbeit bedeutet.



    Ich kann es nur empfehlen.



    Wer seine Daten den rechtsradikalen wie Musk, Pesos, Zuckerberg und Levchin, Peter Thiel, Nosek, usw. noch immer zur Verfügung stellt, möchte sich bitte nicht wundern, wenn zukünftig noch mehr Druck auf Europa versucht wird auszuüben.

    • @Sonnenhaus:

      Sie beginnen mit der Aufzählung der Zahlungsvarianten.



      Welche wirklich europäische Alternative gibt es denn?



      Also jetzt außer der Filialbank zu der ich persönlich hingehen muss, um eine Überweisung zu tätigen?



      Zu behaupten, es gäbe genug Alternativen, ohne diese zu nennen, ist überheblich und ohne Informationswert.

  • Anna-Lena von Hodenberg hat für ihren Einsatz gegen digitale Gewalt das Bundesverdienstkreuz bekommen und vom Kanzler kommt nix. Erbärmlich!

    • @Andreas J:

      Zur IT-Kompetenz der Kanzlerpartei kann Lilith Wittmann sachlich fundierte Auskünfte erteilen ;-)

    • @Andreas J:

      Der Kanzler muss ja leider die nächsten Jahre zwingend auch noch mit Trump möglichst gut klarkommen.

      Überhaupt wäre es schön wenn sich langsam die Erkenntnis durchsetzen würde, daß die CDU immerhin auf der demokratischen Seite steht und damit bei den herrschenden politischen Verhältnissen ganz eindeutig auf der richtigen.