Linke und SocialMedia: Dürfen Linke Twitter nutzen?

Musk kauft Twitter und die Benutzer fliehen. Das hätten sie längst tun sollen – auch von Facebook: hin zu nichtkommerziellen Alternativen.

Tierfiguren, die verschiedene Plattformen des Fediverse repräsentieren, verlassen den Planeten der kommerziellen Internet-Plattformen

Der Trend geht weg vom Planeten der kommerziellen Plattformen Foto: CC-BY David Revoy

Nun hat es auch die Twitter-Benutzer ereilt: Die Gesetze der Marktwirtschaft sind in Form des reichen und mächtigen, aber mit bescheidener sozialer Kompetenz ausgestatteten Elon Musk in die sozialen Netzwerke eingeschlagen. Der hat Twitter gekauft und aus Angst vor seinen Reformen suchen Twitter-User nun verzweifelt nach Fluchtwegen.

In den vergangenen Wochen wurde viel darüber geredet und geschrieben, was kein Wunder ist, da Journalisten eine der größeren Benutzergruppen der in Deutschland eher kleinen Plattform Twitter sind. Da werden dann als Alternativen gern auch andere kommerzielle Plattformen oder einfach auch die Kneipe nebenan vorgeschlagen.

Aktivisten des Datenschutzes und der digitalen Selbstbestimmung lächeln müde angesichts dieses blinden Aktionismus. Jeder Facebook-Skandal war bisher von Fluchtreflexen begleitet, die aber nach ein paar Monaten wieder verebbten, wenn es den Flüchtigen nicht gelang, ihre Peergroup mitzuziehen. Gleichzeitig ist die Hoffnung groß, dass diesmal etwas hängen bleibt und es scheint tatsächlich so, dass die Völkerwanderungen von Skandal zu Skandal stärker und nachhaltiger werden.

Die Einsicht in den Kern des Problems wächst: Es ist weder Musk noch Zuckerberg. Das Problem ist der Kapitalismus. Genauso wenig wie man politische Problematiken wie Klimaschutz, Gleichstellung und soziale Verträglichkeit von Konzernen lösen lassen kann, die durch Ausbeutung Geld verdienen, kann man erwarten, dass Konzerne digitale Kommunikation anders behandeln als auch den letzten Cent aus den Daten ihrer Nutzer zu pressen.

Soziale Netzwerke überholen Linke von links

Davon, dass das linke politische Spektrum sich die Inhalte der digitalen Graswurzelbewegung zu eigen macht und neben die anderen wichtigen Themen unserer Zeit stellt, sind wir noch weit entfernt. Möglicherweise, weil sich alles Digitale noch abstrakter und komplizierter als die Klimaerwärmung anfühlt. Es ist nichts Neues, dass die Politik der sozialen und ökonomischen Realität um Jahrzehnte hinterherhinkt.

Die Merkmale der Alternativen sind überschaubar: Sie sind dezentral organisiert; die Daten liegen nicht an einem Ort, der unter Kontrolle eines einzelnen Unternehmens ist, sondern auf einem von vielen Servern und im Idealfall beim Benutzer selbst. Sie sind transparent, sodass Menschen mit technischem Know-how nachvollziehen können, was mit den Daten geschieht. Also komplett und nicht nur in Teilen Open Source.

Echte Alternativen legen den Fokus darauf, dass private Daten sicher und verschlüsselt übertragen und gespeichert werden. Und zu guter Letzt: Sie sind nicht kommerziell. Nun könnte man sagen, dass doch auch Unternehmen mit einem schlüssigen Geschäftskonzept, das nicht auf dem Verkauf von Daten beruht, gute Alternativen bieten können. Doch Unternehmen arbeiten gewinn- und wachstumsorientiert.

Die Erfahrung zeigt, dass ihre schönsten Versprechungen sich schon Morgen in Schall und Rauch aufzulösen pflegen. Die gute Nachricht: Die Alternativen sind schon da. Sie werden als Fediverse bezeichnet. Das Universum der föderierten Netzwerke. Es besteht aus verschiedenen, potentiell weltumspannenden, nichtkommerziellen und dezentralen Plattformen. Es gibt kleine und große und es gibt für jede kommerzielle Plattform eine oder mehrere Entsprechungen.

Alternativen zuhauf

Manche dieser dezentralen Plattformen kommunizieren zudem untereinander, manche weniger. Es gibt das ehrwürdige Diaspora, eines der ältesten Netzwerke, das gezeichnet ist von eleganter Schlichtheit und technisch solider Konsistenz, es gibt das quirlige und featurereiche Mastodon, es gibt Pixelfed, die Entsprechung von Instagram, PeerTube, das Äquivalent zu Youtube, Friendica, das kommunikationsfreudigste von allen und noch mehr. Eine Übersicht gibt es auf the-federation.info oder fediverse.party.

Wer sich ein Zuhause im Fediverse sucht, kann dies über fediverse.observer tun. Besonderen Zulauf erhält derzeit Mastodon, das dank Jan Böhmermann und anderen stark an Bekanntheit gewonnen hat. Der berufsjugendliche Experte für Selbstdarstellung Sascha Lobo sagt dazu: „Mastodon ist eher eine Nerd-Plattform, die man auf eigenen Servern hosten muss“ und selbst Georg Diez, der Chefredakteur von The New Institute, die nichtkommerzielle Plattformen fordert, schreibt, Mastodon funktioniere nur “sehr holprig“.

Beides Falschaussagen, aber woher kommen sie? Dezentrale, föderierte Netzwerke funktionieren anders als die bekannten Plattformen, Nachrichten können mal eine Weile brauchen, bis sie einmal um die Welt sind, wenn sie nicht auf einem Server liegen. Auch füllt sich der eigene Stream nicht automatisch mit Nachrichten, die zu einem passen. Diese Kritik hat auch etwas mit linksetablierter Boomerbequemlichkeit zu tun.

Man möchte nichtkommerziell sein, aber es möge doch bitte schön alles so funktionieren wie bei den millionenschweren kommerziellen Plattformen. Auch die Vorteile der Dezentralität und der Vielfalt des Fediverse scheinen nicht überall angekommen zu sein: Viele melden sich auf demselben Server an, der „Mastodon“ im Namen trägt, wenige versuchen die anderen Plattformen.

Kritische Inhalte brauchen Reichweite

Das geht so nicht. Wer den Komfort politischer Korrektheit haben möchte, muss ein Stück Bequemlichkeit aufgeben und wenn das nur bedeutet, das eigene Gehirn ein bisschen anzustrengen. Die Wohnung auf 19, statt wie bisher auf 21 Grad zu heizen geht ja auch. Nicht nur “Linke“, sondern De­mo­kra­t:in­nen und ihre Institutionen ganz generell sollten ihre Inhalte nicht auf datenkapitalistischen Plattformen teilen. So einfach ist es leider nicht.

Wer Inhalte hat, braucht Reichweite. Und es macht keinen Sinn, kritische Inhalte nur in der eigenen Blase zu verteilen. Stattdessen sollte die Verantwortung verinnerlicht werden, Inhalte nicht ausschließlich dort zu teilen, wo das Zielpublikum ausgebeutet wird. Sie müssen reichweitenunabhängig auch dort geteilt werden, wo es sich emanzipatorisch vernetzen kann. Das ist zurzeit das Fediverse.

Ein guter und zeitsparender Start wäre es, sich einen Friendica-Account zuzulegen, mit dem mehrere Netzwerke des Fediverse und sogar Twitter gleichzeitig bespielt werden können. Eine große Hilfe wäre zudem, wenn Anbieter professioneller SocialMedia-Tools wie Falcon Social die Fediverse-Netze in ihre Software mit aufnehmen würden. Ein Traum, wenn es einen öffentlichen Fördertopf für die Entwicklung nichtkommerzieller Plattformen gäbe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

*1968. Studierte Publizistik, Linguistik, Physik, Informatik und Informationswissenschaft, brach den akademischen Weg ab und wechselte zur Autodidaktik. Seit 2010 bei der taz. Lebt in Berlin, schreibt als Autor, freier Journalist und Entwickler Texte und anderen Code. U.a. Ziehvater von taz.zahl-ich-unterm-artikel, taz.kommune, taz.portal, taz.bitcoin und taz.diaspora*. Seit 2015 geprüfter Forschungstaucher. Seit Beginn der Corona-Pandemie FPV-Pilot.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.