Turbulenzen in der Linksfraktion: Kein Bock auf Wagenknecht-Reden
Wer für die Linke im Bundestag spricht, hat sich an die Beschlüsse der Partei zu halten. Das fordern acht Abgeordnete per Antrag an ihre Fraktion.
„Für die Außenwahrnehmung unserer Fraktion und Partei haben die Reden im Plenum des Bundestags eine besondere Bedeutung“, heißt es in dem Antrag, der der taz vorliegt. Daher solle der Fraktionsvorstand „sicherstellen“, dass die Redezeit der Linksfraktion „für die Vertretung der gemeinsam beschlossenen Positionen“ genutzt wird. Mitglieder der Fraktion, die erklärten, nicht die gemeinsamen Positionen der Partei vertreten zu wollen, sollen „auf die Möglichkeit der individuellen Wortmeldung bei der Bundestagspräsidentin“ verwiesen werden.
Ein entsprechender Beschluss der Fraktion würde ganz auf der Linie des Parteivorstandes liegen. „Wir sind eine plurale Partei und abweichende Meinungen sind natürlich legitim“, sagte Linken-Chefin Janine Wissler der taz. Wer aber in Parlamenten für die Linke spreche, müsse in der ohnehin äußerst knappen Redezeit die Positionen der Partei vertreten. „Das zu gewährleisten, dafür ist die Fraktionsspitze verantwortlich“, so Wissler.
Auf wen die acht Antragsteller:innen abzielen, daran lassen sie keinen Zweifel: „Die Rede von Sahra Wagenknecht zum Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriums hat zu erheblichen politischen Verwerfungen bis hin zu Austritten aus der Partei geführt“, schreiben die Linken-Abgeordneten Gökay Akbulut, Anke Domscheit-Berg, Ates Gürpınar, Caren Lay, Cornelia Möhring, Martina Renner, Bernd Riexinger und Kathrin Vogler.
Auftritt sorgte für heftige Empörung
Wagenknecht hatte in ihrer Rede am 8. September der Bundesregierung vorgeworfen, „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun“ gebrochen zu haben. Entgegen der Beschlusslage der Linkspartei forderte sie ohne Ausnahmen eine Aufhebung der „fatalen Wirtschaftssanktionen“ gegen Russland.
Der Auftritt der Ex-Fraktionschefin sorgte für heftige Empörung. Unter anderem erklärte Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, seinen Austritt aus der Linken. Er könne und wolle nicht Mitglied einer Partei sein, deren Bundestagsfraktion Wagenknecht mit ihren „sehr bekannten Thesen“ und ihrer diffamierenden Sprache „ins Schaufenster“ stelle.
Aus Fraktionskreisen heißt es, dass Wagenknechts Rede eine „Entschädigung“ für ihren verhinderten Auftritt auf der Leipziger Demonstration am 5. September gewesen sei. Trotz aller Warnungen hätte die Fraktionsführung um Dietmar Bartsch und vor allem Amira Mohamed Ali das so gewollt.
Dabei hätten die beiden auch hingenommen, dass Wagenknecht darauf bestanden habe, ihre Rede so zu halten, wie sie das für richtig hält – egal, wie die Parteibeschlusslage aussieht. Nur Nord Stream 2 habe sie nicht erwähnen dürfen. Daran hat sie sich gehalten.
Flunkert Dietmar Bartsch?
Bartsch schiebt die Verantwortung ab: „Der Vorschlag kam von den Haushältern und nicht von der Fraktionsspitze“, sagte er der taz. Und er fügte hinzu: „Niemand hat in der Fraktionssitzung den Antrag gestellt, dass Sahra Wagenknecht nicht reden möge.“
Dass es dort heftigen Widerspruch gab, den Mohamed Ali lautstark abschmetterte, ließ er unerwähnt. Auch soll Bartsch selbst mit Verweis auf die Außenwirkung darum gebeten haben, es nicht zu einer Abstimmung kommen zu lassen.
Stutzig an der Darstellung von Bartsch machen zudem zwei schriftliche Vorlagen der Parlamentarischen Geschäftsführung der Linksfraktion zur Vorbereitung der Sitzungswoche, die der taz vorliegen.
Die erste wurde am 5. September vor der Fraktionsvorstandssitzung erstellt. Dort ist zu lesen, dass bei der Aussprache im Bundestag zum Punkt „Wirtschaft und Klimaschutz“ eine dreiminütige Rede des Haushälters Victor Perli eingeplant war, die verbleibenden zwei Minuten waren noch offen: „N.N.“ steht da nur.
Die zweite Vorlage wurde nur zwei Stunden später erstellt – unmittelbar nach der Fraktionsvorstandssitzung, die zu einer wundersamen Änderung der Redeliste geführt hat. Hier heißt es nun plötzlich: „DIE LINKE. 5 min/ Sahra Wagenknecht“. Dieses Papier wurde der Fraktion vorgelegt.
Bartsch wolle einfach nur mal wieder seine Hände in Unschuld waschen, sagt ein frustriertes Fraktionsmitglied. Erst mache der vermeintliche „Reformer“ einen miesen Deal und dann versuche er die Schuld für das absehbare Desaster auf andere abzuwälzen.
Drohende Abspaltung
Die Stimmung unter den 39 Linken-Parlamentarier:innen ist so schlecht wie noch nie. Nur Dietmar Bartsch gibt sich unerschütterlich. Die Frage, ob er denke, dass die Linksfraktion in dieser Konstellation bis zum Ende der Legislatur zusammen bleiben wird, beantwortete er der taz kurz und knapp: „Ja.“ Außer ihm glauben das nicht mehr viele.
In der Linkspartei wird inzwischen offen über eine Abspaltung des Wagenknecht-Lagers geredet. Die Frage sei nicht mehr, ob es gehen würde, sondern nur noch, wann. Das sagen einige führende Linken-Politiker:innen der taz hinter vorgehaltener Hand. Wagenknecht selbst beantwortet die Frage, ob sie in der Partei bleiben werde, stets gleich sibyllinisch: „Aktuell bin ich Mitglied der Linken.“
Er appelliere „an alle zu bleiben und nicht mit Spaltungsversuchen zu spielen“, sagte Jan Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion. „Aber wer Fraktion oder Partei verlassen möchte, soll das jetzt tun“, so Korte zur dpa. „Von allen, die bleiben, erwarte ich, dass sie sich voll auf unseren gemeinsamen Job konzentrieren.“
Auf der Fraktionssitzung am Dienstag wird es auch um die nur noch schwer zu übersehenden Absetzbewegungen gehen. Denn der Antrag des Kreises um den Ex-Parteivorsitzenden Bernd Riexinger hat noch eine weitere interessante Passage. Beschlossen werden soll auch dieser Teil: „Die Fraktionsversammlung weist Versuche, sich von der Partei abzuspalten und alternative Wahlantritte (etwa zur Europawahl) vorzubereiten, als unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der Bundestagsfraktion Die Linke zurück.“
Ob sich dafür noch eine Mehrheit in der Linksfraktion findet?
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