Tabu-Themen am Arbeitsplatz: Höhenangst in Vorwurfskaskaden

Reizthemen vermeiden, ist bei Freundschaften und in Kneipen manchmal von Vorteil. Aber ein Verbot am Arbeitsplatz wie beim Facebook-Konzern? Empörend.

Ein Schild mit Meta-Logo

Das Meta-Logo am Hauptquartier des Konzerns im kalifornischen Menlo Park Foto: ap

Es gibt Themen, über die zu streiten man in bestimmten Konstellationen besser lässt: mit Deutschen über Luther, mit Briten über Tee mit Milch, mit Süd­euro­päern über Trinkgeld, mit den Eltern über sein Leben.

Auch weiß man nach einigen dramatischen Auffahrunfallerfahrungen, mit wem man besser nicht über Politisches redet. Die Gefahr platzender Hutschnüre ist einfach zu groß, und es ist absehbar, dass Bill Gates und „die Medien“ beziehungsweise „Du machst ja sowieso, was du willst“-Sätze vorkommen.

Meist lassen sich diese Unterhaltungen nur mit Mühe in die Kategorie Gespräch einordnen, handelt es sich doch in aller Regel um ein anschwellendes Empörungsrauschen, das in Vorwurfskaskaden endet, in denen man sich gegenseitig bezichtigt, infiziert, infiltriert, instrumentalisiert, indoktriniert, indiskutabel, inkompetent, infam, gekauft, gebrainwasht, irre und Teil des Problems zu sein.

Dass jetzt ausgerechnet Meta seinen Mit­ar­bei­te­r*in­nen politische Unterhaltungen am Arbeitsplatz verbietet, ist sehr lustig. Themen wie Waffen, Wahlen, Impfstoffe und Schwangerschaftsabbrüche dürfen dort zwar noch in kleinen Gruppen diskutiert werden, aber nicht in Chats, die mehrere Leute mitlesen könnten.

Wo das Geschäftsmodell auf Empörung basiert

Die Begründung für das Tabu: „Die Gesundheit des Unternehmens“ sei besser gewährleistet, weil strittige Themen zu einem „feindseligen Arbeitsumfeld“ führten und eine respektvolle Arbeitsatmosphäre behinderten. Ausgerechnet Facebook, das Unternehmen, dessen Geschäftsmodell unter anderem auf Empörung basiert, verpasst also seinen Mitarbeitern einen Maulkorb für Reizthemen.

Sicher finde ich es mega schlimm, wenn vorgeschrieben wird, über was man sich nicht aufregen darf und die Empörung darüber ist berechtigt. Aber ich kann diese Meta-Regel, die im Übrigen auch schon andere Unternehmen aus der Social-Media-Welt praktizieren, trotzdem gut nachvollziehen. In fast jeder Familie, Freundschaft, Beziehung, Bekanntschaft, unter Kollegen und in der Kneipe hat sich so gut wieder jeder eigene, unausgesprochene Compliance-Richtlinien aufgestellt. Man vermeidet Reizthemen, wenn man weiß, wo das endet.

Man erkennt irgendwann, dass es besser für die eigene Gesundheit und den Fortbestand der Freundschaft ist. Ich jedenfalls halte das in einigen Fällen so. Nicht, weil ich grundsätzlich konfliktscheu wäre. Oder, Moment, vielleicht doch? Was bedeutet eigentlich konfliktscheu? Ist Konfliktscheue vielleicht ähnlich wie die Höhenangst eine dieser natürlichen Leitplanken, die der Menschheit eingerichtet wurden, damit sie ihr Leben nicht ständig unnötig in Gefahr bringen?

Sicher, jeder soll sich über alles aufregen dürfen. Ich glaube trotzdem, der Peak der Empörung ist erreicht, und hin und wieder ein bisschen Empörungstabu kann vielleicht nicht schaden.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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