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Türkei-Blockade bei Nato-NorderweiterungBittere Aussichten

Kommentar von Sasha Tomas

Die Türkei weiß um ihre Bedeutung in der Nato und stellt Bedingungen für die Aufnahme von Schweden und Finnland. Man wird ihr entgegenkommen müssen.

Mevlut Cavusoglu (l.) erklärt dem US-Kollegen Antony Blinken in New York den Preis für den Natobeitritt Foto: Eduardo Munoz/reuters

D ie Kritik der Türkei zielt ins Leere, trotzdem wird sie verfangen. US-Präsident Joe Biden zeigte sich vor dem Besuch der schwedischen Ministerpräsidentin und des finnischen Präsidenten am Donnerstag in Washington optimistisch, dass Ankara seine Blockade der Nato-Norderweiterung überdenkt. „Ich denke, wir werden es schaffen“, sagte er zu den Beitrittsplänen.

Dem Vorwurf Ankaras, Schweden und Finnland unterstützten die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ließe sich leicht begegnen: Die Türkei lieferte ihrerseits Waffen an radikale Islamisten in Syrien, wie Recherchen der türkischen Cumhuriyet im Mai 2015 belegten. Sollte es der Türkei tatsächlich um staatlich unterstützten Terror gehen (mal ganz abgesehen davon, ob die stark zersplitterte PKK aus Europa überhaupt noch etwas ausrichten kann), sollte sie erst mal in ihren eigenen Geheimdienstbehörden aufräumen.

Auch sonst demonstriert die Türkei eindrucksvoll ihre Bereitwilligkeit, die Arbeit der Nato und anderer Bündnisse zu konterkarieren: mit Angriffen gegen die kurdischen Bodentruppen, die maßgeblich zum Sieg über den IS beitrugen, oder mit dem Kauf russischer Raketenabwehrsysteme 2019. All das hatte keine großen Folgen für die Rolle der Türkei in Europa und innerhalb der Nato.

Die Türkei stellt nach den USA die größte Streitmacht in dem Militärbündnis. Ihre strategische Bedeutung als Mitglied der westlichen Allianz in der Region weiß sie gut auszuspielen. Auch wenn das Gebaren des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für Entrüstung in dem Bündnis sorgt: Ankara zu verprellen kommt für die Nato nicht infrage.

Nato-Mitglied trotz Militärputsch

Die Geschichte der Allianz ist nicht diejenige demokratischer Rechtsstaaten, das weiß auch die Türkei. Schließlich blieb sie während des Militärputschs von 1980, nach dem unzählige Oppositionelle brutal verfolgt und hingerichtet wurden, weiterhin Teil des Bündnisses.

Dass die Türkei nun die Auslieferung opposi­tio­neller Kurden fordert, die seinerzeit auch nach Schweden geflohen sind, ist vor diesem Hintergrund geradezu bezeichnend. Die Nato sollte sich dieser Geschichte bewusst werden, wenn die Türkei den Preis für den Beitritt Schwedens und Finnlands hochtreibt.

Es bleibt dennoch eine bittere Aussicht: Die Nato ist von der Türkei abhängig, nicht nur weil Ankara mit seinem Einspruch die Norderweiterung blockiert. Stockholm und Helsinki suchen den Schutz der Allianz, das Bündnis wird deshalb auf die Forderungen der Türkei ganz oder teilweise eingehen.

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24 Kommentare

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  • "Die Türkei lieferte ihrerseits Waffen an radikale Islamisten in Syrien, wie Recherchen der türkischen Cumhuriyet im Mai 2015 belegten." -- Und das Problem liegt wo? Die USA bewaffneten die FSA, auch "Islamisten", warum ist es so schlimm wenn die Türkei Waffen an syrische Turkmenen schickt?

  • 6G
    6539 (Profil gelöscht)

    Es ist so übel und verlogen, den türkischen Putin in der Nato zu haben die uns gegen den russischen Erdoğan schützen soll.

    • @6539 (Profil gelöscht):

      Tja, nun stellen Sie sich mal vor, wir hätten beide drin, weil Jelzin damals Clintons Angebot angenommen hätte.

  • Die NATO als selbsternanntes Schutz- und Trutzburg des Wertewestens ist bestens kompatibel mit Autoktaten wie Erdogan.



    Gut, dass Frankreichs Linke unter Melenchon klar auf Distanz geht.

    • @Lumpenpazifist:

      Nun ist Erdogan jemand der in der NATO sehr isoliert ist und geradezu in Ungnade gefallen ist.

      So kompatibel scheint er also doch nicht zu sein.

  • "Dem Vorwurf Ankaras, Schweden und Finnland unterstützten die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ließe sich leicht begegnen: Die Türkei lieferte ihrerseits ..."

    Klar Whataboutism funktioniert immer. 🤫

  • Nun ja. Die PKK und ihre Nachfolger werden unter anderem auch von der Europäischen Union (seit 2002), den Vereinigten Staaten und Deutschland als terroristische Vereinigung eingestuft.

    • @Rudolf Fissner:

      Und auch von Finnland und Schweden. Genauso werden erkannte Terroristen ausgeliefert.

      Was Finnland und Schweden nicht machen, ist jeden auszuliefern, den die Türkei per PKK-Vorwurf zurückbekommen möchte, um Haft und Folter anzuordnen.

    • @Rudolf Fissner:

      Fällt Ihnen denn der Widerspruch nicht auf: hierzulande ist die PKK als „terroristische“ Vereinigung eingestuft und entsprechend verboten … in Syrien bekamen die YPG, der syrisch-kurdische Ableger der PKK, militärische Unterstützung und Waffen von den US-Streitkräften im Kampf gegen den US. Im Irak beteiligte sich der Westen sogar an der Ausbildung kurdischer Peschmerga der autonomen Regierung Barzanis in Erbil (zugegebenermaßen Konkurrenten der türkisch-kurdischen PKK). Beide Gruppierungen sind Erdogan jedoch ein Dorn im Auge, weil ein Hindernis für den türkischen Expansionismus in der Region.



      Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass hier “Terroristen” mit Waffen beliefert werden?

      • @Abdurchdiemitte:

        Die YPG als Ableger der PKK zu bezeichnen ist schon eine steile These. Entspricht Erdogans Rhetorik; kann mir aber nicht vorstellen, dass Sie diese bewusst verwenden wollten.

        • @Devil's Advocate:

          Ja, in der Tat, von „Ableger“ zu sprechen, ist nicht korrekt … obgleich eine eindeutige ideologische Nähe besteht und die beiden Gruppierungen auch miteinander kooperieren (PKK-Aktivisten nahmen an den Kämpfen in Syrien an der Seite der YPG teil). Tatsache ist auch, dass Erdogan die Aktivitäten der YPG in Rojava (West-Kurdistan) genau so bekämpft wie die der PKK in der Türkei (und in den irakischen Kurdengebieten) … zwischen der autonomen kurdischen Regierung im Irak und der Türkei gibt es hingegen eine Kooperation, um die mit den Barzani-Kurden verfeindete PKK aus dem Nordirak hinauszudrängen.



          Recht kompliziert die kurdischen Angelegenheiten, weil sie stets nach dem Motto zu agieren scheinen: der Feind meines Feindes ist mein Freund.



          Ich wollte nur darauf hinaus, dass ich es für eine ziemlich heuchlerische Position halte, hierzulande kurdische Organisationen als „terroristisch“ zu verbieten und sie zugleich in Syrien und im Irak im Kampf gegen den IS militärisch zu unterstützen … da hat Erdogan aus seiner Perspektive - die ich absolut nicht teile - natürlich recht.



          Richtig peinlich wird die ganze Veranstaltung, wenn neben den PKK-Symbolen in Deutschland auch noch die der YPG verboten werden sollen, dies dann aber gerichtlich aufgehoben wird … gute Kurden, schlechte Kurden: wer kennt sich damit noch aus?

  • Einfach ein Sonderabkommen mit Schweden und Finnland machen und warten bis der Kasper vom Bosporus von der politischen Bühne zurückgepfiffen wird.



    Es geht Finnland und Schweden um Sicherheit. Die kann auch ohne die NATO gewährleistet werden. Absichern und abwarten auf einen günstigen Zeitpunkt für den Beitritt.

    • @MeineMeinungX:

      Reichlich widersprüchliche Argumentation … wenn Russland den Krieg gegen die Ukraine verlieren sollte - was bedeutet Sieg oder Niederlage in diesem Kontext eigentlich? -, welche Bedeutung bzw. Rechtfertigung hätte ein NATO-Beitritt dieser Staaten dann noch? Um ein am Boden liegendes Russland - der feuchte Traum so mancher Bellizisten auch im taz-Forum -, das schon mit der Ukraine nicht fertig geworden ist, weiter zu demütigen?



      Sie sagen es doch selbst: die Sicherheit Schwedens und Finnlands kann auch ohne NATO gewährleistet werden.



      Und was die Rolle der Türkei betrifft: leider wird sie doch noch gebraucht, um den Einfluss der NATO in der Region zu sichern, Stichwort Geostrategie … denken Sie an den Bosporus und das Durchfahrtsverbot für russische Kriegsschiffe ins Schwarze Meer (Vertrag von Montreux). Die Bedeutung der Türkei für das westliche Bündnis ist nicht an die Person Erdogans gebunden … ebenso wenig wie der Konflikt des Westens mit Russland an die Putins.



      Ich fürchte, die Bauernopfer in diesem Schachspiel werden (wieder einmal) die Kurden sein.

  • Eine Änderung der Statuten (von Einstimmig auf Mehrstimmig - also ohne Veto) drängt sich auf, um einem Sultan von eigenen Gnaden, oder sonstigen hochwohlgeborenen Sesselfurzern die Möglichkeit der Erpressung zur Durchsetzung der eigenen Interessen möglichst schwer zu machen NATO, UNO, etc.



    Oder?

  • Also Natomitglied und gestörtes Verhältnis zur Demokratie und Rechtsaatlichkeit - kein Hinderungsgrund: Ungarn, Polen, Montenegro, Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Albanien - Blüten der Demokratie. Und historisch waren die Dikaturen in Portugal und Griechenland als Natopartner mehr als gedulet. Um Kritik daran haben sich die Natostaaten nie geschert. Jetzt werden die Griechen, angesichts der s zu erwartendenWaffenlieferungen an Ankara weitere Kampfjets in Frankreich bestellen und wir liefern beiden Seiten fleißig mit Leo's und anderen Mordinstrumenten.... Erdoghan braucht den Erfolg, denn angesichts der galoppierenden Inflation und Wirtschaftskrise droht ihm nächstes Jahr bei den Wahlen das Aus. Er setzt - wie sein Kumpel Putin - auf Außenpolitik samt Säbelgerassel um die Massen hinter sich zu bringen. Vielleicht sollte die Nato auch mit Pjönjang über einen Beitritt verhandeln.......

  • Selten so einen unkritischen, laschen Kommentar gelesen. Die Türkei unter Erduan ist und bleibt kein verlässlicher Bündnispartner, sondern ist ein Erpresserstaat. Fehlt nur, dass sie den Beitritt zur EU als Gegenleisting fordern.

  • "...das Bündnis wird deshalb auf die Forderungen der Türkei ganz oder teilweise eingehen."



    Das ist doch kein Problem. Die USA haben doch die PYD/YPG in Nordsyrien auch fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Das bleibt von den "Westlichen Werten" übrig, wenn es um Machtpolitik geht.

    • @sollndas:

      Noch nicht ganz … aber wenn die USA - wegen der skandinavischen NATO-Erweiterung - ihre schützende Hand den Kurden in Syrien komplett entziehen, weil es Erdogan als Preis für seine Zustimmung fordert, kann es sein, dass für die Region das Tor zur Hölle erneut geöffnet wird … wenn nämlich die kurdische YPG im Abwehrkampf gegen türkische Invasoren die von ihnen verwalteten IS-Internierungslager in Nordost-Syrien nicht mehr kontrollieren kann und tausende von fanatisierten, rachedurstigen “Gotteskriegern“ wieder in Freiheit gelangen. Dann kann es bei uns in Europa auch schnell so richtig teuer werden.



      Hat man daran bei der NATO-Erweiterung auch gedacht?

  • Nein, man sollte der quasi Dikatatur Türkei nicht entgegengekommen. Wenn Fin u. Swe hart bleiben bezüglich der angeblichen Pkk Kämpfer wird die TR ziemlich unter Druck kommen, da die beiden Länder offensichtlich begehrte neue Mitglieder wären.

  • Ach was! © Vagel Bülow - Herr Au Tor.

    “ Die Türkei weiß um ihre Bedeutung in der Nato und stellt Bedingungen für die Aufnahme von Schweden und Finnland. Man wird ihr entgegenkommen müssen.“ Geht’s noch?!

    Fass mal zusammen:



    Da stellt sich der Lange via Türkei - zu Rechtstaat - Minderheitenschutz - Medien/Meinungsfreiheit - gezielt!! - außerhalb der Grundannahmen der NATO & § begeht mopstermäßig § 253 StGB Erpressung (& Däh=> Erpressungsverbrechen sind in Artikel 5237 des TCY mit der Nummer 107 geregelt!).



    Und da kommen‘s ahnungslos freihändig reaktionär staatstragend daher: “Man wird ihr entgegenkommen müssen.“

    kurz - Wo bitte lassens Denken?



    “Right or wrong - THE NATO - oder was!



    Wenn Sie beabsichtigen - Fürderhin in einer Räuberhöhle zu leben! Woll.



    Bleibt ehna das unbenommen. But.



    Nicht nur meine Wenigkeit ist dazu nicht bereit •



    kurz - Wieder einer aus der Kategorie unterste Schublade: Bis zur Kenntlichkeit entstellt!



    kurz&knapp - Bayernkurier Immergriiens di taz is going -



    Fischeinwickelgazette!



    Vulgo: Nach eurem Verfassungsauftrag - sollt ihr die Mächtigen KONTROLLIEREN!



    Von AFTERMIETERN & vorauseilendem Gehorsam - war nicht die Rede! Gelle.



    “Denk ich an Schland in der Nacht…“ •

    • @Lowandorder:

      Der arme Fisch...

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        © Dick Brown Corporation -



        Kari-Kategorie: “Da kannst du deine Fische in einwickeln!“



        (Mir noch als Stepke auf den Wochenmärkten statt Plastr&Elaste sehr vertraut!;))

  • Schöner kann man "unsere Werte" nicht zusammenfasssen.



    Sind ja nur Kurden, die sterben.



    Wenn´s Ukrainer wären, wäre der Kopf von Erdogan schon ziemlich locker auf seinem Hals.



    So geht Imperialismus. Sag den Anderen was sie zu tun und zu lassen haben. Sonst!!!



    Frau Baerbock war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.



    Aber säuseln ist auch nicht ihr Ding.

  • So siehts aus. Anstelle der umstrittenen kurdischen Exilanten in Schweden und Finnland, würde ich schon einmal die Koffer packen...